# taz.de -- Debatte Algorithmen in der Polizeiarbeit: Der menschliche Faktor | |
> Täter aufspüren, Konflikte befrieden. Algorithmen sind im Alltag | |
> hilfreich, doch der bessere Kommissar bleibt der Mensch. | |
Bild: Dein Freund und Helfer. | |
Schießwütige Sheriffs in den USA, durch Überstuden, mangelnden Respekt und | |
böse ‚„Überraschungen“ wie die Kölner Silvesternacht geplagte Beamte in | |
Deutschland. Wenn’s schiefläuft, folgt in der Öffentlichkeit stets die | |
Frage: ist die Polizei schuld? | |
Bei Aufmärschen, nach Übergriffen von Pegida-Anhängern oder den | |
Ausschreitungen am Kölner Hauptbahnhof heißt es, die Polizei zeige zu wenig | |
Präsenz. Bei Protesten aus dem linken Spektrum heißt es, sie bedrohe durch | |
massives Auftreten das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit. Gegen die | |
„Kriminalitätsflut“ sei sie sowieso machtlos. | |
Doch jetzt wird alles anders. Die Polizei entdeckt die Macht von „Kommissar | |
Computer“: Man setzt auf Technologie, um die Bösen unschädlich zu machen. | |
Medienberichten zufolge filtert eine neue Software in Städten wie Chicago | |
Listen mit den Namen von 400 Hochrisiko-Tätern heraus. Ob damit auch | |
riskante Polizisten erfasst werden, um den Tod unbewaffneter Afroamerikaner | |
zu verhindern, ist nicht bekannt. | |
Auch hierzulande testet die Polizei Hightech zur Kriminalitätsbekämpfung. | |
Man will damit bestimmte Kriminalitätsereignisse prognostizieren. Damit | |
würde der Traum des ehemaligen BKA-Präsidenten Horst Herold wahr und die | |
Polizei wäre vor dem Täter am Tatort. Das sogenannte Precobs-System wird | |
derzeit bei seriellem Wohnungseinbruch verwendet, aber wer weiß, wozu es | |
noch gut sein könnte? | |
Was können Algorithmen im Dienst der Ordnungshüter? Soziale Medien und die | |
Verbreitung digitaler Kommunikation haben sich auf das Verhältnis | |
Bürger-Polizei ausgewirkt. Mobiltelefone als neuer Körperteil liefern einen | |
digitalen Abdruck des Alltags. Werden Handys damit zur Fundgrube | |
polizeilicher Ermittlungen und Bürger zum „Leaking Container“? Wir | |
hinterlassen Datenspuren durch Kreditkarten- und Internetbenutzung, durch | |
Flugreisen oder Car Sharing. | |
Der Zusammenhang zwischen Polizei, Kriminalität und der Anzeigebereitschaft | |
von Bürgern ist aber komplizierter, als es scheint. International zeigt die | |
Forschung: Je mehr Vertrauen Bürger in ihre Polizei haben, desto eher sind | |
sie bereit, Straftaten zur Anzeige zu bringen. | |
Politiker und Populisten in den Polizeigewerkschaften argumentieren gerne | |
mit solchen Anstiegen in der Statistik: „Law and Order“ heißt es: Schärfer | |
durchgreifen, mehr Polizei, höhere Strafen – wie jetzt nach den Übergriffen | |
in Köln. Man versucht sich gegenseitig in der Rolle des Sicherheitsexperten | |
zu überbieten, insbesondere im Wahlkampf. | |
## Digital modernisierte Polizei | |
Polizei ist jedoch nicht ausschließlich mit Kriminalität beschäftigt. | |
Bürger melden per Anruf oder zunehmend per E-Mail und Twitter Bedarf an | |
polizeilichem Handeln an. Und die Polizei wendet sich mit digitalen | |
Mitteilungen an die Bürger, wie bei den jüngsten Terrorwarnungen in | |
München. Eine digital modernisierte Polizei hat also durchaus Sinn. | |
Polizei muss aber viel häufiger Konflikte, etwa in Flüchtlingsunterkünften, | |
