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# taz.de -- Hindunationalismus in Indien: „Schweigen ist auch Beihilfe“
> Literaten geben Preise zurück: Indische Schriftsteller protestieren gegen
> ein Klima der Intoleranz und mörderische Angriffe.
Bild: Der bei einem Angriff mit Ölfarbe verschmierte Sudheendra Kulkarni bei e…
41 indische SchriftstellerInnen haben in den vergangenen Wochen aus Protest
gegen ein wachsendes Klima der Intoleranz und gegen die Morde an zwei
Autoren ihren „Sahitya Akademi Award“, die höchste literarische
Auszeichnung Indiens, zurückgegeben. „Ich habe noch nie diese Art von
Feindseligkeit gesehen.
Während des Ausnahmezustands (unter Premierministerin Indira Gandhi 1975
bis 1977, die Red.) litten wir unter der Zensur, aber unser Leben war nicht
bedroht“, sagt Uday Prakash, ein bekannter Hindi-Autor, dessen Werke auch
ins Deutsche übersetzt sind. „Schriftsteller sind einsame Figuren, die sich
nicht schützen können. Wir müssen zusammenhalten“, sagte er als Begründung
für die Rückgabe des renommierten Preises.
Ende August war der Dichter und Gelehrte M. M. Kalburgi (77) in seinem Haus
im Bundesstaat Karnataka erschossen worden. Im Februar war Govind Pansare
(81), Autor zahlreicher historischer Werke und ein bekannter Politiker der
Kommunistischen Partei (CPI) vor seinem Haus in Mumbai ermordet worden. In
beiden Fällen wird vermutet, dass die Täter aus dem hindunationalistischen
Spektrum kamen.
Die Morde sind der traurige Höhepunkt einer Reihe von Ereignissen, die die
Kunst- und Meinungsfreiheit in Indien bedrohen. Angegriffen werden dabei
stets Autoren, die sich entweder im weitesten Sinne mit dem Hinduismus
auseinandersetzen oder aber als Muslim- oder Pakistan-freundlich gelten.
## Attacken ohne Antwort
Vergangene Woche wurde Sudheendra Kulkarni, Vorsitzender der Observer
Research Foundation (ORF), einer Denkfabrik in Mumbai, von einem Mob der
hindunationalistischen Regionalpartei Shiv Sena mit schwarzer Ölfarbe
attackiert. Kulkarni hatte den ehemaligen pakistanischen Außenminister
Khurshid Mahmud Kasuri zu einer Buchpräsentation eingeladen. Voriges Jahr
nahm der Verlag Penguin India das Buch „The Hindus. An Alternative History“
(2009) der bekannten amerikanischen Indologin Wendy Doniger nach massiven
Protesten von Hindunationalisten vom Markt.
Die Schriftsteller protestieren gegen das Schweigen der Sahitya Akademi und
gegen die Regierung in Neu-Delhi. „Ich bin zutiefst verstört darüber, dass
die Akademie sich nicht zum Mord an Kalburgi geäußert hat“, sagt die
Autorin Shashi Deshpande, die ihren Preis zurückgegeben hat und auch aus
dem Rat der Akademie zurückgetreten ist. „Es ist klar geworden, dass
Schriftsteller, die als Gewissen der Gesellschaft galten, nicht länger als
intellektuelle Führer betrachtet werden. Ihre Stimme zählt nicht mehr.
Schweigen ist eine Form von Beihilfe“, sagte sie.
Premierminister Narendra Modi hatte bis vergangene Woche damit gewartet,
sich zu diesen Vorfällen und dem Mord an einem muslimischen Mann zu äußern,
der in seinem Dorf im Bundesstaat Bihar von einem Mob erschlagen wurde,
weil er angeblich Rindfleisch verzehrt hatte. Die Kuh gilt in Indien als
heilig. Modi bezeichnete den Vorfall mit schwachen Worten als „traurig“ und
„unwillkommen“, was erneut Kritiker auf den Plan rief, gilt der Premier
doch ansonsten als brillanter Redner.
## Verbindung zum Premier
„Es ist gut, dass der Premierminister sich, verspätet, aber immerhin, dazu
geäußert hat“, sagt der mit Farbe attackierte Sudheendra Kulkarni. „Die
Atmosphäre, die solche Ereignisse begünstigt, muss geändert werden. Das ist
die Verantwortung des Premiers. Der Regierungschef muss für Toleranz
sprechen.“
Während Modis Amtszeit als Ministerpräsident im Bundesstaat Gujarat kamen
2002 bei antimuslimischen Ausschreitungen rund 1.000 Menschen ums Leben.
Als junger Mann war Modi selbst Mitglied in der hindunationalistischen
Kaderorganisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), die nun der Meinung
ist, dass sie mit ihren Aktivisten maßgeblich zu seinem überwältigendem
Wahlsieg 2014 beigetragen hat.
Es stellt sich daher die Frage, ob und wieweit Modi die radikalen Elemente
in seinem eigenen politischen Umfeld bekämpfen kann und will. Sein
Kulturminister Mahesh Sharma jedenfalls zeigte wenig Verständnis für die
Schriftsteller. „Wenn sie meinen, dass sie nicht in der Lage dazu sind zu
schreiben, dann sollen sie damit aufhören“, so der Minister.
Die Autorin ist freie Journalistin in Delhi und als entsandte Expertin zur
Zeit Mitarbeiterin der in dem Text erwähnten Observer Research Foundation.
22 Oct 2015
## AUTOREN
Britta Petersen
## TAGS
Indien
Hinduismus
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