# taz.de -- Gartenstädte in Brandenburg: Aus grauer Städte Mauern | |
> Das wilde Eden, Plaue und Marga: Drei genossenschaftliche Siedlungen in | |
> Brandenburg, die Teil der Reformbewegung waren. | |
Bild: Siedlungsreihe in der Gartenstadt Plaue | |
Glücklicherweise begleitet uns Rainer Gödde durch die Gartenstadt Eden in | |
Oranienburg. Der grauhaarige, redegewandte Brandenburger ist heute Rentner, | |
Vorstandsmitglied der Genossenschaft Eden und Verwalter des kleinen | |
Museums. Sein Wissen, sein Garten, seine Begeisterung lassen den | |
Gründermythos, die Ideen und die Geschichte dieser Genossenschaft der | |
Fruchtsaftapostel, Nudisten, Sandalenträger, Sexverrückten, Quäker, | |
Naturheilpfuscher, Pazifisten und Feministen lebendig werden. Ansonsten ist | |
Eden mit den breiten Sandwegen und Gibelhäusern für den Besucher eine | |
großzügige Idylle. | |
Gödden ist in Eden geboren und wieder hierher zurück gekommen. Ein Insider. | |
Er bewohnt das alte Theater von Eden , das seine Großmutter, die | |
Schauspielerin Anna Rubner, einst leitete. 1893 wurde die | |
genossenschaftliche Siedlung Eden von „Berliner Lebensreformern“ gegründet: | |
„Vegetarier, Nichttrinker, Nichtraucher auf der Suche nach | |
Selbstverwirklichung“, sagt Gödde. | |
„Das Paradies ist ein Garten: In einen Garten wollen wir unseren Acker | |
verwandeln, in einen Garten, der alle Sinne entzückt. In Eden herrscht | |
Geselligkeit. Zu fruchtbarer Geselligkeit werden wir uns alle | |
Grundbedingungen schaffen: Gesundheit, erworben und erhalten durch reine | |
Nahrung, Betätigung im Freien, Pflege des Körpers mit Hilfe von Licht, Luft | |
und Wasser, Sorglosigkeit als Folge unserer leicht befriedigten, geringen | |
körperlichen Bedürfnisse“, beschreibt der Mitgründer Bruno Wilhemi die | |
Ziele der Neugründung. | |
Sie kauften 120 Hektar Land bei Oranienburg und gründeten eine | |
Genossenschaft. „Sie wollten ihre Existenz auf den Obstbau stellen, von dem | |
kaum einer dieser bürgerlichen Städter Ahnung hatte“, erzählt Gödde. „Um | |
den leichten Sandboden fruchtbar zu machen, wurde Pferdemist von Berlin | |
hierher verschifft.“ | |
## Die Genossenschaft funktionierte als Lebensmodell | |
Gödde führt uns durch seinen großen Garten mit den vielen | |
schattenspendenden Bäumen. .Noch heute muss jedes Grundstück auf jeweils | |
1.000 Quadratmetern mindestens acht Obstbäume, Beerensträucher und | |
Gemüsebeete haben. „2.800 Quadratmeter war damals die normale Größe, damit | |
eine Familie von der Selbstversorgung leben konnte. Der Überschuss wurde an | |
die Genossenschaft abgegeben.“ Diese produzierte für das neu entstandene | |
Reformhaus: Fleischersatz nach F. Kiel, Marmeladen, Fruchtsäfte, die | |
Eden-Pflanzenbutter, Sauerkraut. All das wurde in den eigenen | |
Fabrikgebäuden produziert: 1950 , nach Gründung der DDR, wurde die Marke | |
Eden an eine GmbH im westlichen Bad Soden verkauft. Doch die Mosterei | |
produzierte weiter. Erst nach der Wende 1996 wurde sie abgewickelt. Eden | |
produziert heute nichts mehr. Es ist ein kleinbürgerliches Vorstadt-Idyll | |
auf 120 Quadratmeter Wohnfläche. | |
