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# taz.de -- Suche nach verschwundenem Jungen: Die Hilfspolizei muss einpacken
> Im Potsdamer Stadtteil Schlaatz haben hunderte Freiwillige nach dem
> sechsjährigen Elias gesucht. Ohne Erfolg. Und was jetzt?
Bild: Viel Polizei, viele Platten: So sah es im Schlaatz zwei Wochen lang aus.
Plattenbauten werfen Schatten auf die betonierten Wege und vereinzelten
Grünflächen. Zwischen grauen, leicht heruntergekommenen Häusern aus den
80er Jahren stechen wie Farbtupfer wenige ansehnlich sanierte Hochhäuser
hervor, mit Balkonen, rot- und sandsteinfarbenen Fassaden – der Schlaatz,
ein Neubauviertel im Süden Potsdams: Montagmittag sitzt hier nur ein
verlassenes Paar mit seinen zwei Kindern auf einem Spielplatz. Das Gesicht
eines kleinen Jungen ist dagegen allgegenwärtig auf den Wänden im Kiez: Der
6-jährige Elias ging am Nachmittag des 8. Juli auf den Spielplatz im
Innenhof seines Wohnblocks im Inselhof – und kam nicht zurück.
Nicht nur Elias‘ Familie und die Polizei machten sich auf die Suche nach
dem Jungen. Die Bürgerinitiative „Suche Elias“, die aus einer
Facebook-Gruppe hervorging, mobilisierte hunderte Leute aus Potsdam und
ganz Deutschland und durchkämmte laut eigenen Aussagen 80 Prozent des
Stadtgebiets – eine Suchaktion, wie sie das Land noch nie gesehen hat.
Rund um die Uhr war der Stützpunkt am Bürgerhaus mit seinen
Bierzeltgarnituren und Flipcharts mit Karten, besetzt. Darin koordinierten
die Ehrenamtlichen die Suche und die Verteilung von Flyern und Steckbriefen
in fünf Sprachen.
Auch 170 Beamte durchkämmten die Gegend. Die Nuthe, ein kleiner Fluss, der
durch den Schlaatz fließt, wurden mehrfach mit schwerem Gerät durchkämmt.
Die Beamten erklärten den freiwilligen Helfern zudem, worauf zu achten sei.
Und wie sie sich im Fall eines Fundes zu verhalten hätten. Eine
beispielhafte Kooperation zwischen Profis und Amateuren. Leider ohne
Ergebnis.
„Unser Ziel war es, einen kleinen Jungen wieder in die Arme seiner Mutter
zu übergeben und das haben wir nicht erreicht“, erklärt Gabi Franz, die
blonde, stets lächelnde Powerfrau, die in der Bürgerinitiative
koordinierende Aufgaben übernahm. Nach zehn Tagen wurden alle aktiven
Suchmaßnahmen eingestellt. Inzwischen geht die Polizei nicht mehr davon
aus, dass der Junge in unmittelbarer Nähe seines Wohnorts verunglückt ist.
Auch ein Weglaufen des Kindes, das noch vor Kurzem mit der Mutter in Berlin
lebte, gilt als unwahrscheinlich.
Die Möglichkeit, dass Elias Opfer einer kriminellen Handlung wurde, wird
dagegen immer wahrscheinlicher. Obwohl man dafür bisher keine Anhaltspunkte
habe, wie Heiko Schmidt, Pressesprecher der Polizeidirektion West, am
Montag gegenüber der zahlreich im Schlaatz erschienenen Presse betonte. Die
Suche, so Schmidt, gehe weiter. 60 Kriminalisten der Sonderkommission
„Schlaatz“ arbeiteten weiter an dem Fall. Sie sichten jetzt die 650
telefonisch eingegangenen Hinweise und werteten Video- und Bildmaterial aus
Supermärkten oder Tankstellen.
Der Initiative bleibt jetzt nur noch die Nachversorgung der Helfer, wie
Gabi Franz erklärt. Der Stützpunkt biete einen Ort, um über die
Geschehnisse der letzten zwei Wochen zu reden. „Die Leute haben
Gesprächsbedarf, weil sie alle irgendwie ins normale Leben zurückkehren
müssen“, sagt Franz. Auch sie wisse nicht, wie sie mit der frustrierenden
Situation umgehen solle. Die Bürgerinitiative hat nun ihre Grenzen
erreicht. Die öffentlich zugänglichen Stellen sind abgesucht. Alles weitere
ist Sache der Polizei.
