# taz.de -- Traumatisierte Soldaten: Panikattacken und Depressionen | |
> Aus dem Auslandseinsatz zurückkehrende Soldaten leiden oft an | |
> Belastungen. Psychologen kritisieren die Instrumentalisierung durch das | |
> Militär. | |
Bild: Panikattacken und Depressionen können auch erst Jahre nach dem Einsatz a… | |
BERLIN taz | Die Leidensgeschichte von Johannes Clair begann im Oktober | |
2010 in einem Bewässerungsgraben nahe Kundus. Der damals 24-jährige | |
Zeitsoldat sollte mit drei anderen einen Außenposten in einem Dorf | |
errichten, als sie ein Gewehrfeuer aus dem Hinterhalt in die Deckung trieb. | |
Vier Tage lagen er und seine Kameraden in dem Graben unter Dauerbeschuss. | |
Am Schluss war er nicht mehr handlungsfähig, fühlte nur noch pure, nackte, | |
panische Angst. | |
Zurück in Deutschland schien erst einmal alles gut für den ehemaligen | |
Fallschirmjäger zu laufen. Er schrieb ein Buch über seine Erlebnisse in | |
Afghanistan. Es wurde zum Bestseller. Er hielt Vorträge zum Thema. | |
Schließlich nahm er ein Studium auf. Doch kurze Zeit später holte ihn die | |
Vergangenheit wieder ein. | |
Eigentlich harmlose Alltagserlebnisse katapultierten ihn immer wieder in | |
das Grauen des Grabens bei Kundus zurück. Er entwickelte Panikattacken, | |
hatte Depressionen und konnte schließlich nicht mehr aus dem Haus gehen. | |
Heute weiß Johannes Clair, dass er unter einer Posttraumatischen | |
Belastungsstörung litt. | |
Solche, auf der Erfahrung eines außergewöhnlichen, lebensbedrohenden | |
Ereignisses beruhenden psychischen Beeinträchtigungen sind in den letzen | |
Jahren bei aus dem Auslandseinsatz zurückgekehrten Bundeswehrsoldaten | |
kontinuierlich gestiegen. Schon 2013 schloss deshalb das | |
Bundesverteidigungsministerium einen Vertrag zur Verbesserung der | |
therapeutischen Versorgung der Soldaten mit der | |
Bundespsychotherapeutenkammer ab. | |
## Erleichterungen für Betroffene | |
Betroffenen wird jetzt von der Bundeswehr eine ambulante Therapie | |
finanziert, die auch in psychotherapeutischen Privatpraxen stattfinden | |
kann. Zwischen der Bundeswehr und dem Berufsverband wurden zudem | |
regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen vereinbart: „Traumatisierte | |
Soldaten werden damit deutlich leichter einen Therapieplatz finden. Sie | |
sind nicht mehr ausschließlich auf die überlaufenen Praxen der für die | |
Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen | |
Psychotherapeuten angewiesen“, so Kammerpräsident Professor Rainer Richter. | |
Diese Vereinbarung stößt jedoch nicht bei allen niedergelassenen | |
Therapeuten auf Gegenliebe. So erklärte die Internationale Organisation der | |
Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges (IPPNW), es sei ein falsches Signal, | |
wenn mit der Institution, die ursächlich mit der Entstehung einer | |
posttraumatischen Belastungsstörung verbunden sei, Verträge abgeschlossen | |
würden. | |
## Geheimhaltungspflicht für Soldaten | |
Auch die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) wendet sich gegen eine | |
Instrumentalisierung von Therapeuten durch die Bundeswehr: „Wir kritisieren | |
den Rahmen der Abhängigkeit vom Militär, in dem die Therapie stattfinden | |
soll“, sagt der NGfP-Vorsitzende Klaus-Jürgen Bruder. Schon zwei Tagungen | |
organisierte die NGfP bisher zu dem Thema. | |
Als problematisch empfindet der Verband unter anderem auch die | |
Geheimhaltungspflicht der Soldaten: „Wir müssen unsere Patienten warnen, | |
über kriegsrelevante Details zu reden“, klagt die Psychoanalytikerin Almuth | |
Bruder-Bezzel. Das verstoße gegen die analytische Methode der freien | |
Assoziation: Alles, was durch den Kopf des Patienten geht, sollte möglichst | |
unkontrolliert geäußert werden können. | |
Bruder-Bezzel verweist zudem auf die unrühmliche Rolle, die Psychiatrie und | |
Psychologie schon in den letzten Weltkriegen spielten. Ärzte, Psychiater | |
und auch Psychoanalytiker erwiesen sich als eifrige Erfüllungsgehilfen der | |
Militärs, sie waren „die Maschinengewehre hinter der Front“, wie Freud | |
einmal treffend bemerkte. | |
## Zurück an die Front | |
In der Behandlung der „Kriegszitterer“, wie die von den Schrecken des | |
Kriegs verängstigten Soldaten im Ersten Weltkrieg genannt wurden, vollzog | |
