# taz.de -- Champions-League-Finale: Tiki-Taka vs. alter Fußballadel | |
> Beim Finale standen sich zwei Gladiatoren des globalisierten Kapitalismus | |
> gegenüber. Es geht um Zauberfußball und vor allem um Geld. | |
Bild: Barcelonas Luis Suarez mit Trophäe nach dem erfolgreichen Champions-Leag… | |
BERLIN taz | Es war vollbracht, doch Luis Enrique rannte nicht wie | |
entfesselt auf den Platz. Er blieb in der Coaching-Zone, die auch Minuten | |
nach dem großen Triumph des FC Barcelona jenen Bereich markierte, aus dem | |
sich der Katalane offensichtlich nicht heraus traute. Innerhalb der | |
Kreidestriche herzte er seine Assistenten und etliche Barça-Angestellte. | |
Das war komisch anzuschauen, dieser eingehegte Jubel der Barcelonenser in | |
ihren schicken schwarzen Anzügen oder, etwas legerer, im himmelblauen | |
Jeanshemd und Hose in dunklerem Denim. Was würde wohl Bruno Labbadia zu | |
dieser Art von Jubel sagen, der HSV-Coach? | |
Die gute Nachricht: Luis Enrique hat sich dann doch noch herausgewagt aus | |
der Coaching-Zone. Er ist herüber gegangen zu seinen Spielern, die bei den | |
25.000 Barça-Fans in der Ostkurve des Berliner Olympiastadions eine Party | |
feierten. Später hat er sich von seinen Jungs sogar in die Luft werfen | |
lassen. Ein bisschen Überschwang und großes Theater waren doch noch möglich | |
mit dem 45-Jährigen. Musste ja auch sein, denn Enrique, von dem niemand so | |
genau wusste, was er zu leisten imstande ist, hat gleich in seiner ersten | |
Saison als Cheftrainer des derzeit größten und wirkmächtigsten Vereins der | |
Welt das Triple geschafft. | |
Sein Team hat die spanische Meisterschaft gewonnen, den spanischen Pokal | |
[1][und jetzt auch die Champions League nach einem 3:1 gegen Juventus | |
Turin]. Das ist seinerzeit auch einem gewissen Pep Guardiola gelungen. Und | |
der ist danach, glaubt man den Geschichtsschreibern des Fußballs, zu einem | |
Halbgott dieses kaum mehr irdischen Sports aufgestiegen; vom Olymp, einem | |
Hügel in München, schaut er nun auf das schnöde Treiben der Sterblichen | |
herab. | |
Enrique, der noch nicht die Weihen der Heiligen Ballsport-Kongregation | |
empfangen hat, er hatte wie eine Milliarde Menschen weltweit ein | |
„spektakuläres Spiel“ gesehen, in dem Barça die bessere Mannschaft war. | |
„Wir haben verdient gewonnen“, bilanzierte dieser Luis Enrique Martínez | |
García, wie er mit vollem Namen heißt. „Juve hat uns aber vor einige | |
Probleme gestellt.“ | |
## Mehr als ein Fußballspiel | |
Diese Sätze waren irgendwie zu nüchtern, zu abgenutzt, um dieses Match zu | |
erfassen. Einerseits handelte es sich nur um ein Fußballspiel, andererseits | |
war es viel mehr als das. Ein Hochamt, ein Gipfeltreffen, ein Fan-Exzess, | |
ein Show-Act der Superstars um Messi und Pirlo – und natürlich auch ein | |
Groß-Event der Sponsoren, vom katarischen Staatsfonds und von Fiat, dem | |
Weltkonzern mit Marken wie Chrysler, Jeep, Dodge, Alfa Romeo und Lancia. | |
Hier haben sich zwei Gladiatoren des globalisierten Kapitalismus | |
gegenübergestanden. Da der FC Barcelona, der längst abgekommen ist von | |
seinen ökonomischen Spleens, etwa dem, auf der Brust für die Unicef zu | |
werben. Ein Verein, dessen Trikot ein badischer Ökoaktivist ebenso stolz | |
trägt wie ein Kind aus Lambarene in Afrika. Der FC Barcelona kann wegen | |
seines berauschenden Spiels, seines Tiki-Taka und der glorreichen Ideen von | |
Messi, Neymar und Suarez von jedem Fußballfan auf diesem Globus geliebt | |
werden – wenn er nur will. | |
Auf der anderen Seite stand Juventus Turin, alter Fußballadel. So etwas wie | |
der VfL Wolfsburg, nur eben auf Italienisch und mit etwas mehr Geschichte, | |
denn die Unternehmerfamilie Agnelli ist dem Verein ja seit 1897 verbunden. | |
Sie ist es auch heute noch. Juventus Turin hat in den letzten Jahren einen | |
verblüffenden Wieder-Aufstieg in den erlauchten Kreis der | |
Champions-League-Elite hingelegt. Wegen eines Manipulationsskandals, dem | |
sogenannten Calciopoli, mussten sie 2006 in die zweite italienische Liga | |
absteigen, in die Serie B. Aber sie kamen zurück. Und wie. | |
