| # taz.de -- Schweigen oder Weggehen: „Kunst war für mich wie Befreiung“ | |
| > Im schicken Hamburger Stadtteil Uhlenhorst hat der Onkologe Thanasis | |
| > Bagatzounis eine Galerie eröffnet. Weil er auf Zypern Politiker | |
| > kritisierte, wurde er entlassen. | |
| Bild: Für ihn hat Kunst eine starke innere Kraft, die die Welt verändern kann… | |
| taz: Herr Bagatzounis, wie kommt ein Arzt dazu, eine Galerie zu eröffnen? | |
| Thanasis Bagatzounis: Vor 18 Jahren habe ich meine Position als Oberarzt | |
| auf einer deutschen Universitätsklinik aufgegeben und bin mit meiner Frau | |
| und unserem Sohn nach Zypern umgezogen, um dort im Aufbau eines modernen | |
| Zentrums für die Krebstherapie mitzuwirken. Dieses Zentrum war von der | |
| größten kommerziellen Bank des Landes gestiftet, sollte aber von | |
| öffentlichen Geldern auf die Dauer finanziert werden. | |
| Klingt vielversprechend. Aber es gab einen Haken? | |
| Was wir damals nicht wussten ist, dass der Staat Zypern als Gegenleistung | |
| für die großzügige Spende der Banker, die Krebsabteilung im größten | |
| öffentlichen Krankenhaus für immer schließen musste, weil es die Banker so | |
| wollten. Das erfuhren wir erst als die ersten Kapazitätsprobleme und | |
| Engpässe in der Versorgung der Krebspatienten kamen. | |
| Was bedeutete das für die ärztliche Versorgung? | |
| Ich - und viele meiner Kollegen - hielten das für äußerst unethisch und | |
| haben reagiert, aber es war zu spät. Die Banker hatten bereits die | |
| Kontrolle der Krebspolitik übernommen, der Staat hatte sie ihnen praktisch | |
| überlassen. Und wir waren ihnen machtlos ausgeliefert, sie waren unsere | |
| Arbeitgeber und für uns gab es keine Alternative. Die Banker bestimmten, | |
| welche Investitionen für die Krebsbehandlung gemacht werden dürfen. Das ist | |
| bis heute so geblieben. | |
| Und wie sind Sie damit umgegangen? | |
| Zunächst habe ich als Präsident der damals neu gegründeten | |
| Onkologiegesellschaft Zyperns versucht, durch Vorträge, Zeitungs- und | |
| Fernsehinterviews, die Öffentlichkeit über die Notwendigkeit eines | |
| transparenten und gerechten Gesundheitssystems zu sensibilisieren. | |
| Schießlich musste ich, im Juli 2008, aufgrund der massiven Kritik, die ich | |
| gegen meinen Arbeitgeber, die Banker, und die Politiker des Landes | |
| richtete, eben dieses System verlassen. | |
| Sie haben das Gesundheitswesen als korrupt bezeichnet. Was genau meinen Sie | |
| damit? | |
| Für mich ist ein Arzt, der das Unrecht im Gesundheitswesen sieht, aber | |
| schweigt, weil er am Ende des Jahres ein gutes Bonusgeld für sein Schweigen | |
| bekommt, korrupt. | |
| Auch in Deutschland gibt es Kritik an der Privatisierung und | |
| Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Wie sehen Sie beide Systeme im | |
| Vergleich? | |
| Es hängt ja alles miteinander zusammen. Die EU, und eine große Lobby hinter | |
| ihr, versuchen, die nationalen Gesundheitssysteme zu einem europäischen | |
| Gesundheitsmarkt zu transformieren. Das ist die Philosophie der sogenannten | |
| „grenzüberschreitenden Gesundheit“ und Deutschland hat eine mächtige | |
| Industrie aufgebaut, um auch in diesem Marktsegment kompetitiv zu sein. Es | |
| geht um viel Geld und weniger um die Menschen Europas. | |
| Nachdem Sie Ihre Kritik in Zypern äußerten, wurden Sie fristlos gekündigt. | |
| Ja, und das war auch der Beginn meiner Auseinandersetzung mit Kunst. Es war | |
| für mich wie eine Befreiung. Ich habe sehr schnell eine Onkologie-Praxis | |
| gegründet und dort auch viele kulturelle Veranstaltungen organisiert und | |
| immer wieder versucht, auf die Gefahren der neoliberalen Politik im | |
| Gesundheitswesen aufmerksam zu machen. Kurz vor Zusammenbruch der Banken | |
| und der Wirtschaft Zyperns bin ich nach Deutschland zurückgekehrt und | |
| arbeite seitdem als Facharzt für Strahlentherapie und Radioonkologie. | |
