# taz.de -- Vom Leben als Aussteiger: „Wir kommen ohne Geld aus“ | |
> Im „Kommune-Buch“ erzählen Autoren vom Leben im Kollektiv. Einer von | |
> ihnen ist der im Wendland lebende Hans Wenk. | |
Bild: Aussteigen und jenseits von Hierarchien leben: So kann es aussehen. | |
taz: Herr Wenk, was bedeutet es für Sie, in einer Kommune zu leben? | |
Hans Wenk: Erst einmal geht es um gemeinsames Wirtschaften. Je nach Kommune | |
ist das aber verschieden, man teilt entweder nur das Alltagsgeld oder auch | |
die Vermögensökonomie. In der Kommurage teilen wir beides, sprich: all | |
unser Geld. Darüber hinaus bestehen die Grundsätze unseres Zusammenlebens | |
darin, dass wir herrschaftsfrei leben wollen und im Konsens entscheiden. | |
Heißt das, wenn jemand von Ihnen plötzlich 100.000 Euro erbt, wird das Geld | |
sofort kommunalisiert? | |
Nicht sofort, aber doch komplett. Wir haben uns darauf geeinigt, dass jedes | |
Vermögen innerhalb von zehn Jahren voll in die Kommune einfließen soll. | |
Und was ist, wenn man kurz darauf auszieht? | |
Wir haben Ausstiegsverträge: Beim Einzug in die Kommune legt man fest, was | |
man braucht, wenn man auszieht. Das wird aber nicht darüber definiert, was | |
man in die Kommune einbringt, sondern daran, was man braucht. | |
Von welchen Beträgen sprechen wir hier? | |
In meinem Vertrag stehen 15.000 Euro. Weil ich, wenn ich älter bin, mir ein | |
bisschen was gönnen können möchte. Ich will nicht von Harz IV oder | |
Mindestrente leben müssen. | |
Sie sagten, Entscheidungen würden immer gemeinsam getroffen. Wie | |
funktioniert das? | |
Wir haben einmal pro Woche Plenum, da besprechen wir, was so anliegt. | |
Alltagsthemen, aber auch andere Sachen, die uns bewegen. | |
Und wie konsumieren Sie? Bauen Sie Ihr Gemüse selbst an? | |
Nein, wir haben keine eigenen Arbeitsbereiche auf unserem Hof. Alle sind | |
freiberuflich oder angestellt in anderen Jobs tätig. Aber wir wirtschaften | |
mit vier anderen Kommunen und einem Kollektivbetrieb zusammen. | |
Wie muss ich mir das vorstellen? | |
Wir haben uns die Frage gestellt, ob wir fair tauschen oder lieber alles | |
frei fließen lassen wollen. Wir haben uns für den freien Fluss entschieden. | |
Das heißt, wir tauschen Produkte und Arbeitskraft, ohne irgendetwas | |
aufzuschreiben oder zu bezahlen. | |
Haben Sie ein Beispiel? | |
Wir arbeiten in der Mosterei mit und bekommen dafür so viel Saft, wie wir | |
als Kommune brauchen. Aber wir sagen nicht ausdrücklich: Wir haben so viele | |
Stunden gearbeitet, deshalb kriegen wir soundso viel Saft. Und donnerstags | |
gehen wir umsonst im Kollektivbetrieb, dem Meuchefitzer Gasthof, essen. Wir | |
kommen also innerhalb des Projekts ganz ohne Geld aus. | |
Läuft das immer gerecht? | |
Die meisten denken eigentlich, sie gäben zu viel Geld aus. Das heißt, sie | |
glauben, sie gäben zu wenig in den freien Fluss hinein und können daher | |
nicht so viel verbrauchen. Es ist wie eine innere Beschränkung. Man denkt | |
immer: „Können wir uns das leisten?“ Anstatt zu sehen: „Wir haben doch | |
genug, das klappt schon alles.“ | |
Sind Sie eigentlich Weltverbesserer? | |
Nein. Bei dem Wort bin ich skeptisch. Aber wir wollen natürlich in die | |
Gesellschaft hineinwirken und zeigen, dass man anders miteinander umgehen | |
kann. Was wir hier praktizieren, ist ein Modell. Aber es gibt noch viele | |
andere Möglichkeiten. | |
Leben Sie also letztlich das Richtige im Falschen? | |
Ja. Zumindest ein Stück weit. Zum Beispiel, indem wir mit Ressourcen anders | |
umgehen. Wir haben zu sechst zwei Autos, und das auf dem Land. Das ist | |
