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# taz.de -- Ärchäologie: Eine andere Art Beutekunst
> Unter dubiosen Umständen gelangte die Büste der Nofretete vor Jahrzehnten
> nach Berlin. Ägypten drängt auf eine Rückgabe. Jetzt eskaliert der
> Streit.
Bild: Die Büste der Nofretete ist rund 3.300 Jahre alt
Als „älteste Berlinerin“ wird die Büste der altägyptischen Königin
Nofretete, die im Alten Museum zu sehen ist, manchmal bezeichnet. „Die
Schöne ist gekommen“, so lautet ihr Name auf Deutsch. Und von dieser
Schönheit und Faszination hat ihre Darstellung bis heute nichts eingebüßt.
Dass man in der Zeit des Pharaos Echanaton (um 1350 v. Chr.) seine Gemahlin
so lebendig und realistisch darstellte, hatte mit einem neuen
Kunstverständnis zu tun. Echnaton – der Rebell, der Prophet, der erste
Monotheist der Menschheitsgeschichte – wollte mit dem Kult des Gottes Amun
nichts mehr zu tun haben. Er verließ die prächtige Hauptstadt Theben – das
heutige Luxor – und gründete in Mittelägypten die neue Stadt Achetaton,
heute als Tall-al-Amarna bekannt. Dort verbreitete er seine Lehren von dem
einzig wahren Gott Atun.
Zum ersten Mal in der altägyptischen Geschichte ließ der Pharao sich nicht
als Sohn Gottes oder gar als Gott darstellen, sondern als Mensch, Ehemann
und Vater. Und zum ersten – und letzten Mal – ließ der König sich, in ganz
privater Atmosphäre, mit seiner Gemahlin zeigen: seine Frau küssend, mit
seinen Kindern spielend, als frommer Mensch betend. Erschien die Gattin
früher meistens neben ihrem Gemahl und Herrscher in steifer Haltung, so
erscheint „die kommende Schöne“ in den vielen Darstellungen jener Zeit
gleichberechtigt und in lebendiger Haltung neben ihrem Gatten.
Als der Archäologe Ludwig Borchardt 1912 Grabungen in Achetaton plante,
musste er zuerst die Genehmigung vom Chef der Antikenverwaltung holen.
Ägypten stand damals unter britischer Herrschaft, die Antikenverwaltung
oblag den Franzosen; eine autarke ägyptische Staatsmacht existierte damals
nicht. Doch der zuständige französische Ägyptologe Maspero hatte keine
Einwände. Er erinnerte Borchardt lediglich an die Grabungsregeln: Ägypten
erhält alle erstrangigen Funde, die zweitrangigen würden nach Absprache
geteilt. Borchardt, eigentlich ausgebildeter Vermessungstechniker, gelang
am 6. Dezember 1912 sein wichtigster Fund: Er entdeckte im Atelier des
Bildhauers Thutmosis die Büste der Nofretete. Begeistert schrieb er in sein
Tagebuch: „Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen.“
Hier hat der Streit seinen Ursprung. Bei Borchardts Grabungen war auch der
französische Inspektor Gustave Lefebvre anwesend. Lefebvre gab später zu
Protokoll, er könne sich nicht gut an die Umstände der Teilung erinnern.
Zudem ist kaum vorstellbar, dass man den Deutschen ein so glanzvolles
Kunstwerk überlassen hätte und sich die Ägypter mit Stücken begnügt hätte…
die eher einen historischen als einen künstlerischen Wert besaßen. Während
deutsche Ägyptologen heute immer wieder die Rechtmäßigkeit ihres Erwerbs
betonen, spricht Zahi Hawas, Direktor der Antikenverwaltung in Ägypten,
dagegen von Betrug. Auch die Direktorin des Ägyptischen Museums in Kairo,
Wafaa al-Sidiq, verlangt die Rückgabe, weil die „Büste nicht legal nach
Deutschland ausgeführt“ worden sei. Der ägyptischen Version nach soll
Borchardt die Büste, in Stoffreste gehüllt und mit Lehm überzogen, in einer
Holzkiste nach Deutschland geschmuggelt haben.
Das steht übrigens auch im gut recherchierten Buch „Das Tal“ (1992) von
Philipp Vandenberg. Was dieser These Plausibilität verleiht, ist Borchardts
Verhalten nach seinem Fund. Alle seine Funde, die den Deutschen überlassen
wurden, wurden 1913 in einer Ausstellung in Berlin präsentiert – nur die
Nofretete nicht. Zwar wurde die Büste dem Kaiser Wilhelm II. gezeigt.
Danach wurde sie jedoch – auf ausdrücklichen Wunsch Borchardts – sofort
wieder versteckt und geheimgehalten. Erst 1924 gab er seinen Widerstand
auf, und die Nofretete wurde im Berliner Museum der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht.
Doch von all diesen Umständen wollen die Verantwortlichen in Berlin heute
nichts wissen. Sie wiederholen immer nur den einen Satz: Die Nofretete sei
rechtmäßig erworben worden. Punkt, aus. Wenn Kulturstaatsminister Neumann
über die Nofretete spricht, bekommt man den Eindruck, er wisse nicht, wovon
er rede – oder aber er vertuscht absichtlich die Fakten. Er sagt, die
Grabungslizenz sei auf den deutschen Kunstmäzen James Simon ausgestellt
worden. Also hätten ihm alle Fundstücke gehört, darunter die Büste. Auch
sagt er, die ägyptische Seite habe diese Besitzansprüche nie angezweifelt,
und es habe auch nie ein offizielles Rückgabeersuchen der Ägypter gegeben.
