# taz.de -- Reise nach Hessen: Dotterdurst in Limburg | |
> Limburg dürfte die höchste Eierautomatendichte der Welt haben. Ein | |
> Protokoll aus der Stadt der Fertilität und des Heiligen Stuhls. | |
Bild: Das Tebartz-Häusle am Domplatz. | |
8.30 Uhr: Umstieg in Gießen. Einmal im Leben die berühmte | |
Elefantenkotstulle sehen, ein Fußgängerüberweg, der nach Scheiße riecht. | |
Warum, das lässt sich nicht ausmachen. Auf dem Rückweg zum Bahnhof brettert | |
die Buslinie 43 Richtung Königsberg vorüber, das tapfere Regimenter kurz | |
vor Kriegsende unter dem Gesange „Deutschland, Deutschland“ hierhin, nach | |
Gießen, verfrachtet haben. | |
9.45 Uhr: Unterwegs in die Heiligkeit Limburgs. Kanudiktatur auf der Lahn. | |
Blockabschnitt, Blocksignal, Blockwart; Notbremse: „Missbrauch strafbar“. | |
Na, sag das mal dem Bischof. Es passiert Runkel (wie die Landschaft). | |
10.15 Uhr: Ankunft in der Brunftstadt. Frage: Was mache ich hier | |
eigentlich? Aber das fragt sich hier wohl jeder. Schon die Pollen sind | |
paarungsbereit, signalisiert die Nase. Die alte Frau dahinten ist | |
schwanger. Hossa, die Natur. Idee: fortan permanent nur noch im Dreieck | |
Gießen–Limburg–Frankfurt Bahn fahren, dabei nie die Richtung wechseln. Oder | |
aber zwischen: Montabaur, Herkunft des Bruchpiloten Andreas K.; Bad Ems, wo | |
Bismarck viel Zeit mit seinem Hund auf dem Berghof verbrachte und | |
Panzerschokolade futterte; und eben Buttercreme-Limburg. So planbar, so | |
sicher, so sauber. | |
10.30 Uhr: „Gemeinsam Folter stoppen“ steht auf einem „Amnesty“-Plakat … | |
der Bahnhofskirche (welche Stadt hat schon eine Bahnhofskirche?) – und | |
weiter: „Setzen Sie sich gegen Folter und Misshandlung ein. Denn Folter | |
stoppen heißt Menschen schützen. Nehmen Sie an Amnesty-Aktionen teil. | |
Unterzeichnen Sie unsere Petition hier vor Ort oder auf: | |
www.stopfolter.de“. Wow! So viel Selbstkritik hätte man den Heiligen gar | |
nicht zugetraut. Das nennt man zielgenaue Werbung! | |
10.45 Uhr: Simulation von Kulturleben in der Stadt in Gestalt eines | |
Buchladens. Es liegen nebeneinander: Bücher von Papst Franziskus, Jürgen | |
Todenhöfer, über Dschihadismus und Ukraine. Weitere Ausprägung: | |
vollgekotzte Stellwand der Nassauischen Neuen Presse – Rentnerthemen, | |
Straßenbau, Verkehr, Straßenbau, „Lama-Kreativ-Tage“. Nein, das ist keine | |
Simulation von Kulturleben – das ist eine Simulation von Existenz. Limburg | |
ist mit einer Autobahn, einer ICE-Sauspiste, vier Bundesstraßen, | |
fünfundsiebzig Kirchen, 800 Kilometern Bundeswasserstraße und Millionen | |
plattgetrampelter Renter planiert – also der klassische Fall einer | |
übererschlossenen Stadt. Es gibt nur Verkehr – ob auf der Straße oder im | |
Beichtstuhl. | |
11.05 Uhr: Besuch der städtischen „Kunstsammlungen“. Sonderausstellung „… | |
Limburger Dom aus 100.000 neuen Perspektiven“ ergänzt Dauerausstellung „Der | |
Limburger Dom aus einer Million klassischer Perspektiven“. Irre ich mich – | |
oder hat das Gebäude etwas Phallisches? Muss aufhören, so zu denken. Nicht | |
so werden wie sie. Keine Selbstgespräche mehr. | |
11.35 Uhr: Fachwerkfaschismus. Sodomie in der Fußgängerzone: Eine geile | |
Giraffe macht Plakatwerbung für Sonnenbrillen. Den Laden besser nicht | |
betreten. Limburg ist eine wechselwarme Stadt: Je wärmer es ist, desto | |
rammeliger werden seine Bewohner. Die Rentnerbutterinvasoren aus Mörfelden | |
und Üppsli-Sprüngli haben ihre Krüge zwar noch randvoll mit Lahn- und | |
Dillwein, kriegen aber jetzt schon nichts mehr mit. | |
11.55 Uhr: Auf zur „Plötze“! Hinter dem Namen verbirgt sich eine brunnerne | |
Steinskulptur, die Limburgs vermeintlich derbster Schlampe nachempfunden | |
ist. In ihrem Wasser ertränken die Einheimischen Katzen. | |
12.15 Uhr: Jeder, der kann, kraxelt die steilen Felswände hinauf zum Dom. | |
Halbtote, Rentner, halbtote Rentner und ihre Sherpas peitschen sich | |
gegenseitig mit glühenden Eisenkruzifixen hoch. Wer nicht spurt, kommt in | |
die Hölle. Ich habe die Stadt mittlerweile zum zehnten Mal auf | |
verschiedenen Wegen durchquert und merke: Limburg hat mehr Kirchen als | |
