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# taz.de -- Bizarres Kunst-Experiment: Sind bunte Wände Kunst?
> Eine posthume Ausstellung zeigt Wandmalereien Günther Förgs in den
> Hamburger Deichtorhallen. Die schlicht einfarbig gehaltenen Wände sind
> aber nicht authentisch.
Bild: Who‘s afraid of red, yellow and blue? Günther Förg war es offenbar ni…
HAMBURG taz | Die vierteljahrhundertalten Hamburger Deichtorhallen
verblüffen durch Twen-Kapriolen. Erst gab es zur Wiedereröffnung eine große
Picasso-Ausstellung ohne ein einziges Picasso-Bild und nun gibt es wieder
eine Ausstellung, in der praktisch nichts vom im Titel geführten Künstler
zu sehen ist.
Zu sehen ist ohnehin wenig. „Günther Förg – Wandmalerei“ zeigt nichts a…
farbige Wände in der Art, wie sie der 2013 verstorbene Künstler seit 1978
zu machen pflegte.
So um die 140 Mal hat er als reine Farbsetzung oder in Kombination mit
seinen schwarz-weißen Großfotos von rationalistischer, revolutionärer und
moderner Architektur der 20er- bis 60er-Jahre zum Pinsel gegriffen oder
auch anstreichen lassen. Eine Übersicht zu diesen Farbkombinationen wurde
nun, bei sonst leeren Räumen, in 25 Beispielen neu inszeniert.
## Fälschung oder Testamentsvollstreckung?
Dass die ausführenden Maler dabei auch Künstler waren, ändert wenig an der
Frage: Ist das jetzt systematische, gutgemeinte Fälschung oder freundliche
Testamentsvollstreckung für einen Künstler, der noch vor seinem Tod diese
Präsentation mitgeplant hatte?
Und wird ohnehin designaffine Kunst nicht vollends zur bloßen Dekoration,
wenn fotografisch dokumentierte Künstlerinterventionen in den penibel
korrekten Farbwerten, aber in ganz anderen Dimensionen und
architektonischen Bezügen nachgemalt werden?
Es ist angenehm, durch die verbunteten Räume zu gehen. Aber wenn das
authentische Kunst ist, dann wäre die Übermalung nach Ausstellungsschluss
vandalistische Kunstzerstörung. Vielmehr scheint man sich passend zur
Industriearchitektur der Halle in einem Test-Parcours für Wandgestaltung zu
befinden. Die Theorie der konkreten Kunst würde sagen, die Wände selbst
sind die Exponate. Doch diese theoretisch wichtige Erkenntnis ist, wie so
manche, in der Praxis eher langweilig.
## Robert Ryman hätte seine Freude
Es gibt die Möglichkeit, Strukturen, ja Pinselduktus zu studieren, geht man
ganz nahe an die Wand heran. Es gibt die Möglichkeit sich vor seiner
Lieblingsfarbe aufzuhalten und starke Farbkontraste auszuhalten. Und es
gibt die Möglichkeit, in den auf jeder Sitzbank ausgelegten
Werkmonographien die Wand vor sich mit den Fotos der einstigen Gestaltung
einer anderen in der bunten, weiten Welt zu vergleichen.
Aber vielleicht sind die weiß gelassenen Wände sogar interessanter: Auf
ihnen entstehen durch die Reflektionen unterschiedliche Weiß-Töne – ein
notorischer Weiß-Maler wie Robert Ryman hätte seine Freude.
Tatsächlich hat sich Förg zeitlebens auf den US-amerikanischen Saxofonisten
und analytischen Maler bezogen sowie auf den wesentlich bunteren Blinky
Palermo mit seinen starkfarbigen Bildobjekten und Setzungen im Raum.
