# taz.de -- Biologie auf oder unter dem Meer: „Für uns im Dunkeln verborgen�… | |
> Als Kind wollte Antje Boetius Piratin werden. Heute erforscht sie die | |
> Tiefsee - die sich mit dem Klimwandel extrem schnell ändert. | |
Bild: Antje Boetius bei der Arbeit in der Arktis nördlich von Grönland | |
taz: Frau Boetius, wie entdeckten Sie Ihr Interesse an Meeresbiologie? | |
Antje Boetius: Als Kind war ich eine Leseratte. Ich las lauter | |
Abenteuerromane. Da stellte ich mir vor: Pirat als Beruf, das muss das | |
Beste sein. Aber ich habe schnell begriffen, dass als Mädchen das | |
Piratinnen-Sein nicht sonderlich perspektivenreich ist. | |
Da kamen Sie auf Meeresbiologin? | |
Genau. Es gab damals Dokumentarfilme von Hans und Lotte Hass. Lotte war | |
darin nicht nur Begleitwerk, sondern sie schwamm auch mit den Haien und | |
machte Experimente. Dadurch habe ich mir eingebildet: „Das ist ein ganz | |
normaler Frauen-Beruf, das kann ich auch werden.“ | |
Kartografie ist ja sehr unromantisch ... | |
Finden Sie? | |
Sie nicht? | |
Überhaupt nicht. Ich glaube das kommt auch vom Romane-Lesen, wie „Die | |
Schatzinsel“. Karten spielen beim Entdecken immer eine Riesenrolle. Karten | |
bilden unseren Stand des Wissens um einen Raum ab und haben immer irgendwo | |
weiße Flecken. An die will ich immer ran und die bunt malen. Das verändert | |
auch das Gesamtbild des Ozeans, die Höhen und Tiefen genau zu kennen. Und | |
die Arbeit an Karten, das Ausmessen vom Meeresboden, ist daher etwas ganz | |
Tolles. | |
Was begeistert Sie daran? | |
Ein riesiger Teil der Erde liegt für uns Menschen verborgen im Dunkeln. | |
4.000 Meter unter dem Meeresspiegel – die Durchschnittstiefe der Ozeane – | |
gibt es unglaublich vielfältiges Leben, unbekannte Lebensräume. Da sind wir | |
wirklich Entdecker. Meine Expedition 2016 geht zu einem riesigen Seeberg in | |
der zentralen Arktis. Das ist ein kaum vermessener, toter Vulkan, der von | |
über 5.000 Metern Wassertiefe auf 500 Meter aufsteigt. Das ist ein tolles | |
Gefühl, da mit den Schiffloten drüberzufahren und auf einmal sieht man das | |
Bild dieses gigantischen Berges unter sich. | |
Und wenn Sie untertauchen? | |
Die größte Freude an der Beobachtung in der Tiefsee ist, wenn man mit dem | |
Roboter oder dem U-Boot selber in diesen dunklen Raum kann. In der | |
Dämmerzone, unterhalb von 200 Metern, ist es zu dunkel für Fotosynthese. | |
Aber die Tiere machen alle Signale mit Licht. In dieser Welt ist die | |
Tiefsee wirklich zauberhaft funkelnd. Und weiter unten wird es dann noch | |
dunkler und fast ganz leer. Doch auch hier gibt es gelatinöse Quallen und | |
viele Tintenfische, die nahezu transparent sind. Andere sind ganz bunt, und | |
es ist toll zu sehen, wie sie sich bewegen. | |
Dient Ihre Forschung auch dem Schutz der Tiefsee? | |
Ja, wobei mich diese Idee stört, dass wir dauernd beweisen müssen, wie | |
zweckreich und angewandt unsere Forschung für die Gesellschaft ist. Die | |
meisten Menschen haben doch auch grundlegende Fragen daran, wie die Welt | |
funktioniert. Das merke ich auch bei öffentlichen Vorträgen. Ich werde | |
nicht gefragt: „Wozu ist Ihre Forschung gut?“, sondern: „Was gibt es da | |
unten noch zu entdecken?“ | |
Welche Fragen sind für Sie zentral? | |
Wie lebt es sich in der Tiefsee? Wieso ist das Leben dort so, wie wir es | |
