| # taz.de -- Die Gebrüder Mann und der Krieg: Mehr als Furor und Thrill | |
| > Warum gab sich Thomas Mann so kriegsbegeistert? Vor 100 Jahren erschien | |
| > Bruder Heinrich Manns Essay „Zola“, der ein Motiv nahelegt: | |
| > Opportunismus. | |
| Bild: Thomas (r.) und Heinrich Mann in Berlin. Die Aufnahme soll aus dem Jahr 1… | |
| Boulevardmoralist, Tugendmaulheld, verlogener Doktrinär, | |
| Humanitätsprinzipienreiter mit Hang zur Guillotine. Dies ist nur eine | |
| kleine Auswahl der Schmähungen, mit denen ein höchst unironischer Thomas | |
| Mann in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (1918) seinen Bruder | |
| Heinrich eindeckt, weil der es drei Jahre zuvor – vor nun 100 Jahren – in | |
| seinem „Zola“, dem berühmten, in den Weißen Blättern erschienen Vortrag | |
| über Émile Zola, gewagt hat, einem Kriegspropagandisten wie Thomas die | |
| Leviten zu lesen. | |
| Empfindlich auf den legendären Essay reagiert aber auch Thomas Manns ewiger | |
| Konkurrent. Robert Musil notiert nach dem Krieg zunächst zwei | |
| Anti-Heinrich-Vokabeln aus den „Betrachtungen“: „Vernunfttyrannen“ und | |
| „Tugendbold“. Letzteren zu entzaubern, versucht der Kriegsfreiwillige dann | |
| selbst. | |
| „Wer schon zu Beginn Kriegsgegner war, musste es fanatisch sein; er spie | |
| der Nation ins Gesicht, er meuchelte sie“, grantelt Musil 1921 in der Neuen | |
| Rundschau. Er kann sicher sein, dass Leser jener Berliner | |
| Literaturzeitschrift vor allem an den frankophilen Heinrich Mann denken | |
| werden, wenn von „vor der Entente palmwedelnden Pazifisten“ die Rede ist. | |
| Und die Abneigung des ehemaligen Gebirgskämpfers soll zäher sein als die | |
| Thomas Manns: Noch 1933 zeigt sich Musil unversöhnlich; vom Exilantenblatt | |
| Die Sammlung rückt er ab, als er erfährt, dass es unterm Patronat des | |
| „blechernen H. M.“ erscheint. | |
| ## Ein anderer Zungenschlag | |
| Woher das Ressentiment zweier Edelbellizisten? Während sie sich bei | |
| Kriegsende mit ihren publizistischen Einsätzen vom Herbst 1914 blamiert | |
| sehen dürfen – Thomas Mann mit der Überhöhung der deutschen Westoffensive | |
| zur Kulturfrage, Musil mit der Schwärmerei vom schönen und brüderlichen | |
| Krieg –, steht der „Meuchler“ als moralischer Gewinner da. | |
| Andererseits ist Heinrich Mann weder der Einzige, der sich 1914 durch | |
| beredtes Schweigen fern vom Heer martialischer Literaten gehalten hat, noch | |
| war der Bruch mit ihnen im Folgejahr so neu. Kritik an eifernden | |
| Schriftstellern (Lehrern und Professoren sowieso) hat Hermann Hesse ja | |
| schon in einem couragierten Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung vom | |
| November 1914 geübt. Doch weist „Zola“ einen ganz anderen Zungenschlag auf | |
| als „O Freunde, nicht diese Töne“. | |
| Wo der schwäbische Pfarrerssohn händeringend eine „unheilvolle Verwirrung | |
| des Denkens“ beklagt, sagt Heinrich Mann „geistigen Mitläufern“ nach, | |
| „durch Streberei Nationaldichter werden“ zu wollen. Sie handelten so wie | |
| 1898 die Alfred-Dreyfus-Gegner von Paris, die Gegner eines zu Unrecht des | |
| Landesverrats bezichtigten Juden und seines Verteidigers Zola. „Der ganze | |
