# taz.de -- Vorkommnisse in Köln und Pressekodex: Neue Dimension der Empörung | |
> In Berichten über die sexuellen Übergriffe während der Silvesternacht in | |
> Köln wird die Herkunft der Straftäter offensiv benannt. Was soll das? | |
Bild: Auch am 5. Januar fährt die Polizei Streife vor dem Kölner Hauptbahnhof. | |
Es ist das Angstszenario, das Pegida und andere Rechtspopulisten sowie | |
Rechtsfeministinnen wie Alice Schwarzer schon lange an die Wand malen: eine | |
Horde von Männern arabischer Herkunft fällt über „unsere“ deutschen Frau… | |
her, um sie sexuell zu belästigen und auszurauben, wenn nicht sogar zu | |
vergewaltigen. | |
Etwas Vergleichbares, so scheint es, hat sich in der Silvesternacht in Köln | |
ereignet. Nach allem, was man bisher weiß, hat dort eine Gruppe von | |
Kriminellen die chaotische Situation vor dem Hauptbahnhof ausgenutzt, um | |
sich unbehelligt über Dutzende von Opfern herzumachen. Ist das ein Beweis | |
für die „Maskulinisierung“ des öffentlichen Raums“, die angeblich durch… | |
vielen männlichen Flüchtlinge drohe, die nach Deutschland kommen? | |
Die Polizei beeilte sich in ihren ersten Stellungnahmen, solchen | |
Vorurteilen den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie betonte, bei den | |
Tätern habe es sich nicht um Flüchtlinge gehandelt, sondern um | |
polizeibekannte Intensivtäter, die in dieser Nacht offenbar gezielt und als | |
Gruppe aufgetreten seien. Die Polizei war von der Situation überfordert, | |
weil sie zeitgleich mit rund Tausend Menschen konfrontiert war, die mit | |
Böllern und Raketen vor dem Dom randalierten. | |
Für die Rechtspopulisten ist der Fall aber ein Fanal, sie sehen sich in | |
ihren liebsten Befürchtungen bestätigt. Auch ihr Lügenpresse-Vorwurf | |
bekommt neue Nahrung durch die Tatsache, dass es mehrere Tage gebraucht | |
hat, bis der Vorfall von Medien bundesweit aufgegriffen wurde. | |
## Menetekel für die Zukunft der Republik | |
Dabei liegt das nur daran, dass es sich um ein lokales Ereignis gehandelt | |
hat, dessen Dimension erst langsam deutlich geworden ist. Die Kölner | |
Lokalpresse hat früh und ausführlich über die Ereignisse berichtet, sobald | |
die ersten Augenzeugenberichte und Anzeigen vorlagen, und auch die Kölner | |
Polizei sah sich früh gezwungen, dazu Stellung zu nehmen. | |
Nun wird der Vorfall von interessierter Seite zum Menetekel für die Zukunft | |
der Republik erklärt. Das ist völlig maßlos. Längst vorbei sind auch die | |
Zeiten, in denen es zu den journalistischen Standards gehörte, die | |
Nationalität oder Herkunft von mutmaßlichen Straftätern nicht zu nennen. | |
Im Pressekodex, den sich die im Deutschen Presserat zusammen geschlossenen | |
Medien einmal freiwillig und aus gutem Grund auferlegt haben, heißt es | |
dazu, die Nennung der Religion oder Herkunft der Täter sei nur dann | |
erwähnenswert, wenn es einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat gebe. | |
Zu beachten sei, „dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten | |
schüren könnte“. | |
## Druck der rechten Gegenöffentlichkeit | |
Diese Standards sind längst erodiert. Denn in Zeiten von sozialen Medien | |
und Internet ist es ohnehin eine Illusion zu glauben, bestimmte | |
Informationen ließen sich außen vor lassen. Und unter dem Druck der rechten | |
Gegenöffentlichkeit aus dem Netz, die schnell mit dem Vorwurf bei der Hand | |
ist, „die Medien“ würden aus falsch verstandener Toleranz und „politisch… | |
Korrektheit“ die Verbrechen von Migranten verschweigen oder schönfärben, | |
sind auch seriöse Medien im vorauseilendem Gehorsam dazu übergegangen, die | |
Herkunft von Straftätern offensiv zu benennen – jedenfalls, so lange es | |
sich um migrantische Straftäter handelt. | |
Dabei stellt sich auch in diesem Fall für seriöse Medien und die Polizei | |
die Frage, ob die Herkunft der Täter im Vordergrund stehen muss oder nicht. | |
Für die rechten Ankläger und Populisten ist die Sache dagegen klar: für sie | |
sind solche Verbrechen selbstverständlich und einzig und allein auf die | |
mutmaßliche „Kultur“ der Täter zurück zu führen, und auf sonst nichts. | |
Jeder Einzelfall mutmaßlicher „Ausländerkriminaliät“ und „muslimischer | |
Gewalt“ wird von ihnen mit großer Angstlust zum Beweis dafür aufgebauscht, | |
dass das Abendland im Untergang begriffen ist. Augenzeugenberichte und | |
bloße Behauptungen, Gerüchte und Halbwahrheiten verbreiten sich über die | |
sozialen Medien wie ein Lauffeuer. | |
## Emma spricht von „Terror“ | |
Als Brandbeschleuniger dient die implizite Unterstellung, es handele es | |
sich um eine irgendwie „kulturspezifische“ Form der Kriminalität. Als ob es | |
in Deutschland ohne Einwanderer keine Diebstähle, keine Vergewaltigungen | |
und keine Morde gäbe. Angesichts der massenhaften sexualisierten Gewalt an | |
Silvester in Köln sprechen manche nun von „einer völlig neuen Dimension“ | |
der Kriminalität. | |
„Das hat es in Deutschland so noch nie gegeben“, behauptet die Emma, | |
spricht von „Terror“ und fühlt sich an den Tahrir-Platz erinnert. Und | |
Ex-Familienministerin Kristina Schröder (CDU) twitterte: „Sie wurden lang | |
tabuisiert, aber wir müssen uns mit gewaltlegitimierenden | |
Männlichkeitsnormen in muslimischer Kultur auseinandersetzen“. | |
Fragwürdig daran war nicht nur die Grammatik, sondern auch die Forderung – | |
als ob gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen in der deutschen, | |
nicht-muslimischen Mehrheitskultur kein Problem wären. Denn was wäre anders | |
gewesen, wenn es sich bei den Tätern nicht um „nordafrikanische“, sondern | |
um urdeutsche Männer gehandelt hätte? Für die betroffenen Frauen nicht | |
viel. | |
Aber die öffentliche Reaktion wäre anders ausgefallen. Viele hätten den | |
betroffenen Frauen nicht geglaubt, den Vorfall bagatellisiert oder | |
ignoriert oder gar den Frauen selbst die Schuld gegeben. Diejenigen, die | |
den Vorfall tiefer gehängt hätten, sind die gleichen, die jetzt besonders | |
empört tun. | |
5 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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