# taz.de -- Flüchtlinge: „Das wird sich zurechtruckeln“ | |
> Die freiwillige Hilfe am Hamburger Hauptbahnhof hat sich | |
> professionalisiert. Seither ringen Haupt- und Ehrenamtliche darum, wer | |
> das Sagen hat. | |
Bild: Darf sich nicht aus der Ruhe bringen lassen: Mariam El Fazazi (M.) ist ha… | |
HAMBURG taz | Der große Aufenthaltsraum ist fast menschenleer. Ein paar | |
junge Männer sitzen auf hellen Holzstühlen mit türkisfarbenen Metallbeinen | |
und unterhalten sich auf Arabisch. Schon an ihrer Form sind die Möbel als | |
Spendezu erkennen: Eine Schule hat sie der neu eingerichteten Tagesstätte | |
für Transitflüchtlinge überlassen. Das Bieberhaus steht gleich neben dem | |
Hamburger Hauptbahnhof, die Stimmung ist entspannt, vor der Eingangstür | |
stehen tagsüber keine Sicherheitsleute. Am Mittwochabend war die Stimmung | |
anders: Einer der ehrenamtlichen Helfer war am Bahnhof angegriffen und | |
leicht mit einem Messer verletzt worden. Er holte sich im Bieberhaus Hilfe. | |
Die Hamburger Polizei untersucht den Fall. | |
„Ich mache mir keine Sorgen“, sagt Mariam El Fazazi, eine von vier | |
hauptamtlichen HelferInnen. Der Streit sei privat gewesen und habe nichts | |
mit dem Ehrenamt des Verletzten zu tun gehabt: „Es ging um Liebe.“ | |
Überhaupt hätten sie hier keine Probleme gehabt bisher: weder mit den | |
Flüchtlingen noch mit besonders besorgten Bürgern oder richtig Rechten. | |
Die Arbeit der Helfer aber geht weiter. Zwar kommen, seit der Winter | |
richtig kalt geworden ist, deutlich weniger Menschen auf der Durchreise in | |
Hamburg an: Waren es im Herbst bis zu 3.000 am Tag, sind es jetzt nur noch | |
rund 300 Geflüchtete. Aber auch die müssen ja mit dem Nötigsten versorgt | |
werden – tagsüber in der Einrichtung, ab 22 Uhr werden sie an Schlafplätze | |
vermittelt. El Fazazi ist schon seit der ersten Woche am Hauptbahnhof | |
dabei, übersetzt vom Arabischen ins Deutsche und betreut vor allem Familien | |
und alleinreisende Frauen. „Die haben oft Angst, mit männlichen Helfern zu | |
sprechen. Mit mir gehen sie mit“, sagt sie. | |
Die Hilfe am Hamburger Bahnhof hat sich immer stärker professionalisiert. | |
Stand da am Anfang nur ein Infotisch unter der Treppe in der Wandelhalle, | |
wurden später Zelte auf dem benachbarten Heidi-Kabel-Platz aufgestellt. Es | |
gab sogar ein beheiztes Wohnmobil, in dem Mütter ihre Babys stillen | |
konnten. Anfang Dezember dann zogen die Helfer ins Bieberhausauf der | |
anderen Seite des Platzes: Ein Jugendstil-Altbau, in dem auch das Finanzamt | |
untergebracht ist – und das Ohnsorg-Theater. | |
## Frist bis August | |
Der erste Stock aber stand leer. Bis August dürfen die Ehrenamtlichen die | |
Räume nutzen, mietfrei sogar. Dann will der Eigentümer, die | |
Immobiliengesellschaft Alstria, die Etage renovieren. „Was dann kommt? | |
Keinen Schimmer“, sagt Christian Böhme, Sprecher des Sozialverbands „Der | |
Paritätische“. Die Dachorganisation zahlreicher sozialer Einrichtungen | |
leitet die neue Tagesstätte und unterstützt die Ehrenamtlichen. „Irgendeine | |
Lösung wird sich dann schon finden“, versucht Böhme sich in Optimismus. | |
Im Aufenthaltsraum ist die Deckenverkleidung abgerissen. Stuckreste kommen | |
darunter zum Vorschein. An einem improvisierten Tresen aus Tischen und | |
roten Plastikkörben geben ehrenamtliche Helfer Suppe, Brötchen, Obst und | |
schwarzen Tee aus. | |
Im Raum schräg gegenüber kümmern sich zwei Frauen um die Kleiderkammer. | |
„Rucksäcke, lange Unterhosen, Handschuhe und Männerkleidung in Größe S wi… | |
immer gebraucht“, sagen sie. Alles andere türmt sich in den Regalen um sie | |
