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# taz.de -- Porträt: Der verhinderte Landwirt
> Selbst sein ehemaliger Staatssekretär hält Hans-Heinrich Sander, den
> einzigen Umweltminister der FDP, für eine katastrophale Fehlbesetzung.
> Aber auch wenns in Niedersachsen eine Kabinettsumbildung gäbe - der Atom-
> und Kohlekraft-Fan bliebe im Amt.
Bild: Hans Heinrich Sander hätte Bauer werden sollen, wie sein Vater und sein …
Nach Dienstschluss steigt Hans-Heinrich Sander in seinen Audi. Die
Limousine verlässt die Landeshauptstadt, passiert die Lindenalleen der
Börde, die Leine im Osten und überwindet den Ith, einen Höhenzug mit engen
Straßen. Gut eineinhalb Stunden dauert die Fahrt von Hannover nach Golmbach
im Weserbergland.
Der Heimatort des Umweltministers von Niedersachsen liegt inmitten einer
der herrlichsten Naturlandschaften Niedersachsens. Buchenwälder,
Grünlandhänge, und überm Ortsschild balzt ein Pärchen Rotmilane. Minister
Sander gehört das größte Fachwerkhaus im Dorf. Sonntagnachmittag sitzt er
selbst auf dem Trecker, im Hänger ein paar Kirschbäume für den Obsthof
Sander, ein Familienunternehmen. Seine Nachbarin, eine reizende alte Dame,
weiß, dass "der Herr Sander eine Anstellung im Staate" hat. Was genau er da
macht, im Staate, weiß sie nicht. "Irgendwas mit Landwirtschaft" muss es
sein.
Das würde Sander sicher freuen. Denn der Umweltminister wollte eigentlich
Landwirtschaftsminister werden, als sich 2003 CDU und FDP anschickten eine
Regierung zu bilden. "Aber dann habe ich bemerkt, dass ich auch als
Umweltminister viel für die Landwirtschaft tun kann", sagt er.
Und wirklich haben rund 50 Prozent seiner Termine mehr mit Landwirtschaft
zu tun, als mit Naturschutz: Gerne schaut er mal persönlich bei Bauern
vorbei, die ihn in einer Notlage um Hilfe bitten. Und Dauergast in der
Landwirtschaftskammer ist er auch. Der zweite Schwerpunkt seiner Amtszeit:
Sander macht rückgängig, was er als die "rot-grünen Untaten der 90er Jahre"
bezeichnet. "Da musste mal einiges vom Kopf auf die Füße gestellt werden",
sagt er.
Ganz oben auf der Abschussliste des Umweltministers stand das Landesamt für
Ökologie (NLÖ), eine Fachbehörde, die personell gut aufgestellt und
bundesweit anerkannt war. In einer Verwaltungsreform verlagerte er die
Kompetenzen des NLÖ auf den Niedersächsischen Landesbetrieb für
Wasserwirtschaft, Küsten- - und, seit 2005, eben auch Naturschutz. Eine
Mega-Behörde. Und er verlagerte die Aufgabe Naturschutzgebiete einzurichten
auf die kommunale Ebene.
Dort scheitern die unteren Naturschutzbehörden oft an den lokalen
Interessen: Pläne, Gebiete als schützenswert auszuweisen, werden auf der
untersten Hierarchieebene zerrieben.
"Das ist genial", lobt der Minister seine eigene Reform noch immer, "das
ist Verschlankung", und landesweit fallen dem Umbau etwa 40 Prozent der
Umweltschutz-Stellen zum Opfer. Aber der Rechnungshof bezweifelt die
Wirtschaftlichkeit der Umstrukturierung angesichts nötiger
Transferzahlungen an die Kommunen, und monierte im Februar 2009, dass zu
prüfen gewesen wäre, "ob die Aufgaben auf kommunaler Ebene sachgerecht
bewältigt werden können". Man habe "keine Belege dafür" gefunden, "dass das
Land diese Fragen in ausreichender Weise würdigte". Und die Fachleute
verzweifeln: Reinhard Löhmer etwa. Löhmer, 65 Jahre alt, ist Dozent für
Zoologie an der Uni Hannover und stellvertretender Vorsitzender des BUND
Niedersachsens. Seit der Gründung des NLÖ habe er die Behörde mit Daten
beliefert, sagt er. Er habe kartiert und Vögel gezählt. Die Schließung
empfindet er als persönliche Demütigung, ein "unerträglicher Sieg von
Stammtischniveau über Sach- und Fachverstand".
In Niedersachsen tun sich Gräben auf. Gerade in traditionsreichen Jagd-,
Angel- und Landwirtschaftsverbänden empfindet man tiefe Genugtuung, dass
"da oben" die ewige Bevormundung durch die Naturschützer beendet wurde.
Subtiles Symbol der neuen Machtverhältnisse ist der so genannte
"Höflichkeitserlass". Mitarbeiter von Umweltbehörden müssen fortan Bauern
um Erlaubnis fragen, wenn sie vorbeikommen wollen, um Bodenproben zu nehmen
oder Biotope zu kartieren. Von vielen Landesbediensteten wird das als
unerträgliches "Bitte-bitte-Machen" gesehen, zumal ja jede Privatperson
jederzeit eine landwirtschaftlich genutzte Fläche betreten darf, solange
sie diese nicht schädigt. Sander indes ist davon überzeugt, dass "Landwirte
die besten Naturschützer sind", die "schließlich ein ureigenes Interesse
daran haben, dass auch im nächsten Jahr noch ihr Boden fruchtbar ist".