Konjunktureinbruch, Krieg, Inflation, selbst den Nationalsozialismus hat | |
die Obstbau-Kolonie überstanden. Die Genossenschaft funktionierte als | |
Lebensmodell. „Die Säuglingssterblichkeit betrug schon um die | |
Jahrhundertwende 1900 in Eden nur 3,8 Prozent, draußen waren es bis zu 18 | |
Prozent“, sagt Gödden beim Gang durch das kleine Museum. Es ist im | |
Verwaltungsgebäude der einstigen Produktionsstätte untergebracht. Gleich | |
daneben: eine Naturheilpraxis, der Salon Kriengel, das Nagelstudion Trendy | |
World und ein Café, das immer Sonntagnachmittags selbst gebackenen Kuchen | |
aus Eden anbietet. | |
## Der schwärmerische Zeitzeuge Oppenheimer | |
„Der Zeitzeuge Franz Oppenheimer, Sozialist und Soziologe, schwärmte in | |
seinen Lebenserinnerungen von der Oase Eden: „Wer eine rechte Herzensfreude | |
erleben will, mag einem der Feste in Eden beiwohnen. Er wird noch niemals | |
so viele rotwangige, klaräugige Kinder auf einer Stelle zusammen gesehen | |
haben; und er kann sich überzeugen, daß echte Fröhlichkeit auch bei Kaffee | |
und alkoholfreien Fruchtsäften möglich ist.“ Und über die Politik in Eden | |
schreibt er: „So sind hier alle Parteien und Richtungen vertreten, vom | |
Hakenkreuzler bis zum extremen Kommunisten, und so gut wie jede geistige | |
Bewegung Deutschlands wirft hierhin ihre Wellen. Aber das alles führt zu | |
keiner Disharmonie, sondern ergibt im Zusammenklang aller der Stimmen eher | |
eine Harmonie; es bringt Leben in die kleine Dorfschaft, ohne ihre | |
Einigkeit je ernstlich zu bedrohen; denn sie ruht auf der | |
unerschütterlichen Grundlage des gemeinsamen Grundbesitzes und der sicheren | |
Versorgung durch ihn. Hier gehört alles der Genossenschaft, nicht nur der | |
Boden, sondern auch die Häuser .“ | |
Auch heute ist Eden noch eine Genossenschaft, nur die Häuser auf Pachtgrund | |
werden gekauft. Vom lebenreformerischen Geist ist eine freie Schule übrig | |
geblieben. Ideen und Utopien werden allenfalls im stillen Kämmerlein | |
gepflegt. Rainer Gödde führt uns ins Restaurant Papa Assado. Der einzig | |
wirkliche kommunikative Ort und Treffpunkt der Siedlung. | |
Eigentlich sollte es Steakhaus Asado heißen, aber das war den Edenern dann | |
doch zu viel. Ein Steakhouse in der Genossenschaft, wo die ersten | |
Vegetarierkongresse stattfanden. Der jetzige Name, Papa Asada, gegrillte | |
Kartoffel, ist ein Zugeständnis an die vegetarische Blütezeit. Die | |
Speisekarte hat dazu allerdings wenig zu bieten: Das Restaurant in der | |
ehemaligen Bäckerei bietet unauffälligen, deutschen Durchschnittsgeschmack. | |
„Ein vegetarisches Restaurant hier hatte keinen Erfolg. Es musste wieder | |
schließen“, erzählt der jetzige Betreiber Khaled Omeirat. „Die Leute hier | |
mögen meine Küche und sie kommen regelmäßig.“ Ein Deutscher mit | |
libanesischen Vorfahren und eine mexikanische Speisekarte – so sieht | |
Vielfalt in Eden heute aus. | |
Franz Oppenheimer jedenfalls erinnert sich an den Erfolg der Kolonie: | |
„Diese kleine Siedlung blüht wie eine Oase inmitten der kapitalistischen | |