herum: Turnschuhe, Winterjacken, Hosen. Für Kinderkleidung gibt es eine | |
eigene Kammer, ein Stück den Flur runter. Auch eine Kita gibt es und ein | |
Beratungszimmer für Geflüchtete, an dessen Wand eine Skandinavien-Karte | |
hängt. Für jedes Hilfsangebot haben sich Arbeitsgruppen gebildet, die vier | |
Hauptamtlichen koordinieren die Arbeit. | |
„Das sorgt manchmal für Konflikte“, sagt Sprecher Böhme. In den Räumen | |
herrschten andere Regeln als draußen auf dem Platz. Da sei es manchmal | |
schwierig, wenn die festen Mitarbeiter beispielsweise mahnten, dass man im | |
Hauseingang nicht rauchen dürfe. Plötzlich gibt es dann eine Hierarchie, | |
auch unter den Helfern. | |
## Es gibt auch Machtkämpfe | |
Katharina hilft freiwillig. Die Ärztin sitzt im Behandlungszimmer neben | |
einem großen grauen Metallschrank, der aus einer Praxisauflösung stammt. | |
Auch die blaue Liege und das Bündel Krücken in der Ecke sind Spenden. „Es | |
gibt hier Machtkämpfe“, sagt die 35-Jährige, die ihren echten Namen nicht | |
in der Zeitung lesen möchte. Die Helfer müssten erst einmal klären, wer wem | |
etwas zu sagen hätte. „Das wird sich zurecht ruckeln.“ | |
Das glaubt auch El Fazazi. „Ich fühle mich hier nicht als Chef“, sagt sie, | |
„wir sind eine Familie geworden.“ Rund 150 Freiwillige gehören zum festen | |
Kern. „Für diese Arbeit ist nicht jeder gemacht“, sagt die 38-Jährige. | |
Einige seien zu sensibel, um mit den Fluchtgeschichten klar zu kommen. „Die | |
helfen dann zwei Stunden und weinen danach eine.“ Die alleinerziehende | |
Mutter hat schon afrikanische Flüchtlinge unterstützt, als sie selbst noch | |
in Marokko lebte. „Es spielt keine Rolle, was man gelernt hat, sondern nur, | |
dass man ein Gefühl dafür hat, was die Menschen brauchen.“ | |
Die Helfer hätten unterschiedliche Hintergründe, sagt Sprecher Böhme. Es | |
seien Hausfrauen und Rentner darunter, aber auch viele Menschen, die selbst | |
noch in Erstaufnahmeunterkünften lebten und übersetzten. „Ohne die würde | |
das ganze System nicht funktionieren“, sagt Böhme. In der Kita arbeiten | |
fast nur gelernte Erzieher. „Viele haben sich von ihren Arbeitgebern | |
freistellen lassen, andere machen das in ihrem Urlaub.“ | |
## Ziel: Norwegen | |
Die Wände der Kita sind mit selbstgemalten Bildern zugehängt. An einer Wand | |
steht ein Regal mit Spielen und Puzzles, gegenüber ein Wickeltisch. Ein | |
Junge saust auf einem Bobbycar an einem runden Kindertisch vorbei. Ein | |
älterer Junge malt mit Filzstift die Fluchtroute seiner Familie auf: Von | |
Afghanistan ist er über elf Länder bis nach Deutschland gereist. Das Ziel | |
ist Norwegen. In der Kita kann er ein bisschen zur Ruhe kommen, bevor die | |
Reise weitergeht. „So etwas ist schon sehr berührend“, sagt Trixi Schubert, | |
die die Kita leitet. | |
„Sie nehmen hier schnell wahr, dass das ein sicherer Ort ist“, beobachtet | |
die Sozialpädagogin. Sie blättert in einem schwarzen Ringbuch. Darin hat | |
Schubert viele Zeichnungen eingeklebt. Manche zeigen Panzer, Fahnen oder | |
Schiffe. Die Geschichten der Kinder gehen ihr nah. Sie schreibt sie in ein | |
hellblaues Tagebuch. „Und ich rede viel darüber“, sagt sie. | |
Auf dem Flur wird es laut. El Fazazi spricht mit einem aufgeregten Helfer | |
auf Arabisch. Sie lässt sich dabei nicht aus der Ruhe bringen, lächelt. Das | |
alles gehört zu ihrem neuen Job dazu. „Wenn ich abends meinen Kopf aufs | |
Kissen lege“, sagt die 38-Jährige, „weiß ich, was ich gemacht habe.“ | |
14 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
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