| Daneben haben Sie eine Galerie im schicken Hamburger Stadtteil Uhlenhorst | |
| gegründet. | |
| Zunächst habe ich im Februar letzten Jahres hier in Hamburg das „Art Grexit | |
| project“ gestartet, eine Sensibilisierungskampagne für die Probleme | |
| krebskranker Menschen auf Zypern und in Griechenland, meinem Heimatland. | |
| Gleichzeitig war das Projekt eine künstlerische Auseinandersetzung mit den | |
| Effekten der Korruption und der neoliberalen Reformen auf die Gesellschaft | |
| und die Menschen in den Krisenländern Europas. Die Gründung der Galerie | |
| „Papenhuder 57“ ist die Fortsetzung dieses Projektes. Wir organisieren | |
| regelmäßig Veranstaltungen, die nicht direkt etwas mit Kunst zu tun haben. | |
| Hatten Sie vorher etwas mit Kunst zu tun? | |
| Nein, überhaupt nicht. Mein Bruder ist Künstler, er lebt in Griechenland | |
| und zwar ziemlich isoliert vom Rest der Welt. Als wir uns 2011 in unserer | |
| Heimatstadt nach vielen Jahren wieder trafen, wurde mir erst bewusst, wie | |
| schwierig es ist, die Barrieren zwischen einem Künstler und einem | |
| Nicht-Künstler zu überwinden und einander zu verstehen. Mittlerweile | |
| arbeite ich gut mit Künstlern wie Penny Monogiou, Sylvia Henze und Montse | |
| Fontclara zusammen. | |
| Was bedeutet Ihnen Kunst? | |
| Ich denke, dass gute Kunst eine starke innere Kraft hat und, dass wenn man | |
| sie richtig einsetzt, sie die Welt positiv verändern kann. | |
| Neulich sprachen Sie in Ihrer Galerie über „autonome kulturelle | |
| Diplomatie“. Was meinen Sie damit? | |
| Damit wollte ich meinen Landsleuten sagen, dass jeder von uns ein | |
| Botschafter Griechenlands ist und, gerade in solchen Zeiten, wir unser | |
| Bestes geben müssen, um das negative Image von Griechenland zu verbessern. | |
| Das ist eigentlich nicht schwer, es reicht wenn wir unsere Kultur | |
| respektieren und uns nicht manipulieren lassen, originell und authentisch | |
| bleiben. | |
| Sie glauben also, dass vieles von einzelnen Menschen abhängt - und sie also | |
| auch Verantwortung auf den Schultern tragen? | |
| Sie müssen nicht große Politik machen. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass | |
| wir alle mit unseren Nachbarn, mit den Kollegen in der Arbeit oder mit den | |
| Kommilitonen sprechen und ihnen erklären, dass es sicher Sachen gibt, die | |
| in Griechenland falsch gemacht wurden. Aber man darf ein ganzes Volk nicht | |
| dafür bestrafen. Die meisten können nichts dafür. Wir müssen uns auch für | |
| die Rechtsverfolgung und Bestrafung der verantwortlichen Politiker | |
| einsetzen. | |
| Wie stehen Sie zur Regierung von Alexis Tsipras? | |
| Ich finde gut, dass die neue Regierung Griechenlands deutliche Signale | |
| gegen die Austeritätspolitik und das Diktat der Troika gesetzt hat. Ich | |
| begrüße, dass sie ein großes Nein zum weiteren Abbau des öffentlichen | |
| Gesundheitssystems und der Renten ausgesprochen hat und dass der | |
| öffentliche Rundfunk wieder sendet. Ich bin aber dagegen, dass der | |
| Gesundheitsminister mit den großen Pharmakonzernen verhandelt, um die Zahl | |
| der klinischen Studien für Erprobung von neuen Medikamenten zu erhöhen und | |
| dadurch Einnahmen für das Land zu erzielen. Das ist sicherlich der falsche | |
| Weg. | |
| Was wäre der richtige? | |
| Die Tsipras-Regierung hat es nicht einfach, aber sie bemüht sich und macht | |
| bis jetzt, insgesamt, eine anständige Politik. | |
| Was muss dringend passieren? | |
| Kommunale, kooperative Projekte im Bereich Gesundheit, Bildung und Kultur | |
| fördern, insbesondere in der Peripherie des Landes, und versuchen, durch | |
| Schaffung von Arbeitsplätzen die massive Flucht von jungen qualifizierten | |
| Menschen, das eigentliche „Grexit“, zu stoppen. | |
| 7 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
| ## TAGS | |
| Zypern | |
| Bankenkrise | |
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