## Zugewachsene Schuhe
Die Hilfe der Ehrenamtlichen habe die Polizei „wohlwollend und dankend
hingenommen“ erklärt Pressesprecher Schmidt. Besonders in den ersten
Stunden seien die vielen Freiwilligen hilfreich gewesen. Zudem hätten sie
die Polizei etwa bei der Sammlung von Fundstücken entlastet.
Denn am Anfang seien auch zugewachsene Herrenschuhe und herumliegende Hosen
an die Beamten heran getragen worden. Die Bürgerinitiative sortierte nach
Polizeikriterien, welche Fundsachen relevant sein könnten und rief die
Beamten nur zu passenden Funden. Trotz all der Hilfe sei das Aufspüren von
Vermissten immer noch eine Aufgabe der Polizei, betonte Schmidt.
Kurios ist die Reaktion der Anwohner. Einen Fall wie den von Elias findet
man schlimm – aber nicht sonderlich überraschend. Viele halten ihre
Wohngegend für gefährlich. Wie Ann Kocakaya, die seit drei Jahren im
Schlaatz lebt. Sie sei auf dem Weg nach Hause bereits angegriffen worden,
begegne häufig Drogensüchtigen im Kiez. „Ich würde mein Kind hier nie
allein draußen spielen lassen. Das ist eine schwierige Gegend“, sagt sie.
Auch Marlen Schneider, die seit November hier wohnt, bewertet das Leben im
Stadtteil als unangenehm. „Bevor ich hergezogen bin, habe ich schon
Schlechtes gehört und geglaubt, das seien nur Vorurteile. Aber ich fühle
mich immer unwohler“, sagt die Mutter zweier Töchter.
## Gefühlte Gefahr
Dass der Kiez problematisch ist, scheint allerdings nur ein Gefühl der
Anwohner zu sein. Rund 9.000 Menschen lebten im Jahr 2014 im Schlaatz mit
seinen niedrigen Mietpreisen. Laut Polizeistatistik gibt es hier zuletzt
keine spürbar höhere Kriminalität als in anderen Teilen Potsdams. Bewohner
erzählen jedoch von Betrunkenen, die sich im Stadtteil verteilt aufhalten,
von Drogensüchtigen und Übergriffen.
Von Hysterie ist in der mobilen Wache, die die Polizei vor dem Bürgerhaus
am Schlaatz eingerichtet hat, dennoch nichts zu merken. In dem
silber-blauen Einsatzwagen des Technischen Hilfswerks können Anwohner rund
um die Uhr sachdienliche Hinweise abgeben, sich als Zeugen vernehmen lassen
oder fragen, wie sie ihre Sicherheit verstärken können. Großen Anlauf
verbucht der mobile Standort freilich nicht. Polizeisprecher Schmidt wertet
das als Ausdruck für ein „gesundes Klima“.
Anne Broswitz, die als Veranstaltungs-Koordinatorin im Bürgerhaus arbeitet,
spricht ebenfalls von einer entspannten Stimmung. „Am Anfang war es wie in
einem angestochenen Ameisenhaufen, mittlerweile ist es ruhiger“, sagt
Broswitz. Sie ist eine der Organisatorinnen der Ferien-Veranstaltung „Stadt
der Kinder“, die von 14 lokalen sozialen Institutionen gemeinsam
veranstaltet wird.
Seit Montag bauen rund 100 Kinder im Schlaatzer Nuthewäldchen ihre eigene
Stadt aus Holz. Im Vorfeld erklärten die Veranstalter, dass man aus
aktuellem Anlass ein verändertes Sicherheitskonzept eingeführt habe: Alle
Helfer tragen rote T-Shirts. Die Kinder werden mehrfach am Tag durchgezählt
und sollen nicht allein das Gelände verlassen. Eltern hätten sich
allerdings nur vereinzelt besorgt gezeigt. „Es waren nicht mehr als die
vergangenen Jahre“, erklärt Broswitz.
22 Jul 2015
## AUTOREN
Franziska Maria Schade
## TAGS
Potsdam
Kriminalität
Suche
Wendland
Paris St. Germain
Radikale Linke
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