vorfinden? Ich sehe Tiefseelebewesen an und frage mich: „Wieso sind sie | |
genau da? Was fressen sie? Wo kommt die Energie her?“ Das sind Grundfragen | |
nach dem Ursprung und der Entwicklung des Lebens. Die wir bis heute nicht | |
beantwortet haben. | |
Sie leisten auch viel Öffentlichkeitsarbeit. | |
Ja, das hat mit einfachen Anfragen von Medien angefangen. Als das mehr | |
wurde, habe ich mich gefragt, ob das so gut ist. Also ob ich an | |
Glaubwürdigkeit verliere, wenn ich so oft zu sehen bin. Ob andere | |
Wissenschaftler dann vielleicht denken, dass ich zu sehr verallgemeinere. | |
Ich habe dann aber festgestellt: Das ist nicht so. Sondern das wird | |
geschätzt. | |
Was gefällt Ihnen da am besten? | |
Ich finde konkret das Arbeiten mit Kindern am tollsten. Sie stellen Fragen | |
so völlig anders und es entstehen unverbrauchte Diskussionen. Zum Beispiel | |
über schön und hässlich bei Tiefseetieren. | |
Profitiert auch Ihre Wissenschaft davon? | |
Schon. Wenn man immer wieder sein Forschungsthema der Öffentlichkeit | |
präsentiert, muss es verständlich sein. Dafür überlegt man sich noch einmal | |
die ganz einfachen Sätze und Fragen. Manchmal merkt man dabei auch selbst, | |
dass man etwas noch nicht ganz verstanden hat. Und manchmal gibt es auch | |
tolle neue Fragen, auf die man selber gar nicht kommt, weil man sich schon | |
so lange mit dem Thema beschäftigt hat. | |
2009 erhielten Sie den mit 2,5 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis. Sie | |
fragten bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft nach, um sicherzugehen, | |
dass tatsächlich Sie den Preis bekommen. | |
Stimmt. | |
Es wurde dann berichtet, dass das typisch für Frauen sei. Wie schätzen Sie | |
das ein? | |
Vielleicht ist das tatsächlich so, dass man als Frau eher fragt: „Hä? | |
Wirklich ich?“ Aber inzwischen habe ich geübt und viele Preise erhalten. | |
Beim Leibniz-Preis ist auch vielleicht jeder erst einmal geschockt. Da sind | |
Männer, die diesen Preis erhalten, auch von beeindruckt. | |
Wie kam es, dass Sie mit Ihrem Vater zusammen ein Buch geschrieben haben? | |
Das weiß ich auch nicht. Mein Vater hatte den Einfall, ein Buch über die | |
Tiefsee zu schreiben, ich hatte aber einfach keine Zeit. Er hat dann eine | |
Art Minifluch ausgesprochen: Du wirst es Dein Leben lang bereuen, wenn Du | |
das nicht machst. Denn wenn ich tot bin, wirst Du immer daran denken, dass | |
Du das nicht gemacht hast. Ich fand dann, dass er eigentlich Recht hat. | |
Aber ich habe den Zeitaufwand völlig unterschätzt. Es ist ein dickes Buch | |
geworden. Das war auch eine Qual, weil ich mir jedes bisschen Freizeit | |
abgequetscht habe für zwei Jahre. | |
Ihr Vater ist Schriftsteller, wie war das, mit ihm zu arbeiten? | |
Das war interessant, weil er ganz anders schreibt, als ein Wissenschaftler. | |
Ich konnte viel von ihm lernen, er kann toll formulieren und Dinge mit sehr | |
lebendiger Sprache erklären. Ich schreibe selber unheimlich gerne in Teams, | |
in der Wissenschaft ist das auch so üblich. Man lernt unglaublich viel von | |
den Anmerkungen der Anderen. So habe ich das beim Buch-Schreiben auch | |
erlebt. | |
War das schwierig, mit dem Vater ein Buch zu schreiben? | |
Das Schreiben war nicht das Schwierige. Hinterher fand ich es schwierig, | |
