# taz.de -- Eigeninitiative in der Fläche: „Früher war alles ausgebucht“ | |
> Im niedersächsischen Örtchen Kirchboitzen will eine eigens gegründete | |
> Genossenschaft die drohende Schließung der Gaststätte abwenden. | |
Bild: Will nicht länger vor leeren Barhockern ausharren: Noch-Inhaberin Anneli… | |
KIRCHBOITZEN taz | Die Leute von Kirchboitzen wollen ihre Kneipe retten. | |
Die Gaststätte „Zum Domkreuger“ ist von der Schließung bedroht, denn | |
Inhaberin Annelie Rabe möchte in Rente gehen. Einen Käufer hat sie für das | |
Backsteinhaus mit dem großen Tanzsaal und der Bundeskegelbahn nicht | |
gefunden. Bis jetzt: Am heutigen Freitagabend wollen einige der | |
Kirchboitzener eigens für den Weiterbetrieb eine Genossenschaft gründen. | |
„Zentral“ sei die Gaststätte für das Dorf, das zum niedersächsischen | |
Walsrode gehört, sagt Torsten Söder, einer der sieben Initiatoren der | |
Genossenschaft. Neben dem dunklen Holztresen hängen alte Mannschaftsfotos | |
des örtlichen Fußballvereins, Söder ist auf vier Bildern zu entdecken, als | |
blonder Junge und jugendlich mit schulterlangem Haar. In einer Vitrine | |
stehen Pokale der Landjugend – gewonnen im Volkstanz. Auch da war Söder | |
dabei. Der 38-Jährige ist eng mit dem Lokal verbunden, das hier keiner beim | |
offiziellen Namen nennt, sondern „Gaststätte Rabe“ – nach der Besitzerin. | |
Söder hat seine eigene Hochzeit hier gefeiert, die Eltern ihre Silberne, | |
die Großeltern die Goldene. | |
„Wir brauchen die Gaststätte“, sagt er, „um im Dorf Familienfeiern | |
veranstalten zu können.“ Zwar gebe es noch ein anderes Restaurant, deutsche | |
Küche, einen anderen Saal aber im ganzen Kirchspiel nicht: So nennen die | |
Kirchboitzener ihre Kirchengemeinde, die sieben weitere Dörfer umfasst; | |
Kirchboitzen ist der Mittelpunkt. Die Infrastruktur ist für ein Dorf mit | |
nur noch 680 Einwohnern gar nicht mal schlecht: Supermarkt gibt es keinen, | |
aber eine Tankstelle, eine Fahrschule und einen Arzt. Hinter dem kleinen | |
Fußballplatz ist sogar noch eine Grundschule in Betrieb. „Das hier ist kein | |
Schlafort“, sagt Söder, der sich politisch für die CDU engagiert. Trotzdem | |
macht er sich Sorgen um sein Dorf. Die Bevölkerung wird älter. Die Jüngeren | |
ziehen lieber in die Städte. | |
„Wir wollen auf Dauer attraktiv bleiben“, sagt Söder. Er setzt dafür auf | |
Tradition: Die Gaststätte gibt es schon seit 280 Jahren, nicht zufällig | |
steht sie direkt gegenüber der Kirche. „Früher war hier immer alles | |
ausgebucht“, sagt Inhaberin Anneliese Rabe. In den 80er-Jahren lief das | |
Geschäft so gut, dass sie zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann | |
den ehemaligen Kuhstall zum Saal ausbaute. Der sei „zum Teil gleich nach | |
der Geburt“ für die Konfirmation reserviert worden, erinnert sich die | |
67-Jährige. | |
Irgendwann wurden die Gäste weniger, die Laufkundschaft blieb aus, auch die | |
Kegelbahn lockte immer weniger Gruppen. Jetzt trinke nur noch ein Mann ein | |
paar Mal die Woche am Tresen ein Weizen und einen Schnaps, sagt sie. Dazu | |
kommen ein paar Familienfeste und Vereinssitzungen. Das reicht nicht mal, | |
um eine Kellnerin fest anzustellen. | |
Ein Ort, an dem sich die Kirchboitzener zufällig über den Weg laufen, ist | |
das Lokal nicht mehr. Erhalten werden soll es trotzdem: Söder und seine | |
Mitstreiter, darunter der Ortsvorsteher, der Chef der Freiwilligen | |
Feuerwehr und der Vorsitzende des Schützenvereins – überhaupt: alles Männer | |
– träumen davon, dass das Lokal wieder zum Treffpunkt wird. Ein „Betreiber | |
mit Esprit“ könnte das Tagesgeschäft wieder ankurbeln, hoffen sie. Ihr | |
selbst, sagt Rabe, „fehlt dazu die Power“. | |
Allein können die Männer das Lokal nicht vor der Schließung bewahren: Der | |
Kaufpreis liegt bei 235.000 Euro. Ein kleines Hotel mit neun Zimmern gehört | |
dazu, beide Gebäude müssten mal renoviert werden: neue Leitungen, Dämmung, | |
Fenster – eine Viertelmillion Euro, schätzt Söder. „Das muss auf viele | |
Schultern verteilt werden“, sagt der Berufsschullehrer. Zur ersten | |
Infoveranstaltung Anfang November kamen rund 120 Menschen. Bis heute haben | |
sich mehr als 100 Unterstützer für Anteile vormerken lassen: Stück 2.500 | |
Euro. Selbst hinterm Tresen stehen wollen die Genossen aber nicht: „Wir | |
suchen einen Pächter“, sagt Söder, der zu dem Lokal passen müsse: „Es | |
sollte keine Gourmet-Küche sein, mit kleinen Häufchen auf großen Tellern“, | |
sagt Rabe. Geld verdient man hier mit Spargel- oder Grünkohlessen – halt | |
nur nicht genug. | |
Um Gewinne gehe es auch gar nicht: „Wir wollen nur kein Geld verlieren“, | |
sagt Söder. Gespräche mit der Kreissparkasse hat man schon geführt. Am | |
heutigen Abend nun sollen die Satzung der Genossenschaft verabschiedet und | |
ein Vorstand gewählt werden. Der eigentliche Kauf soll dann nächstes Jahr | |
über die Bühne gehen – besiegelt mit einem Bier am eigenen Tresen. | |
10 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
## TAGS | |
Landleben | |
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