| # taz.de -- Historiker Ruchniewicz über Vertriebene: „Es gibt einen Geburtsf… | |
| > Die Geschichte der Zwangsmigration soll ein Forum bekommen – nur leider | |
| > ohne europäische Perspektive. Ein Gespräch. | |
| Bild: Das Deutschlandhaus in Berlin-Kreuzberg. Nach umfangreichen Sanierungsarb… | |
| Im Juni dieses Jahres wählte der Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung, | |
| Versöhnung Winfried Halder zum Direktor jener Stiftung, die CDU/CSU und SPD | |
| vor zehn Jahren im Deutschlandhaus in Berlin gegründet haben, um „an die | |
| Vertreibung von 60 bis 80 Millionen Menschen in der ersten Hälfte des 20. | |
| Jahrhunderts“ zu erinnern. | |
| Hierzulande wird dieses Projekt gern als Projekt des Bundes der | |
| Vertriebenen (BdV) verstanden – und Winfried Halder galt bei seiner Wahl | |
| als politisch geeigneter Kandidat für diesen Posten. Er siegte in der | |
| Abstimmung gegen den Historiker Michael Schwartz, der unter anderem durch | |
| seine Arbeiten zur Verstrickung des Bundes der Vertriebenen in braune | |
| Erbschaften wissenschaftlich starke Meriten errang. | |
| Nach Halders umstrittener Wahl – unter anderem befördert durch die | |
| Unionsvertreter im Beirat, auch aus Koalitionsräson durch die SPD und den | |
| BdV – traten alle ausländischen Vertreter im wissenschaftlichen | |
| Beraterkreis der Stiftung zurück, neben dem Berliner Professor Michael | |
| Wildt der Pole Piotr Madajczyk, Stefan Troebst, Michael Schwartz und | |
| Krzysztof Ruchniewicz, Historiker an der Universität Wrocław in Polen. | |
| Inzwischen hat sich Halder von seinem Posten zurückgezogen, er wird sein | |
| Amt nicht antreten. Über die genauen Gründe schweigen sich alle Beteiligten | |
| aus. | |
| taz: Herr Ruchniewicz, wie beurteilen Sie den Verzicht von Herrn Halder auf | |
| den Posten als Stiftungsdirektor? | |
| Krzysztof Ruchniewicz: Ich kenne die Hintergründe zu wenig, um mich dazu zu | |
| äußern. Doch kann ich wiederholen, was einige meiner Kollegen und mich zum | |
| Rücktritt aus dem wissenschaftlichen Beraterkreis gezwungen hat. Es war | |
| nicht die Person Halder, sondern die Art und Weise, wie unser Expertenkreis | |
| bei dieser wichtigen Personalentscheidung behandelt wurde. | |
| Ich habe Herrn Halder nur einmal während einer Veranstaltung zum 25. | |
| Jahrestag der Versöhnungsmesse in Krzyżowa/Kreisau getroffen. Er war mir | |
| bislang nicht als Experte zu den Themen der Stiftung bekannt – im | |
| Unterschied zu seinem Gegenkandidaten, Prof. Dr. Michael Schwartz. Deshalb | |
| war ich über die Wahl von Herrn Halder persönlich sehr verwundert. | |
| Irgendwie scheint mir der Wurm in dieser Stiftung zu stecken, irgendetwas | |
| läuft schief. Können Sie mir, aus polnischer Sicht, einschätzen, warum | |
| diese Stiftung nicht in einem guten demokratisch-europäischen Sinne | |
| gelingt? | |
| Es gibt meiner Meinung nach einen schwerwiegenden Geburtsfehler dieser | |
| Stiftung, der bis heute nicht behoben werden konnte. Dieser wird in der | |
| Besetzung des Stiftungsrats sichtbar, in dem es einen zu großen Einfluss | |
| der Vertreter des Bunds der Vertriebenen sowie der CDU/CSU gibt, wobei | |
| Letztere sich mit dem BdV auf unterschiedliche Art und Weise verbunden | |
| fühlen. | |
| Es gibt aber noch ein zweites Dilemma: Man konnte bislang den Eindruck | |
| gewinnen, dass sich andere Parteien beziehungsweise Vertreter der Kirchen | |
| und wichtige gesellschaftspolitische Akteure zu wenig engagiert haben und | |
| vieles im Stiftungsrat eher der national-konservativen Mehrheit überlassen | |
| haben. Aus diesem Grund wird die Bundesstiftung in den Medien | |
| fälschlicherweise als Vertriebenenstiftung bezeichnet. Dabei zeigt die | |
| aktuelle Flüchtlingsfrage, wie dringlich Fragen der Stiftung uns alle | |
| angehen. | |
| Haben Sie den Eindruck, dass in Wirklichkeit in diese Stiftung – gegen | |
| ihren ausdrücklichen Gründungszweck – gar keine europäische Perspektive mit | |
| einfließen soll? | |
| In der Arbeit des internationalen Beraterkreises haben wir – wie | |
| unterschiedlich wir auch fachlich und national aufgestellt waren – | |
| versucht, die unterschiedlichen Arten der Migrationsbewegungen europäisch | |
| zu behandeln. Dabei sind wir von einem für die Historiker | |
| selbstverständlichen Ursache-Wirkung-Schema geleitet worden. | |
| Wir hatten eine große und breit angelegte internationale Fachkompetenz im | |
