| # taz.de -- Spezial-Einrichtung in Hamburg: „Wir haben Kontrolle über das Ha… | |
| > Seit März werden kriminell auffällige junge Flüchtlinge auf einem | |
| > Gewerbegelände betreut. Wer sich nicht an Regeln hält, kommt nicht ins | |
| > Haupthaus. | |
| Bild: Hamburg Bullerdeich: seit März werden hier junge Flüchtlinge untergebra… | |
| taz: Herr Müller, wie kam es dazu, dass Hamburg eine Gruppe von jungen | |
| Flüchtlingen in einem abgelegenen Industriegebiet am Bullerdeich | |
| unterbringt? | |
| Klaus Dieter Müller: Aus der Not heraus. Wir hatten in Hamburg Anfang 2014 | |
| eine stark auffällige Gruppe von 30 bis 40 alleinreisenden Straßenkindern | |
| aus nordafrikanischen Ländern. Sie wurden straffällig und waren pädagogisch | |
| nicht erreichbar. Sie haben Drogen konsumiert und sich an keinerlei Regeln | |
| gehalten. Die tauchten mal hier mal dort auf und haben in unseren | |
| Jugendeinrichtungen die anderen jungen Flüchtlinge erheblich gestört. Wir | |
| haben reagiert, indem wir diese Jugendlichen rausgeholt und in einer | |
| Einrichtung im Stadtteil Wandsbek zusammen untergebracht haben mit | |
| besonderer Betreuung. Das ist missglückt. | |
| Wieso? | |
| Wir hatten die Einrichtung nicht im Griff. Schon das Gebäude hatten wir | |
| verloren. Die haben da Leute und Diebesgut mitgebracht, sind nachts übers | |
| Dach eingestiegen, haben alles zerstört und gemacht, was sie wollten. Da | |
| war uns klar, wir müssen Grenzen dagegen setzen. Mit dem Bullerdeich hatten | |
| wir ein geeignetes Gelände, schon weil man keine Nachbarn nerven kann. Und | |
| wir haben dort die Kontrolle über das Haus. Die Jugendlichen schlafen zu | |
| zweit in den zehn Wohncontainern und ins Haupthaus kommt nur, wer sich | |
| adäquat verhält und an Regeln hält. | |
| Wie lange gilt so ein Ausschluss? | |
| Es gilt immer für einen Tag. Im Haupthaus gibt es Essen und Sport und | |
| Freizeitangebote. Dort kann man an Sprachkursen und dem Kompetenztraining | |
| teilnehmen, es ist abends ein Computerraum zugänglich und es gibt eine | |
| Teestunde. Wer ausgeschlossen ist, bleibt in seinem Zimmer. Er bekommt dort | |
| sein Essen und jemanden zum Reden sowie für benötigte Hilfe, wenn er das | |
| Bedürfnis hat. Er kann auch jederzeit raus, es ist kein geschlossenes Heim. | |
| Man las bei der Eröffnung, es gebe „Sanktionen bei Regelverstößen“. Was | |
| heißt das? | |
| Eben der Verweis aus dem Haupthaus. Wir machen klar, dass wir uns Gewalt | |
| nicht gefallen lassen. Und wir erwarten, dass die Jugendlichen an der | |
| Tagesstruktur teilnehmen. Das heißt, morgens zum Frühstück aufstehen... | |
| Wie früh? | |
| Von 8 Uhr an wird geweckt, das ist eine zivile Zeit. Viele sind ja nachts | |
| unterwegs. Um 10 beginnt das Programm. Es gibt eine feste Tagesstruktur. | |
| Abgeschafft ist auch, dass sie selber kochen und Geld dafür bekommen. Sie | |
| kriegen nur das übliche Taschengeld, etwa elf Euro die Woche. Wer sich | |
| nicht an Regeln hält, für den heißt es: Du kommst nicht ins Haupthaus, aber | |
| du bekommst zu Essen. | |
| Und welchen Effekt hat dieser Ausschluss? | |
| Eigentlich wichtig ist, dass wir die einen schützen, wenn wir die anderen | |
| ausschließen. Wir sagen, ihr müsst mitmachen, wenn ihr da reinwollt. Einige | |
| erreichen wir. Sechs haben wir in Hilfen zur Erziehung gebracht. Wir haben | |
| Fälle, da kommen welche aus der Erstversorgungseinrichtung. Die machen zwei | |
| Tage Auszeit am Bullerdeich und sagen: Ich möchte wieder zurück. Für die | |
| Täter ist da schon eine neue Perspektive. Wenn die anderen gewalttätig | |
| auftreten und ich bin Opfer. | |
| Werden sie dort verprügelt? | |
| Nein. Da gehen wir dazwischen, nehmen aber das Klima wahr, das von | |
| Gewaltbereiten ausgeht. | |
| In der Welt war zu lesen, von 40 Teilnehmenden seit März habe man nur ein | |
| Viertel erreicht. | |
| Diese Zahlen spiegeln das wieder. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass so | |
| eine Einrichtung von einem Monat zum anderen völlig anders sein kann, weil | |
| die Belegung wechselt. Ich habe einen Bericht vom letzten Monat: von 20 | |
| Jugendlichen dort zehn bedingt erreichbar, vier waren gut erreichbar, zwei | |
| machen richtig gut mit und vier sind totale Verweigerer. Die fallen immer | |
| auf, stören das Setting. | |
| Sprechen die Betreuer die Sprache der Jungen? | |
