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# taz.de -- Gelungene Hommage im Palais de Tokyo: Aktionsfeld öffentlicher Raum
> Die Ausstellung „Ugo Rondinone I ♥ John Giorno“ im Pariser Palais de
> Tokyo ist ein facettenreiches Portrait der New Yorker
> Underground-Legende.
Bild: Installationsansicht Ugo Rondinone: I ♥ John Giorno, Raum „Dial a Poe…
von
Ein schönes Männergesicht füllt die gesamte Leinwand. Geschlossene Augen,
die Lippen entspannt, langsam hebt und senkt sich die muskulöse Brust. In
seiner klassischen Schönheit erinnert der junge John Giorno in Andy Warhols
Experimentalfilm „Sleep“ (1964) an antike Darstellungen des schlafenden
Amor, und tatsächlich fungiert die Liebe als treibende Kraft einer
Ausstellung um den New Yorker Dichter / Künstler, der einst Andy Warhols
Muse war.
„Ugo Rondinone I ♥ John Giorno“ ist ein vielfacettiges Portrait der
Underground-Legende aus dem Umfeld um Robert Rauschenberg, Carolee
Schneeman, William Burroughs und John Cage. Sie ist gestaltet als
achtteilige Installation des Künstlers Ugo Rondinone, der seit 1998 auch
Giornos Lebensgefährte ist. Diese Tatsache durchzieht die Schau wie ein
wärmender Golfstrom, der jedem der acht Räume seine spezielle Temperatur
gibt.
Zentrales Merkmal von Giornos Schaffen ist das Teilen, Leben und
Zusammenarbeiten mit Freunden, und so war es nur konsequent, dass Rondinone
diese Ausstellung als Gemeinschaftswerk von Freunden konzipiert hat, das
zwischen den Genres Performance, Dichtung, Musik und Malerei situiert ist.
Außer in zwei Werken von Rondinone, wird der Dichter umkreist von Arbeiten
von Anne Collier, Angela Bulloch, Verne Dawson, Judith Eisler, Matthew
Higgs, Pierre Huyghe, Francoise Janicot, Elisabeth Peyton, Michael Stipe,
Billy Sullivan, Rikkrit Tiravanija und Andy Warhol. Auch Giornos eigene
Visual Poetry ist zu sehen. Ugo Rondinones zentrale Gestaltungsfragen
waren: wie stellt man ein literarisches Werk künstlerisch dar?
Wie portraitiert man die Komplexität eines Künstlers, Menschen und
Geliebten, der mehrere Kunstformen in sich vereinigt – Dichtung,
Performance, Malerei-, und der die kulturgeschichtliche Epoche der Beat
Generation und der Popart in sich trägt. So wird die Schau zur
Entdeckungsreise, sichtbar durch ein Prisma unterschiedlicher Perspektiven.
Vielschichtig fügen sich so Stimmen, Gesichter, Geräusche, Gespräche,
Bilder und Objekte im Bewusstsein des Besuchers zu einem Fest für John
Giorno.
Angezogen von einem repetitiven Bluessound driftet man zunächst durch einen
dunklen Gang, um von THANX 4 NOTHING umfangen zu werden, der
großformatigen, schwarzweißen Film- und Musikinstallation Rondinones, deren
ausgefeilter Bildrhythmus der Diktion von Giornos gleichnamiger
Gedichtperformance folgt. Der nächste Raum mit seiner raumgreifenden
Archiv-Installation gewährt Einblick in Entwicklung, weitläufige Vernetzung
und Produktionskraft Giornos.
## Ort der Lyrik ist der Stadtraum
Man tastet sich weiter zum zart streichelnden Filmblick von Andy Warhols
Portraits seines Freundes in „Screen Tests“ und „Sleep“, bis hin zu Gio…
spirituellen Buddhismus-Raum, in dem neben einer Reproduktion seines New
Yorker Schreins, Kostbarkeiten aus dem Museum für asiatische Kunst gezeigt
werden. Weiter geht es zu Pierre Huyghes intimer Installation
„Sleeptalking“, die ein Standbild aus Warhols „Sleep“ mit einem Portrait
des heutigen Giorno überblendet, der im Off über die Sechziger- und
Siebzigerjahre spricht.
Giornos Kunst wäre ohne den öffentlichen Raum als Inspirations- und
Aktionsfeld nicht denkbar: „If Andy and Bob can do ist, why can’t I do
it?“, lautete seine Maxime, und wie die Popkünstler nutzte er Found Footage
für seine Gedichte. Auch die Verbreitung von Lyrik fand im Stadtraum statt,
denn Dichtung sollte präsent sein, statt in dunklen Hinterzimmern von ihren
Autoren genuschelt zu werden.
DIAL A POEM (1968) heißt die legendäre Poetry- Performance, für die Giorno
Gedichte von Freunden und Zeitgenossen lesen lies, die auf klobigen
Anrufbeantwortern abgelegt waren und angerufen werden konnten. Ein
Riesenerfolg, dieses erste Telefonkunstwerk, das – wie es Giornos
undogmatischem Wesen entspricht – jungen, wilden AutoInnen gleichberechtigt
neben konservativen einen Auftritt ermöglichte, und das auch nicht davor
zurückschreckte, Rezepte für einen Molotow Cocktail verlesen zu lassen.
## Hippe, lächelnde Rollschuhfahrer
Eine Auswahl der Originale ist in der Pariser Schau auf alten Telefonen zu
hören und ermöglicht über der Stimmen von Allan Ginsberg oder John Ashbery
eine magische Zeitreise. Auch „Street Works“ (1968) ist als Remake zu
erleben: hippe, lächelnde Rollschuhfahrer bieten dem Besucher Gedichte an,
wie 1968 auf dem Times Square.
Fünf Tage nach den Terroranschlägen im November trat John Giorno trotz
aller Sicherheitsbedenken im Palais de Tokyo live auf und Hunderte junger
Leute kamen. Giornos kräftige Stimme füllte den Saal und seine Gedichte
waren bestimmt von Prägnanz, Schlagkraft, Humor, Wärme, Rhythmusgefühl und
einer enormen Hingabe an das Leben. Dichtung sei das „Gefühl der
Menschheit“ sei, schrieb Samuel Becketts 1928 hier in Paris, und wie wahr
dieser Satz ist, zeigten die begeisterten Gesichter im Publikum.
John Giorno feiert das Leben und er versteht sich nicht als politischer
Künstler. Dennoch: als er die Zeilen performte: „there is no God. God is
man made“, ging ein kollektives Aufatmen durch den Saal. In solchen
Momenten triumphierte die Dichtung über die Barbarei. Ganz so, wie die
gesamte Ausstellung ein Triumph der Kunst über die Zeit zu sein scheint.
30 Dec 2015
## AUTOREN
Gaby Hartel
## TAGS
Paris
Schwerpunkt Berlinale
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