## Zeitgeist der Globalisierung | |
Seit 2011 geht es wie im Zeitraffer voran für die Piemonteser. Da zogen sie | |
in ihr neues, eigenes Stadion – eine Seltenheit in Italiens Seria A – und | |
gewannen Scudetto um Scudetto, Meisterschaft um Meisterschaft. Die Agnellis | |
schafften es auch wieder, den Zeitgeist der Globalisierung zu erspüren. | |
Fiat wurde zum weltumspannenden Unternehmen, das übrigens aus Steuergründen | |
in den Niederlanden beheimatet ist. | |
Agnellis Vermögensverwaltungs-Gesellschaft Exor hält knapp 64 Prozent an | |
der FC Juventus AG, dessen Aktien unter anderem an der Mailänder Börse | |
gehandelt werden. Die Re-Professionalisierung und Re-Kapitalisierung von | |
Juve entspricht übrigens einem Trend in der Seria A: Beim AC Mailand will | |
der thailändische Banker Bee Taechaubol 48 Prozent der Club-Anteile | |
erwerben. | |
Inter Mailand gehört einer indonesischen und der AS Rom einer | |
US-amerikanischen Investorengruppe. Juve eröffnete im Jahre 2002 diesen | |
Reigen. Der libysche Staatsfonds Lafico (heute LIA), erwarb 7,5 Prozent der | |
Anteile. Doch nach einer Kapitalerhöhung der FC Juventus AG und dem | |
Einfrieren der lybischen Gelder 2011 durch die EU spielt Lafico keine Rolle | |
mehr im Verein. | |
Juve dürfte nichtsdestotrotz in Zukunft mitmischen im ganz großen | |
Fußballspiel, denn Fiat überweist ihnen als Trikotsponsor jährlich 17 | |
Millionen Euro plus Erfolgsboni. Adidas zahlt von diesem Jahr an bis 2021 | |
190 Millionen Euro. Und die erfolgreiche Saison in der Champions League | |
spült noch einmal fast 100 Millionen Euro (inklusive TV-Gelder und | |
Ticketerlöse) in die Kassen der Turiner. Sie sind natürlich im Vergleich | |
zum FC Barcelona noch immer ein eher kleineres Licht am Fußball-Firmament. | |
## Beide Vereine sind massiv verschuldet | |
Während Juventus Turin etwa 300 Millionen Euro im Jahr umsetzt, schaffte | |
Barca nach eigenen Angaben zuletzt 591,5 Millionen Euro. Diese Zahlen sind | |
wichtig, geben sie doch Auskunft über die wahrscheinliche spielerische | |
Potenz in der Zukunft. Dabei darf nicht unter den Tisch fallen, dass beide | |
Vereine massiv verschuldet sind. Turin drücken Verbindlichkeiten von über | |
450 Millionen Euro. Barça, dieser – aufgehört! – gemeinnützige Verein im | |
Besitz der Mitglieder, hat 287 Millionen Euro Schulden. | |
Aber das ist kein Problem, solange weiterhin Zauberfußball gespielt wird. | |
Beide Vereine haben mit diesem Finale ein Versprechen gegeben für mehr | |
Wachstum, mehr Spektakel. Es geht darum, die Magie des Augenblicks zu einem | |
Momemt des Künftigen zu machen. Vor allem die Katalanen verstehen sich | |
darauf. Die Dribbelkünstler und Seidenfüßler scheinen nicht nachzulassen | |
und in der Folgesaison immer noch ein bisschen besser zu sein. | |
In diesem Finale wankte der FC Barcelona nur zweimal kurz – in den ersten | |
drei Minuten, als Juve ein starkes Pressing aufzog und nach dem | |
1:1-Ausgleichstreffer der Italiener (55. Minute, Morata). Aber aus beiden | |
Situationen befreite sich Barça durch geniale Aktionen. Ein Tor des | |
Ex-Schalkers Rakitic in der 4. Minute und das 2:1 durch Suarez in der 68. | |
Minute rückten die Machtverhältnisse auf dem Platz schnell wieder zurecht; | |
das 3:1 von Neymar in der Nachspielzeit war dann nur noch eine Zugabe zum | |
katalanischen Triumph. Stets waren es verblüffende Tempowechsel, ein | |
Passwirbel im Strafraum oder ein Antritt von Messi, die Barcelona wieder in | |
Front brachten. Barça verfügte schlichtweg über mehr offensive | |
Möglichkeiten als Juve. | |
Der FC Barcelona ist jetzt mit vier Champions-League-Titeln in zehn Jahren | |
so etwas wie ein mythisches Gesamtkunstwerk mit angeschlossenem | |
Spielbetrieb. Juventus Turin hat aber auch große Pläne. Jedenfalls hat | |
Juve-Präsident Andrea Agnelli verstanden, wie man heutzutage auf dem | |
Fußball-Markt Fortschritt generiert. „Unser Produkt sind Tore“, hat er in | |
einem Interview mit der Zeit gesagt. Man muss halt immer nur eins mehr | |
schießen als der Gegner. Capisce! | |
7 Jun 2015 | |
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## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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