Wüste mit ihrer Häßlichkeit, Verderbtheit und körperlichen Degeneration; | |
wenn die soziologische Wissenschaft der Neuzeit wäre, was sie sein sollte, | |
die Wegweiserin zur Rettung, so müßte diese erste vollgereifte Frucht des | |
liberalen Sozialismus in jedem Lehrbuche der Ökonomik und sozialen | |
Psychologie mindestens ein ganzes Kapitel füllen, von rechtswegen aber den | |
Ausgangspunkt der gesamten Betrachtung bilden. Aber kein Wort davon!“ Die | |
Strahlkraft Edens, die Franz Oppenheimer schwärmerisch beschreibt,sei auch | |
bei den Oranienburgern fast vergessen, weiß Gödde. | |
## Gartenstädte als Werkssiedlungen: Plaue und Marga | |
Auch anderswo sprießt um die Jahrhundertwende die genossenschaftliche Idee. | |
Weniger schillernd als in Eden, kaum selbst organisiert. Die Arbeiterstadt | |
Plaue bei Brandenburg wurde im Auftrag des Reichsamtes des Innern zwischen | |
1915 und 1918 errichtet. Eine Werksiedlung für die Facharbeiter der | |
Königlichen Pulverfabrik. | |
Die ursprüngliche Idee einer Gartenstadt stammt von dem Engländer Ebenezer | |
Howard, der im späten 19. Jahrhundert Gartenstädte als Lösung für die | |
Misere der Industriearbeiter sah. Raus aus den übervölkerten | |
Mietwohnvierteln der Industriestädte. Rein in „grüner“ Vorstadtsiedlungen. | |
Plaue, gebaut von dem Architekten Paul Schmitthenner, ist eine geschlossen | |
wirkende Anlage mit eingeschossigen, bunten Reihenhäuser, dazu | |
Stallanbauten und Nutzgärten. Nach Paul Schmitthenner hatte die Gartenstadt | |
auf der grüne Wiese einen weiteren Vorzug: die Stammarbeiterschaft dem | |
sozialdemokratischen Einfluss der Großstadt zu entziehen und an das Werk | |
und das Vaterland zu binden | |
Die Wohnsiedlung Plaue ist heute keine Genossenschaft mehr. Gemeinsinn | |
kommt noch im Bräuhaus Kneipe Pur auf. Dafür sorgt bei selbstgebrauten | |
Bieren die beschwingte Besitzerin Johanna Bätz. Sie wirkt im traditionellem | |
Sommerkleid und dem bunten Blumen-Strohhut wie Brandenburger Sommer pur. | |
Ihre regionale Küche ist unbedingt zu empfehlen. Mindesten ebenso resolut | |
ist ihre Nachbarin Doreen Landeck, die mit ihrem Gartenstadt-Lädchen dem | |
Ort wieder eine gesellige Anlaufstelle geben will. | |
Das Fehlen eines belebten Zentrums, der Mangel an Orten, wo man sich | |
trifft, macht die Gartenstadt Marga bei Senftenberg in der Lausitz zur | |
musealen Vorzeigestadt. Wie Plaue ist auch Marga ein geschütztes | |
architektonisches Kleinod einer genossenschaftlichen Arbeitersiedlung . | |
Erbaut wurde Marga von der Ilse Bergbau AG. Die Siedlung wurde 1985 unter | |
Denkmalschutz gestellt und von 1998 bis 2000 saniert. | |
Das Ilse-Kaufhaus, eine Bäckerei und eine Fleischerei, die Gebäude der | |
„Alten Post“, aber auch das Gasthaus Kaiserkrone sind ihrer ursprünglichen | |
Funktion beraubt. Trotz aufwändiger, schöner Architektur mit | |
Jugenstil-Elementen veranlasst nichts den Besucher zum Bleiben. Im alten | |
Gasthaus Kaiserkrone, wo jetzt eine dauernde Ausstellung ist, findet er | |
immerhin einen stillen Ort. | |
11 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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