| Wir haben ein gut eingespieltes Team. Neben der Leitung und vier Pädagogen | |
| arbeiten dort zehn Sprach- und Kulturmittler. Das sind junge Migranten aus | |
| arabisch sprechenden Ländern, die schon längere Zeit in Deutschland leben. | |
| Die dolmetschen im Alltag und mitteln zwischen den Jugendlichen und den | |
| Pädagogen. Das gab am Anfang Schwierigkeiten im Team, weil es zur | |
| arabischen Kultur gehört, sich unter Landsleuten zu helfen und wir deutlich | |
| machen mussten, leicht nachzugeben ist für diese Jugendlichen die falsche | |
| Hilfe. | |
| Wo liegt die Grenze für den Ausschluss? Körperliche Gewalt oder reicht | |
| verbale Aggression? | |
| Das geht bei massiven verbalen Drohungen los. Bei unseren Jungs geht das | |
| dann oft fließend ineinander über. Sie gehen in ihr Zimmer und es gibt | |
| einen Sprachmittler, der für sie ansprechbar ist. | |
| Gibt es Punkte für gutes Verhalten? | |
| Nein. Aber wir reflektieren mit den Jungs ihr Verhalten. | |
| Weshalb hat im Mai ein Junge seinen Container angezündet? Aus Frust? | |
| Das war Brandstiftung. Er ist dafür auch verurteilt worden. Das Verhalten | |
| lässt sich nicht einfach und vor allem nicht rational erklären. Die | |
| Jugendlichen treten kaputt, was kaputt zu treten ist, obwohl es zu ihrem | |
| Nachteil ist. | |
| Gibt es Psychologen vor Ort? | |
| Wir arbeiten eng mit der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Abteilung des | |
| Wilhelmstifts zusammen. Der Chefarzt kommt zu uns und berät uns. Viele der | |
| Jungs sind schwer traumatisiert und ihre Körper mit Narben übersät. Die | |
| sind oft schon in ihrem Heimatland misshandelt worden. Aber eine Therapie | |
| ist schwierig, weil Drogen im Spiel sind. Es gab Gespräche mit der | |
| Psychiatrie, ob dort eine Entgiftung stattfinden kann. Aber das scheitert | |
| an dem Punkt, dass Entzug freiwillig sein muss, damit er nachhaltig wirkt. | |
| Auch in diesem Bereich gibt es Grenzen und damit auch Fälle, die man nicht | |
| erreichen kann. Da sagen wir: Am Bullerdeich haben wir die jungen Leute | |
| wenigstens bei uns. Wir sehen Sie und ihren medizinischen Bedarf, wir | |
| helfen, wo es geht. Und einige sind ja auch zugänglich. | |
| Die Fluktuation scheint hoch. Wo sind die hin? | |
| Wir haben immer wieder welche, die gehen, es ist ihre freie Entscheidung. | |
| So weit wir es wissen, gehen sie ins Ausland. | |
| Man hört, auch von anderen Jugendhilfeträgern, die Situation habe sich | |
| beruhigt. Stimmt das? | |
| Wir haben damals im Sommer 2014, als wir sehr viele Intensivtäter hatten | |
| und die Erfahrung des Scheiterns machten, gesagt, so kann es nicht | |
| weitergehen. Wir haben intensiv mit Polizei und Staatsanwaltschaft | |
| kooperiert und Straftaten zur Anzeige gebracht. Das ermöglichte der | |
| Staatsanwaltschaft, die Schwere und Häufigkeit der Straftaten vor den | |
| Jugendrichtern fundiert vorzutragen. Relativ viele kamen in U-Haft und | |
| anschließend mit Bewährung raus. Das war ein deutliches Signal. Ein Teil | |
| der Szene, Jugendliche, die noch draußen waren, haben sich dann | |
| verabschiedet. | |
| Der Bullerdeich wirkt wie eine provisorische Lösung für eine extreme | |
| Situation. Kann man das Haus wieder auflösen? | |
| Nein, die Einrichtung geben wir nicht wieder her. Die schwierige Situation | |
| ist nicht vorbei bei den hohen Zahlen von Flüchtlingen. Wir stellen ja | |
| fest, dass die Einrichtung weiter belegt wird. | |
| Sie setzen einen Sicherheitsdienst ein. Das war ja bei der früher vom LEB | |
| betriebenen Geschlossenen Unterbringung Feuerbergstraße ein heikler Punkt. | |
| Welche Aufgaben hat der? | |
| Der Sicherheitsdienst kontrolliert am Eingang, ob Diebesgut oder unerlaubte | |
| Gegenstände mitgeführt werden. Die Mitarbeiter sind auch im Alltag immer | |
| präsent, um bei Gewaltvorfällen dazwischenzugehen. Sie haben kleine | |
| Alltagskontakte mit den Jungs. Sie dürfen aber keine Sanktionen verfügen | |
| oder Ratschläge erteilen. Wir setzen den Sicherheitsdienst auch in unseren | |
| anderen Einrichtungen ein, weil wir jemanden brauchen, der die ganze Nacht | |
| wach ist und im Notfall unser Personal wecken kann. Das ist ein wichtiger | |
| ruhender Pool. | |
| 20 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
| ## TAGS | |
| Jugendhilfe | |
| Kinderschutz | |
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