# taz.de -- Späte Ehrung: Der wahre Mr. Beat-Club | |
> Gerd Augustin wird von Radio Bremen endlich als der anerkannt, der er | |
> war: Ideengeber und Moderator des legendären Beat-Clubs. | |
Bild: Gerd Augustin hatte als erster die Finger dran am legendären Beat-Club. … | |
Enorm lange, pinkfarbene Fingernägel umgreifen das Mikro, enorm spitz sind | |
sie auch. Wie konnte Uschi Nerke mit solchen Fingerwaffen ihre Hand | |
überhaupt tief in Gips drücken? In Bronze gegossen liegen die Abdrücke nun | |
auf dem Boden der Lloyd-Passage, Bremens „Mall of Fame“. Nerke wird als | |
Moderatorin des legendären Bremer Beat-Clubs geehrt, der als erste | |
Musiksendung des deutschen Fernsehens Geschichte schrieb. Viel wichtiger | |
ist allerdings das andere Händepaar. | |
Es gehört zu Gerd Augustin, der eher still daneben steht. Dass er überhaupt | |
dort steht, ist etwas Neues: Es ist späte Gerechtigkeit. 2005, als 40 Jahre | |
Beat-Club gefeiert wurde, war Augustin nicht dabei, er galt dem Sender als | |
Persona non grata. Er fühle sich „um meine Lebensidee betrogen“, sagte | |
Augustin damals. Aber auch unter anderen Aspekten war die damalige Feier im | |
„Aladin“ musikhistorischer Schmu: Statt die Bands von damals wie | |
„Mushrooms“ oder die „Yankees“ einzuladen, ließ Radio Bremen die Scorp… | |
und Peter Maffay auftreten – die mit dem Beat-Club nichts zu tun hatten. | |
Zurück ins Hier und Jetzt der Lloyd-Passage: Auf roten Turnschuhen trabt | |
ein ewig junger Jörg Sonntag heran, der im Zuge des Beat-Club vom | |
Kabelträger zum persönlichen Kaffeeholer des zuständigen Redakteurs Mike | |
Leckebusch aufstieg – und später ebenfalls gern als Beat-Club-Erfinder | |
gehandelt wurde. Dass mit dem Kaffeeholen dementiert Sonntag allerdings mit | |
einem durchaus substanziellen Argument: Er habe für Leckebusch gar keine | |
Heißgetränke holen können, da dieser immer nur Whisky trank. | |
Der Beat-Club ist die größte Einkommensquelle, die Radio Bremen bislang aus | |
irgendeiner Produktion erzielt hat. Die Mitschnitte der frühen Auftritte | |
von The Who, The Cream, Deep Purple, Jimmi Hendrix oder Led Zeppelin sind | |
international gefragt. | |
Vor allem aber veränderte der Beat-Club, den laut Infratest 63 Prozent der | |
Deutschen unter 30 Jahren regelmäßig sahen, die bundesdeutsche | |
Gesellschaft: Soziologisch war sie ein TV-Vorläufer der Apo, konkret eine | |
Sendung, vor dessen Ausstrahlung sich Ansager Wilhelm Wieben beim älteren | |
Publikum entschuldigte. Der Untergang des Abendlandes – das war damals der | |
Beat-Club. Auch Nerkes selbst genähte Miniröcke brachten ihn näher. | |
Wie konnte es dazu kommen – und warum in Bremen? Bremen war die deutsche | |
Beat-Hochburg – und der Sender das Experimentier-Labor der ARD, die ihre | |
jugendlichen Zuschauer nicht an US-Soldatensender verlieren wollte. | |
Augustin legte als erster Disc Jockey Deutschlands im „Montparnasse“ am | |
Ostertorsteinweg auf, er sammelte Erfahrung im legendären „Twen Club“. In | |
den USA tourte und kokste er so ausgiebig mit Ike und Tina Turner, dass er, | |
zurück in Bremen, 1965 die richtigen Zutaten für ein „Beat-Club“-Konzept … | |
Kopf hatte. | |
Nach der siebten Sendung, die er mit Nerke moderierte, wurde Augustin | |
allerdings rausgekegelt. Begründung: Er habe sich beim Bekanntgeben der | |
Hitparade verlesen. Man schied im Streit, Radio Bremen leugnete Augustins | |
Urheberschaft, später tauschte man nur noch juristische Noten aus. | |
Doch das ist nun vorbei. Und man merkt Augustin an, wie erleichtert er | |
darüber ist. „Ich sehe das alles sehr, sehr positiv“, sagt er – süffisa… | |
– lächelnd, wenn er auf die lange Auseinandersetzung angesprochen wird. | |
Doch auch bei so standardisierten Situationen wie einer Scheck-Übergabe – | |
die gehört zu einer Verewigung in Bremens „Mall of Fame“ dazu – blitzt | |
Augustins anarchischer Humor auf. Nachdem Nerke brav ihrem Tierschutzverein | |
gespendet hat, sagt Augustin trocken: „Meine Spende geht an Bill Gates“. | |
Irritierte Blicke – bis Augustin dann doch noch eine Schule als | |
Scheck-Empfänger benennt. | |
Schon in den 60ern und 70ern war Augustin als Musik-Scout ein anderes | |
Kaliber als Nerke, die anschließend auf der Oldie-Schiene reiste. Augustin | |
hingegen probierte innovative Formate, als „Kreativ-Direktor“ bei United | |
Artists Records in München entwickelte er den deutschen Krautrock, Amon | |
Düül II und speziell Popol Vuh, die Band der Werner-Herzog-Filme. „Can“ | |
nicht zu vergessen. Für die Karriere von Katja Ebstein und Michael Schanze | |
war er allerdings auch zuständig. | |
Gerd Augustin, heute 74 Jahre alt, hat weit jenseits von Shopping-Passagen | |
ein Forum gefunden, wo man in seine Lebenserfahrungen eintauchen kann: | |
Jeden letzten Sonntag im Monat auf Radio Weser TV, dem früheren „Offenen | |
Kanal“. Kommenden Freitag steht er aber noch mal auf großer Bühne, zusammen | |
mit Uschi Nerke: Bei der „50 Jahre Beat-Club-Jubiläumsshow im Pier 2“. Es | |
ist ein Akt musikhistorischer Versöhnung. | |
11 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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NDR | |
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