Einwohner. Denn lässt man die Touristen weg, bleiben nur die | |
Fleischverkäuferin Adalberg Weinfick, der zahnlose Spargelstecher Dionyswaf | |
Brunftschrei und die arbeitslose Rentnerstecherin Ilona Pommes, der | |
Taxifahrer, dessen Namen niemand kennt, die paar Hanseln von der | |
Nassauischen Neuen Presse, die mit ihrem Blättle alle Fäden in der Hand | |
halten, alle Analfissuren zusammenschnüren und den Mythos Limburg mit | |
Berichten über Fahrbahnmarkierungsfragen aufrechterhalten. | |
12.35 Uhr: Ich betrete den Dom; schlaganfallartig fällt der Altersschnitt. | |
Die meisten Alten delirieren ohnmächtig am Boden. Derweil schaue ich mir | |
die nach Schwanzlänge geordneten Gesangbücher und den „Limburger Domführer | |
für Kinder“ an – „Hallo Kinder! ... Ihr wollt den Dom kennenlernen?“; … | |
wollen sie nicht! – und entsinne mich der unendlichen Weisheit der | |
Deutschen Bahn: „Missbrauch strafbar“. | |
12.45 Uhr: Der für 2.000 Jahre erstaunlich plastisch-braunbärtige Jesus | |
sucht nach Oskarchen Matzerath, findet aber nur Schuppenflechte und tote | |
Hautstücke zu seinen Füßen. Durchhalten, Kumpel! | |
13.00 Uhr: Raus aus dem Dom und auf einmal: Was haben wir denn da? Das | |
Tebartz-Häusle! Die noch stehfähigen Rentnerinnen und Rentner wildpinkeln | |
an das beheizte Klingelschild. Der Souvenirshop gegenüber bietet | |
„Watsch’n“-und „Weichteilkruzifixe“ an. Das Diozemösenmuseum ist | |
„geöffnet“. | |
13.30 Uhr: Die Alten sind hacke. | |
13.45 Uhr: Flucht zum Egg-Hotspot Lindenholzhausen. Definitiv ein schönerer | |
Ortsname als der des 3,7 Kilometer mit dem Fahrrad entfernten | |
„Niederbrechen“. Absurde Leere am Bahnhof. Reicher Vorort des reichen | |
Limburg. Woher kommt all der Reichtum? | |
14.00 Uhr: Auf dem Weg zur Ortsmitte. Wieder geht es stramm bergauf. Die | |
Luft ist geschwängert von Rindenmulch. Zwei japanische Kampfkunstschulen | |
liegen auf dem Weg, dazwischen die Post. Zufall? Fast vergewaltigt mich ein | |
Huhn mit vergrößerten Brüsten. Kampf, Huhn und Ei bestimmen hier das Leben. | |
14.10 Uhr: Aber, aber, alter, freundlich grüßender Mann! Rase nicht zu | |
schnell den Berg hinunter! Neben den Rasen sauberlecken ist das offenbar | |
der Volkssport der Huhn- und also Freudlosen unter den Einwohnern | |
Lindenholzhausens – die Grenze zum Suizid ist fließend. Wer aber ein Huhn | |
überfährt, wird kastriert. Die beiden Eierautomaten, die ein siamesisches | |
Bauernpaar nach seiner Trennung etwa 200 Meter voneinander entfernt baute, | |
sind der ganze Stolz des Dorfes. Zehn Hühner halten in den Geräten je | |
gleichzeitig ihren Arsch in die kalte Zugluft; für jedes Ei, das auf den | |
Boden klatscht, gibt es einen Minuspunkt. 5.874 Hände mussten seit der | |
Errichtung der Automaten amputiert werden, weil der Münzschlitz blockierte. | |
Aber unzählige Besoffene konnten dank ihnen nachts ihren Dotterdurst | |
stillen. Die Eier aus dem Automaten sind mit denen aus dem Karton absolut | |
gleichwertig und können wie diese problemlos als Türstopper, Feuerstein, | |
Arschpfropfen, Aschenbecher oder Scheibenkleister genutzt werden. | |
14.35 Uhr: Entbehrungsreich war der Weg hierhin. Und nun? Beide | |
Eierautomaten, die etwa 200 Meter trennt, sind leer. „Wesche dää Hitz‘“, | |
sagt die alte Frau, die aus dem Haus kommt und wohl nicht mehr regelmäßig | |
legt. „Vierzig Joar habbe mer dänn scho, des gibs nur hier, is ä rischtsche | |
Sehennswürrdischgeid worn“, gackert sie begeistert. Der Bauer hat offenbar | |
gut in sie investiert. | |
15.30 Uhr: Genug. Fußmarsch zum ICE-Bahnhof „Limburg Süd“. Wie Panzer | |
donnern die Züge durch den Bahnhof. Der Wartende lebt in ständiger Angst | |
vor dem nächsten. Kommt er hier je wieder weg? | |
Fazit: Limburg ist ein Stück alte Bundesrepublik. Der Frankfurter Kranz ist | |
hier noch Frankfurter Kranz, Lahn noch Lahn, Dill noch Dill, und geiler | |
alter prügelnder Bock noch geiler alter prügelnder Bock. Was hier zählt, | |
ist elementar: Zusammenhalten. Fresse halten. Messe halten. | |
5 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
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