# taz.de -- Artifizielle Dokumentation aus Portugal: Im Anschauen versinken | |
> Der Film „Horse Money“ von Pedro Costa folgt der Spur historischer | |
> Fotografien auf seinem Weg durch das Lissaboner Armenviertel Fontainhas. | |
Bild: Der ate Mann in „Horse Money“. | |
Die Bestimmung des Orts Fontainhas fällt nicht leicht. Die Suchmaschine | |
bietet beim ersten Treffer zwar einen Kartenausschnitt an, wie man sich das | |
für Orte erwartet, der aber markiert ein aus portugiesischer Kolonialzeit | |
erhaltenes Viertel in Panaji, der Hauptstadt der beliebten indischen | |
Touristendestination Goa. | |
Ein anderer Treffer verweist auf eine Siedlung in Kap Verde. Ergänzt man | |
„Fontainhas“ um „Lissabon“, weil es doch um das gleichnamige, sogenannte | |
Armenviertel in Portugals Metropole geht, werden Hinweise auf Pedro Costas | |
Filme gelistet: auf die Fontainhas-Filme des Regisseurs, die kürzlich im | |
Berliner Arsenal zu sehen waren (siehe taz vom 24. September). | |
Auch wenn man aus dem Begleittext zu der DVD-Edition, die im globalen | |
Filmkanon Criterion Collection erschienen ist, erfahren kann, dass der Slum | |
Fontainhas nicht mehr existiert, so erscheint gerade der Versuch, ihn zu | |
finden, als letztlich genaue Bestimmung: Fontainhas, wo die | |
unterprivilegierten Arbeiter aus der einstigen Kolonie Kap Verde lebten, | |
ist kein konkreter, sondern eher ein historischer-politischer Raum. Der | |
schließt – siehe Goa, siehe Kap Verde – die fernen Horizonte der alten | |
geopolitischen Hierarchie ein und geistert heute durch die Filme von Pedro | |
Costa. | |
## Lob des mutigen Verleihs | |
„Horse Money“ (im Original: „Cavalo Dinheiro“) heißt Costas jüngste A… | |
der der kleine Nürnberger Verleih Grand Film bravourös einen Kinostart | |
verschafft; dass eine große Zahl von Zuschauern sich auf Costas hoch | |
artifiziell-dokumentarischen Film sich einlassen werden, ist nicht | |
unbedingt zu erwarten. | |
Schon weil auch hier die Bestimmung des Orts am Beginn eine Suchbewegung in | |
Gang setzt: Zu sehen sind Fotos von Jacob August Riis, einem | |
dänischstämmigen Fotografen, der Ende des 19. Jahrhunderts in New York | |
Armenquartiere ablichtete: geduckte Menschen unter flachen Decken, | |
zusammengebastelte Holzbuden an unbefestigten Wegen, Tote, Müde, sehr viele | |
Leute auf wenig Platz. Gerade im Vergleich zu Walker Evans, dem Chronisten | |
der amerikanischen Depression, zeigen Riis’ Fotos ein viel ungeschützteres | |
Bild von Armut – Gemeinschaft ist hier größer als die Familie, das Gesicht | |
weniger individuell. | |
Costas Film setzt sich über diese Standbilder in Bewegung. Der Ton | |
schreitet zuerst mit hallendem Gang in die Abfolge der Fotos, ehe die | |
Kamera, die sich schon zaghaft an kolorierte Versionen der Aufnahmen gewagt | |
hat, auf einem farbigen Porträt eines jungen Mannes landet (womöglich das | |
des Hauptdarstellers Ventura) – und von dort hinüberschwenkt in den Film. | |
## Die Stadt als Studio | |
Ein alter Mann, eben der aus früheren Filmen bekannte Ventura, geht eine | |
dunkle Treppe hinab in eine Art Krankenverließ, durch das er traumgleich | |
wandelt. Eile hat „Horse Money“ nicht, die Menschen stehen hier mitunter im | |
Raum wie Statuen vorm nächtlichen Lichtermeer oder geheimnisvoll lächelnde | |
Brunnenputten. Und eine der auffälligsten Bewegungen ist der Tremor der | |
linken Hand von Ventura. | |
Auf den dokumentarischen Gestus von Riis’ Fotos kommt Costa ziemlich genau | |
in der Mitte des Films zurück. Dann löst die Musik der kapverdischen Band | |
Os Tubarores (“Alto Cutelo“) eine Reihe von Standbildern aus, bei der – | |
eher Walker Evans, als Jacob August Riis – einzelne Fontainhas-Bewohner vor | |
Fassaden fotografiert werden. Der städtische Hintergrund bleibt dabei | |
studiohaft unwirklich, weil der ganze Film von einem strengen, die | |
Künstlichkeit der Anlage betonenden Lichtkonzept getragen wird. Das Hell | |
ist tiefgelb, fast orange warm und das Dunkel von alles verschluckender | |
Schwärze. | |
## Das Rätselhafte als Schutz | |
Den Figuren bleibt indes genügend Raum, um in dieser Umgebung nicht auf | |
wohlfeile Weise stilisiert zu werden, nämlich als arme Menschen, deren | |
entbehrungsreiches Leben in pittoresken Falten Bella Figura macht vor der | |
Kamera. Die Rätselhaftigkeit des Plots, die Unschärfe der Handlungen bilden | |
den Schutzraum von Costas Darstellern, die nicht ihre Authentizität zu | |
Markte tragen müssen, sondern zu einer eigenen Erzählung finden in dem | |
durchkomponierten Film. Was die Arbeit mit Laien angeht, dürfte „Horse | |
Money“ neue Maßstäbe setzen. | |
Denn der Film choreografiert die Geschichten seiner Hauptdarsteller – die | |
der Frau Vitalina, die aus Kap Verde angereist, nach ihrem angeblich toten | |
Mann sucht. Und die des Mannes Ventura, dessen Geschundensein immer wieder | |
rekurriert auf die Übergangszeit nach der Nelkenrevolution, den | |
historischen Moment, als sich die einstig koloniale Beziehung zwischen | |
Portugal und Kap Verde in eine scheinbar rein ökonomische umwandelte. | |
Am beeindruckendsten gelingt das in einem über zwanzigminütigen | |
Schlussakkord, in dem Ventura neben einem stummen Soldaten der | |
Befreiungsarmee in einem Fahrstuhl steht und mit den Stimmen seiner | |
Geschichte konfrontiert ist. In einem Fahrstuhl, der nicht fährt. | |
8 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Matthias Dell | |
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