# taz.de -- Experiment üaber Kleinstädte: Kreisverkehr und Mythenbildung | |
> Der Hamburger Regisseur Volko Kamensky macht - beinahe ein Widerspruch in | |
> sich - unterhaltsame Experimentalfilme, in denen er etwa der | |
> kleinstädtischen Selbstinszenierung nachspürt | |
Bild: Immer im Kreis, 28 Minuten lang: Kamenskys Debüt "Divina Obsesión" aus … | |
HAMBURG taz | Es wird einem nicht langweilig. Das ist vielleicht die größte | |
Überraschung bei den Kurzfilmen von Volko Kamensky. Eine beachtliche | |
Leistung, immerhin zeigt er etwa in „Divian Obsesion“ 28 Minuten lang nur | |
Kamerafahrten auf französischen Kreisverkehren; in „Alles was wir haben“ | |
sind es 22 Minuten langsame Schwenks durch Stadtansichten, in „Oral | |
History“ wiederum 22 Minuten lang Fahrten an menschenleeren Gebäuden | |
entlang, die sich als Freilichttheaterkulissen entpuppen. | |
In ihrer Strenge sind diese Bilder offensichtlich konstruiert, und genau | |
darum geht es Kamensky. Und sie zeigen eine gebaute Wirklichkeit: | |
Verkehrsknotenpunkte, Elemente einer norddeutschen Kleinstadt, Gebäude, die | |
tatsächlich Teile von Bühnenbildern sind. Auf der Tonebene arbeitet er mit | |
einer ähnlich strengen stilistischen Konsequenz, lässt aber Menschen | |
erzählen. Dadurch verlieren seine Bilder nicht ihre Geheimnisse, aber sie | |
bekommen eine vieldeutig schillernde Bedeutung. | |
Bei seinem ersten Film „Divina Obsesion“, entstanden 1999 an der Hochschule | |
für bildende Künste in Hamburg, wollte Kamensky anfangs nur in leichter | |
Zeitlupe gefilmte Fahrten um die damals gerade in Mode kommenden | |
französischen Kreisverkehre zeigen, begleitet von Musik mit der | |
Exotica-Sängerin Yma Sumac. Doch bei ersten Sichtungen fiel das Debüt bei | |
seinen Kommilitonen durch: Niemand verstand den Film. So fügte er der | |
Tonspur ein weiteres Element bei – und dieses Gestaltungsmittel ließ seine | |
Arbeiten wirklich originell werden: Er fügte Telefongespräche mit Experten | |
ein, die speziell über das Phänomen der „Kreisverkehrinneninseln“ | |
referierten, also den nicht befahrenen Innenteil, der gerne mit Kunst im | |
öffentlichen Raum verziert wurde. | |
Komisch wirkt dabei das Sendungsbewusstsein, ja: die Inbrunst, mit der ein | |
ADAC-Mann, ein Professor für Verkehrswesen und ein Verkehrspsychologe sich | |
in ihre Vorträge hineinsteigern. Und man versteht, dass es sich da um eine | |
Art von Bühnen handelt, auf denen die französischen Ortschaften sich so | |
vorteilhaft wie möglich präsentiert sehen wollen. | |
Dies ist das Verbindungsglied zu Kamenskys zweitem Film „Alles was wir | |
haben“ (2004): Er handelt vom Heimatmuseum in Rotenburg/Wümme, also einer | |
Institution, die ebenfalls versucht, das Bild einer Ortschaft zu gestalten. | |
Seltsamerweise gab es dagegen – wenn auch unorganisierten – Widerstand: Das | |
Museum wurde zweimal in den 70er-Jahren sowie erneut in den Jahren 2001 und | |
2002 zu großen Teilen durch Brandstiftung zerstört. Zu den meist eher | |
unspektakulär fotografierten und montierten Bildern vom Ort und dem Museum | |
lässt Kamensky zuerst den Stadtarchivar darüber berichten, dass es in den | |
über 800 Jahren seit der Stadtgründung viele verheerende Großbrände in | |
Rotenburg gegeben habe. Danach erzählt die Leiterin des Museums von den | |
neuzeitlichen Bränden und konzentriert sich dabei speziell auf die | |
Brandstifterin in den 70er-Jahren: ein damals 19-jähriges Mädchen, | |
psychisch krank, dessen Vater ausgerechnet ein sehr engagierter Förderer | |
des Heimatmuseums war. | |
Die Erzählungen der beiden liefern Informationen auf vielen verschiedenen | |
Ebenen und manchmal ist schwer zu erkennen, von welchem Feuer gerade die | |
Rede ist. Kamensky spricht von „Vermischungen“, und er verstärkt diese | |
Irritationen mit filmisch subtilen Mitteln: So wechselt er etwa zwischen | |
den beiden Erzählstimmen, indem er selber die End- und Anfangsteile ihrer | |
Vorträge nachspricht, also nachsynchronisiert, und dann die drei Stimmen so | |
übereinanderlegt, auf dass der Redefluss nie unterbrochen wird. In einem | |
Schwenk sieht man zudem Rauch aus dem halb niedergebrannten Museumsgebäude | |
steigen – ein in der Postproduktion generierter Trick. | |
Kamenskys dritter Film „Oral History“ hat den Untertitel „eine Reportage | |
aus dem Land der Gebrüder Grimm“: Es geht darum, wie Mythen gebildet und | |
weiter entwickelt werden. Auf der Bildebene zeigt er, wiederum extrem | |
reduziert und fast mathematisch formstreng, Aufnahmen von dörflichen | |
Gebäuden, einer kleinen Kirche und einer Ruine, die zu den Kulissen | |
verschiedener Freilichttheater gehören. Dazu hört man die Stimmen von drei | |
Frauen, die am Telefon vom Leben in solch einem idyllischen Dorf am | |
Waldrand erzählen, dabei offensichtlich improvisieren, mal zögern und mal | |
inspiriert fantasieren. | |
Erst im Abspann enthüllt Kamensky, dass er bei einer Flirtline angerufen | |
hat und die drei Frauen für 1,99 Euro pro Minute für ihn spontan und | |
assoziativ über ihr imaginiertes Leben in einem Dorf am Waldrand | |
fabulierten. Interessant darin ist, wie sehr sich die Erzählungen der drei | |
Frauen ähneln, und wie sie zunehmend märchenhaft werden. | |
## Di, 21. 15 Uhr, Metropolis, Hamburg. Einführung: Luise Donschen | |
21 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
## TAGS | |
Kleinstadt | |
Selbstinszenierung | |
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