im „sozialen Nahraum“, also bei häuslicher Gewalt, befrieden. Intelligente | |
Software könnte einen anonym eingehenden Notruf über Schreie und | |
„Möbelrücken“ in einer Nachbarwohnung örtlich zuordnen und Fakten aus der | |
Datenbank liefern (Häufigkeit der Einsätze bei dieser Adresse). | |
Die Dringlichkeit würde festgestellt, die Streifenbeamten erhielten | |
wichtige Zusatzinformationen: lokale soziale Dienste, Möglichkeiten der | |
Notaufnahme für Frau und Kinder. Check-Liste über erforderliche Schritte | |
bei Gewalt in der Familie, gegebenenfalls Erklärungen in Fremdsprachen, die | |
bei Verständigungsproblemen auf dem Pad gezeigt werden können. | |
Aber Polizei ist nach wie vor meist „analog“ im Einsatz. Frauen und Männer | |
in Uniform stehen bei jedem Fußball-Wochenende vor Ausbrüchen | |
unzivilisierten Verhaltens sogenannter Fans. Angehörigen schreckliche | |
Nachrichten überbringen, Unfälle aufnehmen, vermisste Kinder, Jugendliche, | |
verwirrte Senioren ausfindig machen, all dies macht das polizeiliche | |
Alltagsgeschäft aus. | |
## Prävention und Bekämpfung | |
In der Polizeiforschung wird unterschieden zwischen einem „Consent“- Modell | |
(Bürgerpolizei) polizeilichen Handelns, das sich von dem sogenannten | |
Control-Paradigma (Polizisten als Crime Fighter) unterscheidet. Beide gab | |
es nie in Reinform. Sicherung des zivilen Friedens, Erhalt der sozialen | |
Ordnung, ein offenes Ohr für Bürgersorgen und soziale Dienstleistung für | |
Not- und Sorgenfälle können durchaus mit der Prävention und Bekämpfung von | |
Verbrechen einhergehen. | |
Was jeweils priorisiert wird, Bürgernähe oder Kriminalitätsbekämpfung, | |
bestimmen eh die Politiker und nach schlimmen Geschehnissen auch die | |
Medien: Ob Berlin 1967/68, Wackersdorf 1986 oder Stuttgart 2010 – die | |
Polizei wurde in all diesen Fällen für politische Ziele in Dienst genommen. | |
Momentan zeigt sie sich aber trotz schwieriger Umstände beim Umgang mit | |
Asylsuchenden an den Grenzen und in den Städten als eine professionelle | |
Organisation. Insofern ist Köln eine Ausnahme. | |
In dieser Situation ist der Einsatz neuer Technologien, und vor allem die | |
Hoffnung auf die magische Wirkung von Algorithmen, keine Lösung. Auch wenn | |
die einschlägige Forschung, unterstützt durch Interessen der | |
Software-Industrie, hier einen Markt für die computergerüstete Polizei | |
sieht: Nach wie vor gilt, dass gute Polizeiarbeit von gut ausgebildeten | |
Polizisten und vernünftigen rechtsstaatlichen Vorgaben abhängt. Im | |
Alltagsgeschäft spielt der menschliche Faktor die ausschlaggebende Rolle. | |
Die deutsche Polizei gehört im internationalen Vergleich zu den | |
Sicherheitsorganisationen mit der längsten und intensivsten Ausbildung. | |
Dass die Nutzung von digitalen Helfern dazugehört und Fahndungserfolge | |
sowie Prioritätensetzung angesichts von Mangelwirtschaft unterstützen kann, | |
bezweifelt niemand. „Kommissar Computer“ ersetzt aber nicht die Polizisten | |
als Mitmenschen. | |
31 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Joachim Kersten | |
Reinhard Kreissl | |
Die Autoren | |
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Polizei | |
Algorithmen | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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