| nationalistische Katechismus, angefüllt mit Irrsinn und Verbrechen – und | |
| der ihn predigt, ist euer eigener Ehrgeiz, dürftiger noch, eure Eitelkeit.“ | |
| Dass dieser Text auf interessegeleiteten Konformismus hinauswill, was | |
| Thomas Mann empört (“Applaussucht, Erwerbssinn“!) und Musil ebenso wenig | |
| gefallen kann, macht ihn noch heute interessant. Denn so geläufig die | |
| literarische Kriegsbegeisterung vor 100 Jahren ist, so merkwürdig ist: Mit | |
| Anpassung, Eigennutz, gar Opportunismus will sie kaum einer erklären. | |
| Weite Teile der Literaturwissenschaft und -kritik gehen von einem | |
| Stimmungsdiskurs aus; die Faszination der Intellektuellen an der | |
| Mobilmachung habe sich einem Überdruss an bürgerlichen Sicherheiten | |
| verdankt. Natürlich gibt es dafür starke Belege, allen voran Musils | |
| Zitatklassiker: „Dieser Mensch von 1914 langweilte sich buchstäblich zum | |
| Sterben!“ Nur: Wenn das Unbehagen am zivilisatorischen Prozess, ein Wunsch | |
| nach Thrill, partout das einzige Motiv gewesen sein soll, kommt es zu | |
| beflissenen Bremsmanövern, wie im Juni 2014 in der NZZ. | |
| Die bescheinigt Thomas Mann zuerst, weil er sich in Friedenszeiten noch | |
| gegen die Zensur eingesetzt hatte, um sich dann bei Kriegsausbruch zum | |
| wilhelminischen Ideologen zu wandeln, einen „ziemlich scheußliche(n) | |
| Gesinnungswechsel“. Aber „,opportunistisch' zu nennen“ sei er „nur auf … | |
| ersten Blick. Gleich vielen Dichtern in Europa verfiel Mann im August 1914 | |
| einer Euphorie, in welcher er den Krieg als Reinigung, Befreiung und | |
| Hoffnung begrüßte.“ | |
| Nun ja. Wieso sollte bekundete Begeisterung Opportunismus ausschließen? | |
| ## Nur die Bildungsbürger waren aus dem Häuschen | |
| Statt einfach den Selbstdeutungen der Propagandisten zu folgen, wäre | |
| Heinrich Manns unfeine Sicht einzubeziehen, zumal im Licht neuerer | |
| Forschung. Problematisch schien lange sein Vorwurf an die Kollegen, sie | |
| hätten dem deutschen Volk „Mut zu dem Unrecht“ gemacht, „zu dem es verf�… | |
| wird“. Das legte den Einwand nahe, dass sie sich nur so verhielten wie die | |
| Masse der Deutschen, beide Seiten der gleiche patriotische Taumel erfasste. | |
| Irrtum, zeigen die Arbeiten der Historiker Jeffrey Verhey (2000) und | |
| Wolfgang Kruse (2014), die allgemeine Kriegsbegeisterung ist eine Mär. Nur | |
| die Mehrheit der Bildungsbürger war aus dem Häuschen, nicht der „Mensch von | |
| 1914“. Neben der Politik „falsche Geistige“ als die treibende | |
| scharfmacherische Kraft zu beschreiben war angemessen. | |
| „Zola sah die gehaltendsten Dichter unvermittelt den windigsten | |
| Journalismus treiben.“ Zielt Heinrich Mann, der deutschen Zensur wegen in | |
| historischer Verfremdung, doch für die Gemeinten klar genug, auf die | |
| politische Wendigkeit von Starautoren, trifft er die Geschmeidigkeit des | |
| Bruders zweifellos. Schon in den „Buddenbrooks“ erklärter Verächter | |
| „preußischer Dienststrammheit“, hat Thomas Mann den Potsdamer Militärstaat | |
| noch in der 1913 geschriebenen (Aus-)Musterungsepisode des „Felix Krull“ | |
| lächerlich gemacht – bekanntlich unschlagbar, weil der Held neben einer | |