Der Beuys-Schüler und jung verstorbene konkrete Künstler Blinky Palermo
(1943 – 1977) war es übrigens, der schon ein früheres Mal in Hamburg leere,
ochsenblutrot angestrichene Wände ausgestellt hat: 1973 war dies im damals
von Uwe M. Schneede geleiteten Kunstverein ein großer Skandal. Doch knapp
20 Jahre später, kurz vor dem Abriss des Gebäudes am Ferdinandstor wurde
1992 unter dem Direktorat von Stephan Schmidt-Wulffen eben jene Wandmalerei
in restauratorischer Feinarbeit wieder freigelegt und ein zweites Mal
ausgestellt.
Und bis heute wird im Keller der Galerie der Gegenwart der Hamburger
Kunsthalle auf Initiative des zwischenzeitlich zum Kunsthallendirektor
aufgestiegenen Uwe M. Schneede mittels Raum-Modell und Farbprobe auf diese
Arbeit verwiesen.
## Raum zeigen!
Provokation, Innovation und deren kunsthistorische Wertung sind in ihrem
Wandel dem Publikumsgefallen oft weit voraus. Doch einige Kritiker halten
das bloß für Mystifizierungsprozesse des Kunstbetriebs.
Lautete bei der Intervention Palermos in den Siebzigern der Vorwurf einer
populären Zeitung noch, „Das Nichts“ koste sogar noch Eintritt, so werden
derartige Vorwürfe heute nicht mehr gewagt. Aber hat sich eigentlich
wirklich so viel verändert?
Wieder kostet, nun in den Deichtorhallen, ein „Nichts“ Eintritt, nur ist es
viel farbiger und verbreitet sich auf viel mehr Quadratmetern. Nun ist
inzwischen allzu klar, dass es bei Kunst nicht nur um einzelne Bilder an
der Wand geht, sondern dass der Raum der Kunst immer auch selbst Teil der
Kunst ist. Insofern könnte dies gut als zweite Einweihungsausstellung der
teuer renovierten Deichtorhalle durchgehen … einfach mal den Raum zeigen!
Mit schönfarbigen Wänden als Farbfeld-Malerei. Eine Hommage nun nicht an
Picasso, sondern einen deutschen Künstler der jüngeren Kunstgeschichte.
Aber so entsteht ein neues Problem. Denn wenn ein Künstler wie Günther Förg
für die Ausstellung seiner eigenen Arbeiten in den Galerie-Räumen gezielt
farbige Wände gestaltet hat, wenn er für große Firmen ein genau überlegtes
Farbkonzept für ihre Architektur entworfen hat, wie können diese einst ganz
speziell zugeschnittene Konzepte denn auf den neuen Raum der Deichtorhallen
übertragen werden ohne das bunte Beliebigkeit entsteht?
## Deichtorhallen als Farbkathedrale
Eine T-förmige Farbgestaltung beispielsweise, einst eine Stirnwand einer
Galerie mit Proportionsbezug zur Bilderhängung, stößt nun an einen
Stahlträger und endet an einem Durchgang … der Architekturbezug von
Farbinstallationen kann nicht zugleich werkentscheidend und ganz zufällig
sein.
In den Begründungen der Farbfeldmalerei ist die Meditation über jenseits
der Farbstimmungen leere Bildfelder bis hin zu deren metaphysischer
Aufladung durchaus angelegt. Das geht so weit, dass in den als rein geistig
empfundenen Farbschwingungen etwas Göttliches entdeckt wird – oder eben
gerade das Göttliche in der konsequenten Abwesenheit von allem anderen
Profanen sich manifestieren soll.
Vielleicht versuchen jetzt diese Wandmalerei-Zitate die Deichtorhalle zu
einer hymnischen Farbkathedrale auf Zeit zu mystifizieren. Vielleicht ist
diese rätselhaft sinnfreie, zugleich aufwändige und minimale Ausstellung
von epochemachender Genialität und deshalb ziemlich unverständlich oder sie
ist doch ein konzeptuell gescheiterter Freundschaftsdienst zum Gedächtnis
eines Künstlers und zum Vorteil seiner Nachlassverwalter.
28 Aug 2015
## AUTOREN
Hajo Schiff
## TAGS
Deichtorhallen Hamburg
Ausstellung
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