Umweltpolitisch ist ihm vor allem daran gelegen, den eigenen
Aufgabenbereich zu bagatellisieren. Bis Mitte 2007 zweifelte er den
Klimawandel an. Als diese Haltung nicht mehr zu vertreten war, propagierte
er, man solle doch das Positive daran sehen. Bei den Deichberechnungen ging
er von einer Erhöhung des Meeresspiegels um 25 Zentimetern aus, bis er sich
den Realitäten anpassen musste: Gerechnet wird mit 47 Zentimetern. Von 21
Kohlekraftwerken die deutschlandweit in Planung sind, sollen 13 in
Niedersachsen stehen. Und obwohl der Windkraftanlagenbauer Enercon in
Aurich mittlerweile mehr Stahl verbaut als die Meyer-Werft in Papenburg,
führte Sander lange Zeit nach eigener Aussage einen "Kampf gegen
Windmühlen". Den Neubau von Atomkraftwerken hält er für denkbar - Gorleben
und Asse zum Trotz.
Sander ist 1945 in Golmbach geboren. Aufgrund einer Armamputation konnte er
sich nicht in eine Ahnengalerie von Bauern einreihen, die Hof und Land von
Generation zu Generation vererbten. Sander wurde Lehrer, Schuldirektor und
schließlich Berufspolitiker, der sich wenig Schöneres vorstellen kann als
"mit all den netten Menschen in der Fläche" zu tun zu haben.
Für viele Wähler verkörpert er absolute Bürgernähe. Selbst der Wirt einer
Kneipe in Sanders Heimatort, eigentlich ein politischer Gegner, erkennt an,
dass "der Sander auch mal selbst den Telefonhörer abnimmt". Sein
"Ich-bin-einer-von-euch"-Image bringt dem Umweltminister konstant gute
Wahlergebnisse - oft die besten für die Landes-FDP.
Sander wird nachgesagt, jeglichen Kontakt zu anderen unter einem strengen
Freund-Feind-Raster zu betrachten: Unter Umbesetzungen in Ministerium und
nachgeordneten Behörden hatten vor allem die zu leiden, die wagten, eine
eigene Meinung zu vertreten. Wie Christian Eberl: Eberl war weder ganz
einverstanden gewesen mit Sanders Verwaltungsreform, noch mit der
finanziellen Austrocknung der Naturschutzverbände, die sein Chef
zielgerichtet vorantrieb. "Ich habe feststellen müssen", sagt Eberl, "dass
Sander fachlich eine katastrophale Fehlbesetzung war". Kurz nach der
Landtagswahl 2008 erfuhr der gelernte Förster aus der Zeitung, dass er
künftig kein Staatssekretär mehr sein würde. Seither kümmert er sich wieder
um seinen Wald und hat den Vorsitz des Naturschutzverbandes Niedersachsen
übernommen.
"Meine Umweltverbände", seufzt Sander im Tonfall eines Vaters, der seiner
pubertierenden Tochter das Taschengeld kürzt, um sie wieder auf den Pfad
der Tugend zu leiten. Bei den Umweltverbänden sammeln sich wohl tatsächlich
die erbittertsten Gegner des Ministers: Alle institutionelle Förderung hat
er ihnen gestrichen. Zuschüsse gibts nur noch für Projekte, die auf Sanders
Linie liegen. Die Schwächung der Verbände ist ein Problem, weil die längst
das letzte Korrektiv sind: Wenn Landesbedienstete klagen, die Einhaltung
von Standards nicht mehr einfordern zu können, sobald ein Großprojekt
politisch gewollt ist, bleibt nur noch der Gang vors Verwaltungsgericht -
zu dem die Verbände berechtigt sind.
Amtsmüde ist Sander nicht. Selbst wenn eine Kabinettsumbildung geplant wäre
- der Umweltminister würde seinen Posten wohl nicht so einfach räumen.
Schließlich hat er eine politische Mission - und die hält er noch nicht für
erfüllt. Sein Projekt für die Zukunft: Die Eingriffsregelungen der
Kontrolle des Bundes zu entziehen: "Mit welchen Mitteln wir eine
Industrieanlage oder eine Straße ausgleichen, sollte uns hier in
Niedersachsen überlassen bleiben. Das muss mir niemand aus Berlin oder
Brüssel sagen", findet Sander.
Das würde, so fürchten Naturschützer einen Wettlauf nach unten eröffnen,
bei dem sich die Bundesländer gegenseitig in ihren Naturschutzstandards
unterbieten.
Die spektakulärste Demonstration von Sanders Politikverständnis war jener
denkwürdige Moment, in dem er im November 2006 im Biosphärenreservat
Elbtalaue eigenhändig und vor laufenden Kameras half einen Auwald
abzuholzen. Es hagelte Kritik von der Opposition und eine Abmahnung von der
EU.
Doch noch immer leuchtet das Gesicht des Ministers, wenn er von der Aktion
erzählt. "Jeder Politiker will schließlich irgendwo seine Duftmarke
setzen", sagt er und denkt laut darüber nach, bei Youtube einen Clip mit
der Abholzungsaktion einzustellen: Rücktrittsforderungen, der Zorn der
Verbände - so etwas kümmert Hans-Heinrich Sander wenig. "Ich", so sagt er,
"verspreche meinen Gegnern, noch zehn Jahre im Amt zu bleiben".
29 Oct 2009
## AUTOREN
Anke Lübbert
## TAGS
Landleben
Verkehr
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