# taz.de -- Filmporträt Amy Winehouse: Und mitten im Druck die Lyrics | |
> Der Tod macht aus dem Fluss des Lebens eine abgeschlossene Erzählung. | |
> „Amy“ von Asif Kapadia erinnert an Amy Winehouse. | |
Bild: Da wirkt sie noch glücklich. Szene aus „Amy“ | |
Amy Winehouse’ Tod war eine Tragödie mit Ansage. Vor laufenden Kameras. | |
Schon 2003, als sie noch ganz am Anfang ihrer Karriere stand, erklärte sie | |
in einem Fernsehinterview, dass sie nicht glaube, mit Berühmtheit umgehen | |
zu können. | |
Eine Szene, die sich Asif Kapadia und sein Cutter Chris King natürlich für | |
ihren zweistündigen Dokumentarfilm über die 2011 verstorbene Sängerin nicht | |
entgehen lassen. Immer wieder haben sie solche aus heutiger Sicht | |
prophetischen Archivaufnahmen ausgewählt. Und immer wieder möchte man | |
Richtung Leinwand rufen: Warum hat denn keiner auf sie gehört? Warum hat | |
niemand gehandelt? Oder erst, als es viel zu spät war. | |
„Amy“ fächert die psychologischen, emotionalen, ökonomischen und | |
gesellschaftlichen Faktoren auf, die zum Tod der Sängerin und | |
Songschreiberin mit nur 27 Jahren beigetragen haben. Die Trennung der | |
Eltern, als sie neun war. Ihre Depressionen und ihre Bulimie schon in | |
frühen Jahren, die von ihrer Familie heruntergespielt wurden. Die toxische | |
Amour fou zu Blake Fielder-Civil, der sie an die harten Drogen brachte. Der | |
mit dem Erfolg einhergehende immense Druck. | |
Wenn sie nicht funktionierte, musste ihre Entourage um ihr Auskommen | |
fürchten. Daher schickte man sie im Zweifelsfall lieber auf die nächste | |
Tour als in eine Entzugsklinik. Und dann waren da die Medien, die sie | |
liebten und verspotteten, hofierten und skandalisierten, berühmt machten | |
und mit in den Abgrund stießen. | |
## Profunde Wahrheiten | |
Natürlich macht erst der Tod aus dem Fluss des Lebens solch eine | |
abgeschlossene Erzählung: Aus nebenbei geäußerten Halbsätzen werden | |
plötzlich profunde Wahrheiten, aus Alltagsentscheidungen | |
Schicksalswendungen. Da die Zukunft nicht mehr ungewiss ist, wird die | |
Bedeutung der Vergangenheit zur Gewissheit. | |
Klugerweise verzichtet Kapadia auf einen eigenen Off-Kommentar, so behält | |
„Amy“ einen Rest von Offenheit, auch wenn der Schnitt immer wieder | |
bestimmte Lesarten ihres Lebens forciert. Der Regisseur des | |
Publikumserfolgs „Senna“ hat selbst kein Material gedreht – bis auf ein | |
paar auch im Dokumentarfilm unvermeidliche Drohnenaufnahmen von wichtigen | |
Orten für ihre Biografie. | |
Sein Film besteht also fast ausschließlich aus Archivaufnahmen aus den | |
Medien und privatem Videomaterial von Winehouse’ Freunden, Familie und | |
Anhang. Gestochen scharfe HD-Bilder gibt es nur selten, dafür sehr private | |
Einblicke. Darunter eine verblüffende Sequenz, in der sie bei einem | |
Spanienurlaub vor der Kamera einer Freundin völlig improvisiert in die | |
Rolle einer spanischen Haushälterin schlüpft. Sie hätte auch als | |
Komödiantin Erfolg haben können. | |
Wie schon bei „Senna“ hat Kapadia zwar unzählige Interviews für seinen | |
neuen Film geführt, aber ohne Kamera. Die Aussagen von Winehouse’ Vater | |
Mitch, Blake Fielder-Civil, Schulfreundinnen und anderen werden aus dem Off | |
über das Archivmaterial gelegt. Das verstärkt in doppelter Weise die | |
Intimität von „Amy“. | |
## Ihre Kunst und ihr Leben | |
Den Interviewpartnern dürfte es nur vor Kapadia und einem Mikrofon leichter | |
gefallen sein, sich zu öffnen, als im Scheinwerferlicht vor einem | |
kompletten Kamerateam – er verdunkelt zusätzlich den Aufnahmeraum bei | |
seinen Gesprächen. Zum anderen wird die Intimität im Kinoraum verstärkt, da | |
Off-Monologe im Film automatisch mit Gedankenströmen oder | |
Tagebuchaufzeichnungen assoziiert werden. | |
Ein weiteres wichtiges Element sind die Texte von Winehouse’ Songs, die | |
Kapadia immer wieder einblendet. Sie machen deutlich, wie eng die | |
Londonerin ihre Kunst und ihr Leben geführt hat: Die Lyrics wirken | |
tatsächlich bisweilen wie ein Tagebuch in Gedichtform. | |
Die schönsten Momente im Film sind aber immer wieder diejenigen, die sie | |
bei der Arbeit zeigen: bei Liveauftritten, im Studio mit ihrem Helden Tony | |
Bennett oder beim Warten auf die Grammy-Entscheidungen. Hier vermittelt | |
sich vor allem eins: ihre Leidenschaft für Musik, die im ganzen Irrsinn am | |
Ende ihres Lebens in den Hintergrund getreten ist. | |
Eigentlich stecken in „Amy“ zwei Filme: zum einen eine Kritik der | |
Celebrity-Welt, die nicht nur die nach unten stößt, die mit ihr im Aufzug | |
nach oben gefahren sind. Dieser Film muss mit dem Selbstwiderspruch leben, | |
dass er letztlich genau die Bedürfnisse nach den allerprivatesten Bildern | |
befriedigt, die auch die zerstörerische Paparazzi-Kultur antreibt. Zum | |
anderen ein Film über die beneidenswert talentierte Sängerin und | |
Songschreiberin Amy Winehouse. Von ihr hätte man gern noch mehr gesehen. | |
16 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Sven von Reden | |
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