# taz.de -- Heiliger Rasen: Zum Wohle der Grasnarbe | |
> Hamburg verbietet ein Zirkuszelt, in Hannover könnte eine lädierte Wiese | |
> das Ende eines Flüchtlingscamps einleiten. Rasen ist offenbar mehr als | |
> die Summe seiner Halme. | |
Bild: Wenn einmal alles kaputt ist, hilft nur noch Rollrasen. | |
Hamburg taz | Wer kennt diese Flecken nicht. Flecken, die im Rasen bleiben, | |
wenn die Zelte längst abgebaut wurden. Wie Negative erinnern platt | |
gedrückte gelbe Grashalme und kahle Stellen an das, was hier mal stand. An | |
einen schönen Sommer vielleicht. Nicht schlimm, denkt man sich. Eigentlich | |
ganz nett sogar, wächst ja wieder Gras drüber und bald ist alles wieder | |
ganz sattgrün als sei nichts gewesen. Aber ganz so einfach ist das wohl | |
doch nicht. | |
Der Hamburger Bezirk Nord hat jedenfalls gerade sein Herz für intakte, | |
ungefleckte Rasenflächen entdeckt. Am Dienstag hätten eigentlich 200 Kinder | |
aus den Grund- und Stadteilschulen einen Tag im Mitmach-Zirkus statt in der | |
Schule verbringen sollen. In einem Park sollte dafür eigens ein Zirkuszelt | |
aufgestellt werden. Aber das zuständige Bezirksamt machte sich Sorgen um | |
den schönen Rasen, der werde durch eine solche Aktion doch zu sehr in | |
Mitleidenschaft gezogen. Die Grasnarbe sei in Gefahr und darum gab es keine | |
Erlaubnis für das Zirkuszelt. Mal sehen, vielleicht ja im Herbst, das müsse | |
man erst noch prüfen. LehrerInnen und Eltern reagierten mit Unverständnis | |
und schimpften, hier werde ja wohl das Wohl einer Grasnarbe über ein | |
wertvolles Projekt für Kinder gestellt. | |
Was ist hier bloß los? Ist eine schön grüne Rasendecke wichtiger als ein | |
spielerischer Tag im Park? Vielleicht muss man das so pathetisch sagen. | |
Doch so sehr muss die Entscheidung des Bezirks auch nicht verwundern, hält | |
man sich die Symbolik des Rasens vor Augen. Eine geschlossene Rasendecke, | |
die man Wildkräutern, Moos, Blumen und dem übrigen Naturgezuppel immer | |
wieder aufs neue mühevoll abtrotzt, ist schließlich immer noch ein Indiz | |
dafür, wie sehr jemand die Sache im Griff hat. Je perfekter, also je | |
ausgeprägter die teppichartige Gleichmäßigkeit der Rasenfläche, desto | |
lauter ruft es: Sehr her, hier ist doch alles in Ordnung! | |
Der zivilisierte Mensch erhebt sich mit Rasendünger und Mäher und einem | |
sattgrünen, glatten Rasen über die wuchernde Natur. Genau dafür mühen sich | |
Wochenende für Wochenende RasenbesitzerInnen ab - die Visitenkarte muss | |
schließlich stimmen. Wer es mit seinem Rasen hingegen gern mal schleifen | |
lässt, der macht sich verdächtig und setzt sich Gemurre aus. Zu faul, oder | |
was? So heißt es schnell, wenn der Rasen im Vorgarten ungemäht, ungewässert | |
und unvertikutiert herumwuchert oder sich Flecken auf der Wiese abzeichnen. | |
Guck mal, da läuft es wohl nicht, hm? Dieser Argwohn gilt für Privatleute | |
wie für die öffentliche Hand. | |
Letztere muss sich bei zu viel unordentlichem Grün im Zweifel noch sagen | |
lassen, dass niemand für einen so strubbeligen Park Steuern zahlen wolle. | |
Denn schauen Sie, wenn die es nicht mal hinkriegen, das bisschen Rasen in | |
Ordnung zu halten, ja, wie wollen die wirklich Wichtiges hinbekommen? | |
Schließlich rangiert so ein scheckiger Rasen etwa auf der gleichen Stufe | |
wie, sagen wir, schmutzige Fingernägel. Die sind auch nicht wirklich | |
schlimm, aber leicht zu vermeiden und wer sich da schon nicht drum kümmert, | |
der wäscht sich doch auch sonst bestimmt nicht. | |
So empfindlich jedenfalls, dass ein Zirkuszelt ihr etwas anhaben könnte, | |
ist so eine Grasnarbe nicht. Das ist also ein eher schwaches Argument gegen | |
ein Zelt. Meistens sind eher Pflegefehler, Pilzkrankheiten und Schädlinge | |
dafür verantwortlich, dass ein Rasen nicht mehr aussieht, wie man sich so | |
einen vernünftigen Rasen so vorstellt. | |
Ein Beispiel aus Hannover zeigt, was passiert, wenn Flüchtlinge drohen, die | |
grüne Visitenkarte zu beschädigen. Bei Kindern als Konkurrenz hat der Rasen | |
noch verhältnismäßig schlechte Karten. Aber bei Flüchtlingen sieht das | |
schon anders aus. Mitte Mai jährte sich der Tag, an dem Flüchtlinge aus dem | |
Sudan ein paar Zelte auf dem 200 Meter mal 50 Meter großen, bewiesten, von | |
Bäumen umstandenen und etwa einen Meter abgesenkten Weiße-Kreuz-Platz in | |
Hannover aufstellten, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. | |
Am 16. Mai schrieb die Hannoversche Allgemeine Zeitung: „Jetzt muss aber | |
auch mal gut sein.“ Gut sein muss es mit dem Flüchtlingscamp, mit dem die | |
Hannoveraner ja bislang Geduld bewiesen hätten. Sogar hergerichtet wurde | |
der Platz von der Stadt vor nicht allzu langer Zeit für viel Geld. Aber nun | |
ist Schluss, denn, so die Hannoversche Allgemeine, jetzt wüchse auf dem | |
Zeltplatz zwischen Volxküche, Gemeinschaftszelt und den etwa zehn | |
Schlafzelten kein Gras mehr. Es gehe hier langsam aber sicher der Grasnarbe | |
an den Kragen. Damit sei eine Schwelle überschritten. In Wahrheit wird hier | |
eine andere Schwelle überschritten. Schön wäre, wenn man sich über die | |
eigentliche Visitenkarte der Stadt verständigte. | |
26 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
Fremdenfeindlichkeit | |
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