mit ihm Öffentlichkeitsarbeit zu machen. | |
Wie kam das? | |
Die Medien haben uns in feste Rollen gezwängt, das war schade. Und mein | |
Vater ist es gewohnt, die Aufmerksamkeit für sich zu haben. | |
Wie prägte Ihre Familiengeschichte Ihren beruflichen Werdegang? | |
Mein Großvater war Kapitän und dadurch gab es immer dieses Gefühl: Ein Teil | |
der Familiengeschichte ist Seefahrt. Mit seinen Geschichten vermittelte er | |
mir dieses Gefühl der Männerwelt auf Schiffen und auf See, das war sehr | |
faszinierend für mich; wie nervenstark die waren, wie wenig Angst die vor | |
Stürmen hatten. Er ist auch drei Mal untergegangen und konnte mir toll | |
erzählen, wie man so etwas überlebt. | |
Und mütterlicherseits? | |
Meine Mutter war alleinerziehend. So wie ihre Mutter und deren Mutter durch | |
die Kriege hindurch auch. Das war sehr prägend, mit so starken Frauen | |
aufzuwachsen. Auch dadurch bin ich als Mädchen mit dem Gefühl groß | |
geworden: Es geht alles. Hauptsache, man weiß was man will und tut was. | |
Sie sind nicht nur in der Forschung, Sie betätigen sich auch in Gremien zur | |
Förderung und Vermittlung von Wissenschaft. | |
Stimmt, die Gremienarbeiten wurden immer mehr. Ich habe mir überlegt, was | |
ich damit mache. Nun lebe ich eben in dieser Zeit, in der Gremien | |
versuchen, Minderheitenprobleme zu lösen. Vor allem Gender. Am Anfang war | |
ich oft noch eine Frau unter vielen Männern. Das hat sich völlig verändert | |
in den letzten sieben Jahren. Ich konnte eben ein Teil dieser Veränderung | |
sein und habe mir gedacht, dann mache ich da einfach mal mit. Die | |
Wissenschaft habe ich auch nicht vernachlässigt. Ich bin immer noch zur See | |
gefahren und habe unheimlich viel Neues gelernt. | |
Sie konnten 2012 in der Arktis feststellen, wie Klimawandel die Tiefsee | |
beeinflusst. | |
Genau. Wir waren während der größten Eisschmelze aller Zeiten dort. An der | |
Unterseite der Eisschollen wachsen Eisalgen. Wenn das Eis schmilzt, regnen | |
sie herab in die Tiefsee. Wir konnten also zeigen, dass man eine | |
Veränderung an der Oberfläche direkt in der Tiefsee sehen kann. Die Tiefsee | |
ist kein heiliger, geschützter Raum. Was wir mit der Erde anstellen, zeigt | |
sich sofort unten. Das ist ziemlich neu, das hat man vor zehn Jahren noch | |
nicht so gedacht. | |
Ist es nicht verwunderlich, dass man vor zehn Jahren etwas anderes | |
angenommen hat? | |
Eigentlich nicht. Die Tiefsee ist schwer zu beobachten, weil sie so weit | |
weg ist und so tief. Und sie hat immer die gleiche Temperatur, scheint | |
langsam und unveränderlich. Inzwischen betrachten wir die | |
Gesamtbeziehungen: Ändert sich die Temperatur oben, verändert sich das | |
Plankton. Das beeinflusst die Nahrungsnetze und dadurch verändert sich, was | |
absinkt. Mich berührt besonders, dass wir so langsam sind mit der | |
Wissenschaft. Wir schaffen es nicht einmal, die Arktis zu dokumentieren, | |
wie sie vor dem schnellen Meereisrückgang war. | |
Warum ist das so wichtig? | |
Später fehlen die Proben, die Bilder und die Daten und wir wissen dann gar | |
nicht, wie wir wieder zurückkommen zu dem Zustand, der uns Menschen | |
vielleicht lieber war. | |
2 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Nele Wagner | |
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