# taz.de -- Erfahrungsprotokoll: „Im Grunde eine sehr reiche Zeit“ | |
> Die Bildhauerin Dorothea Buck kennt Psychosen aus eigener Erfahrung. | |
> Damit sie für Außenstehende ihre Bedrohlichkeit verlieren, schildert sie | |
> ihr eigenes Erleben. | |
Bild: Hat ihre Psychose in eine produktive Erfahrung verwandelt: die Hamburger … | |
HAMBURG taz | Ich war am 2. März 1936 gerade bei der Wäsche, es war | |
frühmorgens und mich überfielen drei Sätze, die mich so erschreckten, dass | |
ich laut aufheulte und ich fühlte mich wie zu Boden gedrückt. Es war nicht | |
so, dass ich Stimmen hörte, es war eine Gewissheit. Ich stürzte zu meinen | |
Eltern, die total erschrocken waren. Natürlich, eine Psychose bricht nicht | |
aus heiterem Himmel auf, es waren fünf Wochen einer Lebenskrise | |
vorausgegangen, von der sie aber nichts bemerkt hatten. | |
Der erste Satz war, dass ein ungeheuerlicher Krieg kommen würde, der zweite | |
war, dass ich Braut Christi sei, der dritte Satz war, dass ich einmal etwas | |
zu sagen haben würde, die Worte dazu von selbst kommen würden. Und nun die | |
Braut Christi: Ich habe mich fünf Wochen lang um einen Zugang zu Jesus | |
bemüht, es war mir zu schwierig, einen Gott zu haben und dazu noch einen | |
Jesus. Ich fand auch, Jesus hatte wenig vom Humor seines Vaters und ich | |
fand es auch nicht in Ordnung, dass er am Ende der Welt die Menschen, die | |
schließlich seine Brüder und Schwestern waren, richten und sogar in die | |
Hölle werfen wollte. Und nun sollte der mein Bräutigam werden – das wollte | |
ich gar nicht so gerne. | |
Ich sagte mir: Wie Jesus sich mit mir langweilen würde, wenn ich ihm | |
nachzueifern versuchte. Ich hatte den Schluss gezogen, dass ich nur meine | |
eigene Natur entwickeln sollte. Und das war wiederum eine Befreiung. Ich | |
wollte ja Kindergärtnerin werden und machte damals das praktische Jahr, das | |
dazu erforderlich war, zu Hause. | |
Meine Mutter sagte nun als Reaktion, ich sollte nun von ganzem Herzen die | |
Hausarbeit tun. Aber das war ein schlechter Rat, wenn das Kind so | |
erschüttert ist. Da hätten meine Eltern erst einmal fragen müssen: Was ist | |
denn vorausgegangen? Mein Vater als Pfarrer wälzte gleich die Konkordanz, | |
in der die biblischen Symbole erklärt sind, die Braut Christi war da die | |
Gemeinschaft der Heiligen. Er wollte mich widerlegen, dass nicht ich als | |
Einzelperson gemeint sein könnte, sondern die Gemeinschaft der Heiligen. | |
Dann habe ich mich erst einmal ins Bett gelegt, weil ich so erschöpft war, | |
und überlegte, was ich als Braut Christi mal tun könnte. Jesus hatte ja | |
weniger den Spaß im Kopf als die Freude und ich dachte, ich übernehme die | |
Kinder als zukünftige Kindergärtnerin und er die Erwachsenen. | |
## Genügend durchgespielt | |
Es ist immer wichtig, dass man mit so einer aufgebrochenen Vorstellung | |
spielt, wenn man es genügend durchgespielt hat, dann hat die Vorstellung | |
nicht mehr einen solchen Reiz. Ich habe diese Erfahrung lange nicht als | |
Psychose verstanden, gerade wegen dieses Überwältigt-Seins konnte ich mir | |
nicht vorstellen, dass es aus mir selber kam. Das ist typisch für die | |
Schizophrenie: es ist ein ganz anderes Erleben und deshalb bewerten wir es | |
nicht als von uns selbst kommend, sondern als von außen, von Gott oder | |
anderen Mächten eingegeben. Und dadurch hat es viel mehr Glaubwürdigkeit. | |
Wenn wir es von vorneherein als von uns, aus dem eigenen Unbewussten | |
aufgebrochen, erkennen würden, wären wir ja viel kritischer, dann würden | |
wir das alles mehr hinterfragen. So nehmen wir es so folgsam hin. | |
Ich erlebte dann, dass die Impulse aufbrachen, gerade die Schizophrenie | |
lebt ja von diesen Impulsen. Ich konnte plötzlich besser kochen, vorher | |
hatte ich immer ins Kochbuch gucken müssen und nun überließ ich einfach | |
meinen Händen, was sie an Zutaten griffen und es schmeckte besser als | |
sonst. Ich habe diese Impulse als positiv gewertet und nahm mir vor, nur | |
noch nach ihnen zu handeln. Das ist der Unterschied zu vielen anderen | |
Schizophrenen, die große Angst haben, die Kontrolle zu verlieren. Im | |
Unbewussten sind die Emotionen drin, das Künstlerische, das sind ja immer | |
Impulse und Eingebungen. | |
Ich habe fünf Psychosen gehabt in der Zeitspanne von 1936 bis 1959. Auf der | |
einen Seite bleibt es immer gleich, dieser Aufbruch des Unbewussten – das | |
habe ich aber auch erst in meinem letzten Schub erkannt. Das Wesentliche | |
ist eigentlich das veränderte Welterleben, man spürt überall | |
Sinnzusammenhänge, ohne sie näher benennen zu können. Gäbe es das nicht, | |
würde man diese Erfahrungen wahrscheinlich nach dem Aufwachen wie einen | |