schon ein anderes Leben, das im Falschen funktioniert. Und auch der Umgang | |
miteinander ist ein anderer als in herkömmlichen Strukturen. | |
Was heißt das? | |
Wir gehen auf Augenhöhe miteinander um. Wir versuchen, wirklich | |
gleichberechtigt zu leben. Dazu gehört zum Beispiel, zu gucken, was | |
dahintersteht, wenn die Kommunardin so und so handelt. Dass man wirklich | |
verstehen will und nicht nur sagt: „Wir sind aber fünf, die was anderes | |
wollen, damit musst du als Einzelne jetzt leben.“ | |
Was ist das Schwierigste am Kommunenleben? | |
Bei sich zu bleiben. Zu wissen, was man gerade braucht - und nicht in der | |
Gruppe unterzugehen. | |
Tritt irgendwann eine Übersättigung ein? Ist man der Plena irgendwann müde | |
und sehnt sich nach dem eigenen Reihenhaus? | |
Nach dem Reihenhaus nicht. Aber du bist immer in der Spannung: Tue ich | |
etwas für mich oder für die Gruppe? Es ist nicht leicht, da immer das | |
richtige Maß zu finden und sich mit seinen Bedürfnissen sichtbar zu machen. | |
Haben Sie ein Beispiel für eine solche Situation? | |
Als ich voriges Jahr 60 wurde, hatte ich den Wunsch, einen Fernseher in | |
meinem Bauwagen zu haben. Das war natürlich ein komischer Wunsch. Bei uns | |
guckt kaum jemand Fernsehen. Aber ich habe eben gesagt „Ich will das | |
jetzt“, und dann war es klar: „Natürlich bekommst du das.“ Aber da muss … | |
erstmal mit rauskommen, und nicht immer denken: „Das geht jetzt nicht.“ | |
Wie ist es denn im Alter- haben Sie Generationenkonflikte? | |
Es ist nicht immer einfach, zu merken, dass man nicht mehr überall | |
mithalten kann. In der Kommurage sind wir zwischen 30 und 61 Jahre alt. Da | |
muss man schon ab und zu sagen „Nein, ich bin nicht dabei“, und das ist | |
nicht immer leicht. Aber es wird von der Gruppe getragen. Der Reiz ist | |
andererseits, dass man vieles mitbekommt. Viele Themen, wie zum Beispiel | |
das Queer-Thema, würde ich in meinem Alter sonst nicht so nah mitbekommen. | |
Was hat sich über die Jahre verändert im Kommunenleben? | |
Die Form der Auseinandersetzung hat sich geändert. Wir haben jetzt eine | |
ganz andere Art der Kommunikation: Man lässt sich ausreden, man hört sich | |
zu. Man holt sich auch Hilfe, wenn man allein nicht weiterkommt: Mediation | |
und Supervision sind keine Tabus mehr. Aber auch die Themen haben sich | |
geändert. Früher ging es mehr um das Chaotische oder die Ordnung, auch um | |
Mann-Frau-Themen. Aber was in der Gesellschaft passiert, kommt natürlich | |
auch bei uns in der Kommune an. Es geht über binäre | |
Geschlechterverhältnisse hinaus, „queer“ ist dafür jetzt ein Thema bei un… | |
Und die Rollen sind bei uns im Alltag gerecht verteilt, da ist eine große | |
Selbstverständlichkeit reingekommen. | |
Inwieweit ist das, was Sie machen, eine Individuallösung, nach dem Motto: | |
„Ich mach nicht mehr mit und steige aus“ - und dann gründet man eine | |
Kommune im Wendland ... | |
Wir haben den Anspruch, nach außen zu wirken. Es ist also keine | |
Individuallösung. Wir sind auch bundesweit organisiert, im | |
Kommuja-Netzwerk. Darüber ist auch das Kommune-Buch entstanden. | |
Sie leben seit 16 Jahren im Bauwagen. Möchten Sie irgendwann wieder ein | |
normales Mietverhältnis eingehen? | |
Nein. Dieses Verhältnis von Vermieter und mir als Mieter kann ich mir nicht | |
mehr vorstellen. | |
„Das Kommunebuch utopie.gemeinsam.leben“ von Kommuja. Assoziation A, | |
Hamburg 2014, 344 Seiten, 18 Euro | |
23 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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