sich ihre Professionalisierung. Erkannte man zunächst noch einen | |
Zusammenhang zwischen Kriegserlebnis und Traumatisierung und schrieb die | |
Soldaten dienstuntauglich, wurde angesichts der großen Masse von | |
Betroffenen ihr Verhalten als psychogene Reaktion interpretiert, die man | |
mit Foltermethoden auszutreiben versuchte. | |
Auch die zunehmend zu Rate gezogenen Psychoanalytiker deuteten die Symptome | |
als innerpsychische Störung, die die Soldaten „an der bedingungslosen | |
Hingabe an die Gesamtheit hindere“, so zum Beispiel der Psychoanalytiker | |
Karl Abraham, und schickten die Rekruten an die Front zurück. | |
Rentenansprüche wurden in den von ihnen ausgestellten Gutachten fast stets | |
verweigert. | |
Demgegenüber erscheint der Umgang der Bundeswehr mit traumatisierten | |
Soldaten heute human. Es gibt eine Psychotraumahotline, Peergruppen, die | |
den Betroffenen beratend zur Seite stehen und eine Entschädigung, falls die | |
Traumatisierung durch Gutachten bestätigt und innerhalb von fünf Jahren | |
nach dem Auslandseinsatz gemeldet wird. | |
## Auswirkungen erst Jahre später | |
Dennoch meint Johannes Clair: „Der gesamte Anerkennungsprozess ist extrem | |
anstrengend.“ Er macht bereits seit 2013 eine von der Bundeswehr | |
finanzierte Therapie, ist vorübergehend dienstunfähig geschrieben und | |
erhält weiterhin seine alten Bezüge. Allerdings wartet er immer noch | |
darauf, als wehrdienstbeschädigt anerkannt zu werden. | |
Schlimmer jedoch, so Clair, der in der Veteranenarbeit tätig ist, hätten es | |
ehemalige Soldaten, deren Einsatz schon länger zurückliegt. Das tückische | |
an Posttraumatischen Belastungsstörungen ist, dass sie erst Jahre nach dem | |
Einsatz auftreten können. So kennt er Zeitsoldaten, die in den 90er Jahren | |
mit der Bundeswehr in Somalia oder Bosnien waren und deren Leben danach | |
total aus der Spur lief: Alkoholismus, Depressionen, Arbeitslosigkeit. | |
Oft war ihnen gar nicht bewusst, dass sie im Einsatz traumatisiert wurden. | |
Sie müssen ihren Anspruch auf Rente oder Entschädigung nachträglich | |
einklagen und dabei nachweisen, dass ihre psychischen Beeinträchtigungen | |
auf den Auslandseinsatz und nicht etwa auf frühere Traumatisierungen | |
zurückzuführen sind. | |
Bei Johannes Clair hatte die Auseinandersetzung mit den auslösenden | |
Ereignissen in der Therapie erst einmal zu einer Verschlechterung seiner | |
Symptome geführt. Zurzeit befindet er sich wieder zur Intensivbehandlung in | |
einem Bundeswehrkrankenhaus. | |
## Hohe Rückfallquote | |
Posttraumatische Belastungsstörungen haben eine hohe Rückfallquote. Das | |
könnte aber auch an den Therapiemethoden liegen. Weit verbreitet ist die | |
Behandlungsmethode EMDR, bei der eine durch die Augenbewegungen erzeugte | |
Synchronisation der Hirnhälften für eine Stressreduzierung sorgen soll. | |
Almuth Bruder-Bezzel kritisiert daran die Sprach- und Reflexionslosigkeit. | |
Der Kärntner Traumaspezialist Klaus Ottomeyer meint: „Die | |
Schuldproblematik, die viele Soldaten haben, weil sie Menschen erschossen | |
oder Kameraden im Stich gelassen haben, taucht hierbei nicht auf.“ Für | |
sinnvoller hält er es daher, den Traumageschädigten eine Möglichkeit zur | |
Wiedergutmachung zu geben, zum Beispiel durch ein friedensstiftendes | |
Engagement. | |
Auch die Psychoanalytikerin Almuth Bruder-Bezzel ist, was die | |
Behandlungsmöglichkeiten angeht, skeptisch. Zwar könne ein Soldat nach dem | |
Abklingen seiner Traumatisierung wieder dienstfähig sein, geheilt sei er | |
damit aber noch nicht. | |
Ihr Fazit: „Schluss mit diesen Kriegen, das wäre die einzig aussichtsreiche | |
Heilmaßnahme.“ | |
28 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Dagmar Schediwy | |
## TAGS | |
Soldaten | |
Posttraumatische Belastungsstörung | |
PTBS | |
Panik | |
Depression | |
Psychiatrie | |
Schwerpunkt Erster Weltkrieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zwangseinweisung in die Psychiatrie: Ruhiggestellt | |
Der Fall Eva B.: Wie das Leben einer Frau zwischen psychiatrischen | |
Gutachten, Justiz und dem Willen der Angehörigen zerrieben wird. | |
Militärpsychatrie im Ersten Weltkrieg: „Kriegszitterer“ waren verpönt | |
Elektroschocks und Isolation: Um „Kriegshysteriker“ zurück zur Front zu | |
bringen, wurden in der noch jungen Disziplin drastische Methoden angewandt. |