| Beraterkreis, die von manchen Politikern nicht immer geschätzt wurde. | |
| Leider mussten wir bei der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV) | |
| die Erfahrung machen, dass sich einige Politiker angemaßt haben, sich in | |
| unsere wissenschaftliche Arbeit einzumischen. Das fand ich sehr fragwürdig | |
| und gefährlich. | |
| Können Sie sich für die Stiftung noch ein Engagement von Wissenschaftlern | |
| aus Polen vorstellen? | |
| Ich habe fünf Jahre meiner Arbeit in diese Stiftung investiert. Im Jahr | |
| 2010 war meine Entscheidung und die meines Kollegen in Polen nicht | |
| selbstverständlich. Wir haben uns zu Hause nicht immer Freunde gemacht. | |
| Weil diese Stiftung in Osteuropa das Image hat, ein Zirkel von | |
| Erika-Steinbach-Freunden zu sein. | |
| Dank der kollegialen Zusammenarbeit des internationalen Beraterkreises | |
| haben wir gemeinsam mit dem Kollegen Piotr Madajczyk einen kleinen Beitrag | |
| zur Entemotionalisierung und zur Versachlichung der Debatte über diesen | |
| wichtigen Aspekt der europäischen Geschichte leisten können. Nach fünf | |
| Jahren unserer Arbeit waren in Polen keine Vorwürfe gegen uns mehr zu | |
| hören. Wir haben zum Schluss nicht national gearbeitet oder gedacht, | |
| sondern uns als internationales Gremium zu den inhaltlichen Themen | |
| geäußert. | |
| Was sind Ihre Wünsche, um wieder mit anderen Kollegen und Kolleginnen etwa | |
| aus Tschechien, Ungarn, vielleicht der Ukraine in dieser Stiftung | |
| kuratorisch tätig zu werden? | |
| In der Vergangenheit haben wir immer wieder auf den strukturellen | |
| Geburtsfehler im Stiftungsgesetz hingewiesen. Es kann nicht sein, dass die | |
| Arbeit von 15 engagierten Universitätsprofessoren zu einem unbedeutenden | |
| Beratergremium degradiert wird. Dafür ist uns unsere Zeit zu schade. Wenn | |
| unser Fachwissen und internationale Kompetenz gefragt ist, sind wir | |
| selbstverständlich bereit, zu helfen. | |
| Meiner Meinung nach muss das Gesetz dringend novelliert und die wichtigsten | |
| Aufgaben der beiden Gremien müssen noch einmal gründlich überarbeitet | |
| werden. Die Kompetenzen des wissenschaftlichen Beraterkreises sollten | |
| gestärkt werden und der Stiftungsrat sollte eine breitere gesellschaftliche | |
| Basis erhalten. Es kann und darf nicht sein, dass ein einziger | |
| Interessenverband … | |
| … wie der Bund der Vertriebenen … | |
| … die Oberhand hat und damit die wichtigsten Entscheidungen der SFVV | |
| überstimmen kann. Das Deutschlandhaus am Anhalter Bahnhof in Berlin wird | |
| momentan für viel Geld ausgebaut. Die historische Fassade bleibt erhalten, | |
| das Innere wird entkernt, damit dort von 2018 an die Dauerausstellung der | |
| Bundesstiftung präsentiert werden kann. Wie diese Ausstellung beschaffen | |
| sein soll, ist noch offen. | |
| Gewiss ist nur, dass es schon vom Satzungszweck her keine Geschichte der | |
| deutschen Zwangsmigration aus Tschechien, Polen, Ungarn und anderen | |
| deutschen Siedlungsgebieten werden soll – es muss, sonst wäre es nie | |
| gelungen, osteuropäische Wissenschaftler für ihre kuratorische Tätigkeit | |
| gewinnen, eine europäische Perspektive haben. | |
| Inzwischen ist Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die | |
| ermordeten Juden Europas, zum kommissarischen Vorsitzenden der SFVV berufen | |
| worden. Wie bewertet man diese Personalie in Polen, Herr Ruchniewicz? | |
| Ich verstehe sie als eine Übergangslösung. Es bleibt nur zu hoffen, dass | |
| sich Frau Ministerin Grütters dem Projekt stärker widmet und Vorschläge für | |
| die Krisenlösung macht. | |
| Wird sich an der möglichen Kooperation mit polnischen Stellen zur | |
| Vertriebenenstiftung durch den Regierungswechsel in Warschau etwas ändern? | |
| Es handelt sich, wie meine Kollegen und ich unermüdlich betonen, um keine | |
| Vertriebenenstiftung, sondern um eine Bundesstiftung, die sich dem Thema | |
| Zwangsmigration im 20. Jahrhundert widmet. Wobei die Vertreibung der | |
| Deutschen einen Schwerpunkt darstellt. Die ausländischen Mitglieder dürfen | |
| kein Spielball der deutschen Politik sein, von welcher Seite auch immer. | |
| 19 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
| ## TAGS | |
| Vertriebene | |
| Bund der Vertriebenen | |
| Monika Grütters | |
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