| Epilepsie auch „wärmste Bewunderung“ für die Heeresorganisation simuliert. | |
| Verkündet sein Autor bei Kriegsbeginn allen Ernstes „Deutschland ist heute | |
| Friedrich der Große“, kommt das schon etwas unvermittelt. Es ist ein | |
| Schwenk nicht allein aus Affekt oder antiwestlicher, antidemokratischer | |
| Überzeugung. Sondern auch um des eigenen Vorteils willen. | |
| ## Nerviges Pathos und imponierende Risikobereitschaft | |
| Erklärt Zauberer Thomas Mann den völkerrechtswidrigen Überfall des | |
| Deutschen Reichs auf das neutrale Belgien wie den Einfall Preußens ins | |
| neutrale Sachsen (1756) zum „Recht der aufsteigenden Macht“, bespöttelt er | |
| trotz tausender getöteter belgischer Zivilisten den internationalen Protest | |
| als „Lärm“, dann nutzt er die Gunst der Stunde. Endlich das Modell des | |
| machtfernen Intellektuellen, wie es Heinrich seit 1910 verficht, ins glatte | |
| Gegenteil verkehren, endlich dem Bruder eins auswischen. Sich so als | |
| Deutschlands Leitautor zu profilieren, wirkte allerdings euphorisierend. | |
| Wenig mit nationaldichterischen Ambitionen zu tun hat Musils Biegsamkeit | |
| 1914. Wenn er im Tagebuch den Kriegsenthusiasmus hässlich und hetzerisch | |
| nennt, in der Rundschau aber die Wiederentdeckung von Treue, Mut und | |
| Pflichterfüllung feiert, gibt der Österreicher in Berlin dem redaktionellen | |
| Anpassungsdruck nach. Auch versucht er, sich die von Eltern und Erziehern | |
| erwartete Kriegsteilnahme schönzuschreiben. | |
| Zutreffend, prophetisch hingegen wirkt Heinrich Manns Deutungsmuster, | |
| betrachtet man Musils späteres Wirken als Chefredakteur der | |
| Durchhalte-Gazetten Tiroler Soldaten-Zeitung und Heimat (1916–18), | |
| vorzüglich dokumentiert von Regina Schaunig (“Der Dichter im Dienst des | |
| Generals“, 2014). Führt beim Gros der Schwärmer von 1914 der | |
| Erfahrungsschock des Maschinenkriegs zum Spätpazifismus, sucht Musil eben | |
| diesen zu bekämpfen. Beseelt vom Ehrgeiz „kakanischer“ Wortführerschaft, | |
| will der Schriftleiter den Krieg noch im April 1917 mittels Gefechtsprosa | |
| als Österreichs „gewaltige Prüfung für die Zukunft“ verstanden wissen. | |
| Kurz, es ist leicht, Heinrich Manns Urteil vom karrieristischen Irrsinn zu | |
| bestätigen. Uns Nachgeborene kostet das Tadeln nichts. Ihn selbst hätte es | |
| alles kosten können. Als „Zola“ erscheint, sieht es noch keineswegs nach | |
| einer Niederlage der Mittelmächte aus. Bei einem deutsch-österreichischen | |
| Sieg aber wäre er im literarischen Feld erledigt gewesen. | |
| Warum machte sich Heinrich Mann trotzdem an ein deutsches „J’accuse“? Weil | |
| ihn mit dem Leitbild Émile Zola zweierlei verband: nerviges Pathos (“die | |
| Wahrheit siegt immer“) und imponierende Risikobereitschaft. Ihr verdanken | |
| wir die Erinnerung daran, dass es nicht nur der „Rausch des Abenteuers“ war | |
| (Musil), der große Erzähler zur Kriegsapologetik trieb. Schön ist das | |
| Rausch-Narrativ ja, aber verabsolutiert sieht es einem Märchen verblüffend | |
| ähnlich. | |
| 24 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Joch | |
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