# taz.de -- Die Wahrheit: Falscher Amokalarm | |
> Wenn eine Schule in ein neues Gebäude umzieht, dann kann es ein paar | |
> Probleme geben – besonders mit einem versehentlich gedrückten Knopf. | |
Die „Wilhelm Bracke“ ist die älteste Gesamtschule Braunschweigs, ganz | |
Niedersachsens, ja vermutlich sogar der gesamten Welt. Sie öffnete | |
jedenfalls in den siebziger Jahren ihre Flügeltüren – und man weiß: Was in | |
den Siebzigern gebaut wurde, wurde auf Treibsand gebaut. | |
Schon seit Längerem drohte das Gebäude wie von einer gewaltigen | |
Klosettspülung in den Abgrund gerissen zu werden, und als dann neulich auch | |
noch die Feuerwehr ihre Jahresinspektion veranstaltete und überall | |
Abfalleimer vorfand mit hochentzündlichem „Papier“, da war es beschlossene | |
Sache, man zog die Spülung und baute eine neue feuerfeste Schule, gleich | |
nebenan. Noch heller, noch schöner, nur leider kleiner. Die Schüler | |
greinten zwei Tage um ihre alte Verwahranstalt. Die langen Flure, die | |
vielen dunklen Ecken, die zum ungestörten Verweilen und Drogenverkaufen | |
einluden. Schön war die Zeit und kommt nie mehr zurück. | |
Nach einer halben Woche Eingewöhnung jedoch rüttelte sich alles zurecht. | |
Neue Distributionsformen etablierten sich. Die zunächst deftig anziehenden | |
Preise pegelten sich wieder ein auf Weltmarktniveau. Die Natur findet immer | |
einen Weg. Mit kleineren Eingewöhnungsschwierigkeiten kämpfte allein das | |
Servicepersonal. Wenn etwa die Pommes-Mamsell nur ein Ideechen zu spät von | |
ihrer Zigarrenpause kam und die Fritten verbrutzelten, sah die übernervöse | |
Alarmanlage gleich rot und klingelte die Belegschaft nach draußen auf den | |
Schulhof. | |
Bei den mit Calvados flambierten Schweinelendchen das gleiche Spiel. Als | |
die Lehrkräfte Crème brûlée auf der Speisekarte lasen, schüttelten sie | |
bedenklich die Köpfe. Zu Recht! Aber auch nach der fünften | |
Evakuierungsübung innerhalb einer Woche ließen sie es nicht an | |
Professionalität mangeln. Im Gegenteil, sie wurden besser und besser. | |
Selbst die Bläserklasse unterbot bald spielend mit dem Radetzky-Marsch die | |
magische Ein-Minuten-Grenze. | |
Man war also bereits in Übung, als ein feister „Handwerker“ seine | |
Büffelhüfte auf den „Amokalarm“-Knopf pflanzte und das in solchen Fällen | |
übliche Prozedere in Gang setzte. Der Schulleiter verlas sogleich eine | |
Erklärung über die Hausanlage, derzufolge ein gefährlicher Eindringling | |
sich im Haus aufhalte und man jetzt besser auf Wagenburgmodus umschalte. | |
Da schlug die Stunde des Kollegen S., zufällig ist er der Klassenlehrer | |
meines Sohnes. „Schande“, sagte er unbeeindruckt, teilte die Klasse | |
blitzschnell in kleinere Operationseinheiten, befestigte flugs den Eingang | |
mit einer uneinnehmbaren Barrikade aus Tischen und Stühlen, tröstete ein | |
paar verängstigte Kinder mit aufmunternden Worten („Reißt euch zusammen, | |
wir sind im Krieg!“) und griff zum Feuerlöscher („Das wird dem Arschloch �… | |
Schuldigung, Kinder! – gleich sehr wehtun …“) | |
Der Amokläufer konnte von Glück reden, dass es ihn gar nicht gab. Als mir | |
mein Sohn mit leuchtenden Augen die Geschichte erzählte, wusste ich wieder | |
einmal, dass wir bei der Wahl der Schule alles richtig gemacht hatten. | |
20 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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