# taz.de -- Grüne Wiederwahlkampagne im Ländle: Öko-Hipster für Kretschmann | |
> Eine junge Werbeagentur aus Berlin soll den Grünen in BaWü zum Sieg bei | |
> der nächsten Landtagswahl verhelfen – mit einem „Regierungsgrün“. | |
Bild: Wie passend: Direkt gegenüber von Kretschmanns neuer Werbeagentur befind… | |
BERLIN taz | Man werde sich wundern, hatte der Kampagnenchef versprochen, | |
wie viel Baden-Württemberg im Klischee-Wedding zu finden sei. Stattdessen | |
nun: links ein Lidl, gegenüber eine Tankstelle, daneben ein | |
Automatencasino, ein Döner-Imbiss und, irgendwo dazwischen, in einer | |
ehemaligen Mützenfabrik, das Büro von Matthias Riegel. Erster Hinterhof, | |
dritter Stock, eine in Weiß gehaltene Fabriketage. | |
Ausgerechnet hier im Westberliner Wedding, einem Stadtteil an der Schwelle | |
vom Arme-Leute- zum Hipster-Bezirk, soll in den nächsten Monaten eine der | |
wichtigsten politischen Kampagnen vor der Bundestagswahl entstehen: | |
Matthias Riegel, 29 Jahre, gebürtig im Münsterland, blitzblankes | |
Hochdeutsch, wird mit seiner kleinen, basisdemokratisch organisierten | |
Alternativagentur Wigwam den Landtagswahlkampf der Grünen in | |
Baden-Württemberg gestalten. | |
Winfried Kretschmann, 66 Jahre, bekennend bodenständig und wertkonservativ, | |
holt sich kreative Unterstützung von Newcomern aus dem Berliner Wedding. | |
Wie passt das zusammen? | |
Das Wigwam-Team hatte nicht mal damit gerechnet, überhaupt zum | |
Bewerbungsverfahren um den prestigeträchtigen Auftrag eingeladen zu werden. | |
Die 25-köpfige Crew trat an gegen fünf etablierte Agenturen, die mit einer | |
Vielzahl von Leuten und Erfahrung, Filialen in Stuttgart und Kommunikation | |
auf „högschdem Niewo“ auftrumpften. Und stach sie aus. Seit April steht der | |
Vertrag. Der Wahlkampfetat liegt bei mindestens einer Million Euro. Selbst | |
das Branchenmagazin werben & verkaufen fragt verwundert: „Wer bitte ist | |
Wigwam?“ | |
Die Agentur, 2009 zunächst unter dem Namen „Nest“ gegründet, ist nicht | |
unerfahren im Politkampagnen-Geschäft, auch wenn es ihr erster Auftrag | |
dieser Art ist. Das Unternehmen hat sich auf die Öko- und Sozialnische | |
spezialisiert, zu den Kunden zählten die Caritas, der WWF oder die | |
Welthungerhilfe. Den Standort im Wedding empfindet Riegel wie zugeschnitten | |
darauf: „Zwischen Lidl und Shell finden wir hier alles, was es noch zu | |
verändern gilt“, sagt er. Schlechtes Essen, schmutzige Energie – raus aus | |
dem Büro, und man sei mitten im Leben. | |
## Regierungsgrün gesucht | |
Riegel ist einer von drei Wigwam-Geschäftsführern. Er kommt von der Agentur | |
Zum goldenen Hirschen, die in den vergangenen Jahren die wichtigsten | |
Grünen-Wahlkämpfe entwickelt hat. Mit nur 25 Jahren betreute er dort die | |
Kampagne für den Landtagswahlkampf in Berlin, wenig später entwarf er das | |
Konzept für die schleswig-holsteinischen Grünen. Nun also | |
Baden-Württemberg. | |
„Ich habe höchsten Respekt vor der Aufgabe“, sagt Riegel. Kretschmann ist | |
mehr als doppelt so alt wie er. Aber, fragt der Kampagnenchef: „Warum | |
sollte das ein Problem sein?“ Er selbst sei schließlich bereit dazuzulernen | |
und könne den Älteren im Gegenzug hoffentlich „etwas geben von meiner | |
Leichtigkeit und meinem Mut“. | |
Die Kampagne ist etwas Neues – auch für die Grünen: Erstmals sind sie nicht | |
der Juniorpartner in einem Regierungsbündnis. Zudem erfreut sich ihr | |
einziger Ministerpräsident enormer Beliebtheit. Der Wahlkampf dürfte | |
entsprechend stark auf Kretschmann zugeschnitten sein. Also: | |
Kretschmann-Porträt auf grünen Hintergrund montieren – und fertig ist die | |
erste grüne Landesvater-Kampagne? | |
Das Bild vom Landesvater sei „viel zu eingestaubt“, kontert Riegel. | |
Natürlich gehe es aber darum, das Bild eines „Führungsgrünen“ zu | |
entwickeln. Die „Tonalität“ müsse weniger schrill und laut werden als bei | |
einer Kampagne aus der Opposition heraus. „Es soll kein Oppositionsgrün, | |
sondern ein Regierungsgrün sein“, sagt Riegel. Und wo bitte befindet sich | |
dieser Farbton auf der Farbskala? Das, sagt Riegel, sei noch offen. Aber: | |
„Sogar der Schwarzwald ist doch eigentlich grün.“ | |
Etwa sechs Wochen vor der Landtagswahl, also Anfang 2016, soll die Kampagne | |
starten. Gerade habe er eine Projektleiterin eingestellt, Mitte fünfzig, | |
letzter Wohnsitz Stuttgart. Andere in seinem Team kämen aus Tübingen, Ulm | |
oder Freiburg. So viel zum Ländle-Knowhow im Klischee-Wedding. | |
Der Geschäftsführer der baden-württembergischen Grünen, Matthias Gauger, | |
zweifelt nicht an der (Schwaben-)Kompetenz der Berliner Newcomer: Riegel | |
bringe schon eine „ungemeine Erfahrung“ mit, sein Team habe „genau | |
verstanden, wie unser designierter Spitzenkandidat Winfried Kretschmann | |
ist“. Und es sei ja eher schwierig, eine Berliner Agentur zu finden, in der | |
keine Schwaben arbeiten, bemerkt Gauger. | |
Der Gedanke daran amüsiert ihn: „Sonst versuchen die immer alle ihren | |
Schwaben-Background zu vertuschen“ – aber im Bewerbungsverfahren um die | |
Grünen-Kampagne 2016 hätten plötzlich alle Teams ihre schwäbischen | |
Großmütter wiederentdeckt. | |
20 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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