Traum bewerten. | |
Wenn ein Patient später Beziehungs- und Bedeutungsideen äußert, sagen | |
unsere Psychiater sofort: Das ist eine Schizophrenie. Aber er fragt nicht, | |
aus welchem Grunde das so ist. Ich habe die völlig gesprächslose | |
Psychiatrie erlebt und bei den Biologisten gibt es sie immer noch, sie | |
sehen das Ganze ja nur als Hirnstoffwechselstörung und lassen sich gar | |
nicht erzählen, was der Patient erlebt und wie es ausgebrochen ist. | |
Es wird keine Psychose ausbrechen ohne eine vorausgegangene Lebenskrise, | |
ebenso wie bei den Körperkrankheiten, die ja eigentlich Heilungsversuche | |
sind, ist es auch bei der Psychose. Nur wird das nicht verstanden, häufig | |
von den Betroffenen selbst nicht, ich war auch total ratlos damals. | |
Die Psychose aus mir selbst kommend zu erkennen, ist mir erst bei meinem | |
fünften und letzten Schub deutlich geworden. Da teilte ich das Zimmer mit | |
einer anderen Patientin, die aus einem nächtlichen Traum mit einer schweren | |
Psychose aufwachte und eine andere Sprache sprach. Sie betonte die zweite | |
Silbe, statt wie im Deutschen die erste, und die Sprache klang wie | |
Französisch, ohne es der Wortbildung nach zu sein. Nun wusste ich von ihr, | |
dass sie aus einer Hugenottenfamilie stammte. Sie war Hauptschülerin, die | |
Eltern waren Hauptschüler, sie hatte nie Französisch gelernt. Ich schloss | |
daraus, dass sich dieser französische Sprachrhythmus in ihrem Unbewussten | |
niedergeschlagen und dann in ihrer Psychose aufgebrochen war. Und daran | |
wurde mir klar, dass die Psychose aus uns selber kommt. | |
Ich sagte mir: durch das Aufbrechen dieser Kraft, dieses Instinktive stauen | |
sich die Gefühle nicht – ich will aus diesen inneren Impulsen leben. Das | |
tun die meisten nicht, sie leben aus dem Verstand heraus. Im Grunde ist es | |
eine sehr reiche Zeit und es ist nichts verkehrter als die Psychiater, die | |
die Patienten erst reduzieren durch ihre Neuroleptika. Sie werden | |
stillgelegt. | |
## Symbol-Ebene verstehen | |
Für einige ist die Erfahrung einer Psychose durchaus beängstigend, das | |
Erleben ist dadurch gekennzeichnet, dass sie davon überwältigt werden, sie | |
können sich nicht dagegen wehren – und wenn man die Symbol-Ebene nicht | |
versteht, ist es erschreckend. | |
Meine Eltern sahen es als nur krank, es hieß von den Fachleuten, man darf | |
mit den Betroffenen nicht über ihr Erleben sprechen, weil es dann wieder | |
aufbrechen würde – das ist natürlich verkehrt. Nun haben meine Eltern die | |
ganzen Jahre nie mit mir darüber gesprochen, was ich unverständlich fand. | |
Sie kannten mich doch nun, als meine Psychose aufbrach, seit 19 Jahren, nun | |
gaben sie die Verantwortung an die Psychiater in Bethel ab, wo ich in einem | |
dreiviertel Jahr kein einziges ärztliches Gespräch erlebt habe. Der | |
Psychiater und Philosoph Karl Jaspers hat das seelendumm genannt und das | |
kann man wohl sagen, diese Art Ärzte sind Seelendummköpfe. Es sind so | |
wichtige und unvergessliche Erfahrungen, es wäre wichtig, man spräche | |
darüber, um sie sich selbst erklären zu können. Aber die Beteiligung der | |
Ärzte an den Patienten-Morden unter den Nazis zeigt ja, wie wenig sie sich | |
in ihre Patienten hineinversetzt haben. | |
Mit den Neuroleptika hat man nur eine Symptom-Verdrängung, keine Heilung. | |
In der Ex-In-Ausbildung werden diese Menschen mit Schizophrenie-, | |
Borderline oder Depressionserfahrung als Erfahrungsschatz gesehen. Sie | |
glauben gar nicht, wie diese Menschen, die an der Ex-In-Ausbildung | |
teilnehmen, aufblühen. Immer wurden sie nur als defizitär und unheilbar | |
krank gesehen, wenn sie die Medikamente nicht bis an ihr Lebensende nehmen. | |
Ihnen wurde gesagt, dass sie ihr Studium besser abbrechen sollen, weil sie | |
es doch nicht schaffen. Die Psychiater verursachen das aber durch ihre | |
abwertende, nur defizitäre Sichtweise selbst. Man ist zutiefst verunsichert | |
und das bereitet den Boden für neue Schübe, wenn die Psychose als | |
Erleichterung erlebt wird – und ich habe sie jedes Mal als Erleichterung | |
erlebt. | |
Eine Schizophrenie ist für einen Normalen nicht zu verstehen, er erlebt die | |
veränderte Welterfahrung nicht, es ist ihm völlig entglitten. Früher war | |
das anders, im Mittelalter war das religiöse Erleben sehr verbreitet, im | |
alten Griechentum wurden die sogenannten Verrückten als den Göttern | |
besonders nahestehend verehrt. Bei uns ist jedoch die Norm der Maßstab. | |
27 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
## TAGS | |
Psychiatrie | |
Patienten | |
Psychische Erkrankungen | |
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