Doch ein Blick in die Geschichtsbücher widerlegt seine Behauptungen. Schon
1923, als Ägypten zum ersten Mal von der Existenz der Nofretete erfuhr,
reagierte man mit Empörung. Die ägyptische Regierung forderte die Büste
zurück. 1925 begannen langjährige Verhandlungen. Damals schlug Ägypten die
Einschaltung eines Schiedsgerichts vor, doch die deutsche Seite lehnte ab.
Aufgrund dieses Streits galten deutsche Forscher in Ägypten jahrelang als
personae non gratae. 1929 einigte man sich auf ein Tauschgeschäft, das von
sämtlichen Fachleuten, die der preußische Kulturminister Adolf Grimme
damals konsultierte, befürwortet wurde. Doch die Gegner einer Rückgabe
setzten eine Pressekampagne in Gang und brachten den Kulturminister dazu,
den Tausch abzulehnen.Trotzdem setzte Ägypten seine Bemühungen fort.
Ausgerechnet Hermann Göring, damals preußischer Ministerpräsident, plante
die Rückgabe der Nofretete für den Oktober 1933. Doch Hitler wollte die
schöne Büste auf jeden Fall in der Reichshauptstadt behalten: sie sollte
später die neue Hauptstadt Germania zieren. Auch später war Nofretete immer
wieder Thema der Verhandlungen zwischen Ägypten und Deutschland. Einige
deutsche Intellektuelle erkannten die Berechtigung der Rückgabeforderungen
Ägyptens an. Der Journalist Gerd v. Paczensky und Herbert Ganslmayer, der
Direktor des Bremer Übersee-Museums, veröffentlichten 1984 ein Buch, in dem
sie die Rolle Europas als Schatzhaus der „Dritten Welt“ hinterfragten. Der
Titel lautete: „Nofretete will nach Hause“. Auch die grüne Politikerin
Brigitte Schumann unterstützte die Forderung und sandte 1992 ein Schreiben
an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in dem sie Zweifel an der
„vollständigen Rechtmäßigkeit des Verbleibs der Büste in Berlin“ äuße…
Rückgabe-Gegner wie Neumann und Wildung führen aber gerne noch ein anderes
Argument ins Feld, wenn sie sogar die befristete Ausleihe der Büste
ablehnen: Sie melden konservatorische Bedenken an, da „die Dame zu alt zum
Reisen“ sei. Doch das zeugt von doppelter Moral. Denn wie viele ägyptische
Ausstellungen wurden in Deutschland mit Leihgaben aus Ägypten organisiert,
die vielleicht noch älter als die Nofretete sind? 1976 stellte Kairo 71
Leihgaben für eine Ausstellung über die Echnaton-Zeit zur Verfügung, die in
München und Berlin bewundert wurden. Und 1980 verlieh Kairo seine Schätze
aus dem legendären Grab des Tutanchamun nach Deutschland, die
Besucherzahlen überstiegen damals alle Erwartungen.
Zahi Hawas, der Direktor der ägyptischen Antikenverwaltung, führt seine
aktuelle Kampagne für eine Rückführung jedoch sehr geschickt. Als jemand,
der gerne im medialen Mittelpunkt steht, ist er in Ägypten inzwischen fast
ein Star geworden. Die Mehrheit am Nil hat zwar eigentlich andere Sorgen
als die schöne Nofretete, sie hält sowieso wenig von den „alten Steinen der
Pharaonen“. Aber wenn Hawas die Rückgabe geraubter und illegal ausgeführter
Schätze verlangt – dazu gehören auch der Rosetta-Stein und der Sphinx-Bart
aus London -, dann trifft er damit bei vielen Ägyptern einen empfindlichen
Nerv. Und man erinnert sich dort an die verhasste Kolonialzeit, als
ausländische Diplomaten, Grabräuber und Abenteurer mit den ägyptischen
Kunstwerken einen regelrechten Handel betrieben.
Natürlich darf man auch nicht vergessen, dass es ausländische Ägyptologen –
vor allem aus Frankreich – waren, die sich für die Entdeckung, den Erhalt
und den Verbleib der ägyptischen Kunstschätze auf ägyptischem Boden
eingesetzt haben – allen voran Auguste Mariette, der Begründer des
Ägyptischen Museums in Kairo. Er musste jedoch einen harten Kampf gegen
einheimische wie ausländische Grabräuber führen, aber auch gegen den
ignoranten Khediven-Herrscher Ismail, für den diese alten Steine nur eine
weitere Einnahmequelle darstellten.
Die deutschen Ägyptologen genießen in Ägypten im Grunde einen guten Ruf.
Erst vor einem Jahr hat das Ägyptische Museum in Kairo eine große
Ausstellung zu Ehren des preußischen Ägyptologen Richard Lepsius
organisiert. Dabei hatte selbst dieser gewissenhafte Preuße nicht dem
Verlangen widerstehen können, entdeckte Funde einfach mitzunehmen. So ließ
er etwa einen tonnenschweren, kunstbemalten Pfeiler aus dem Grab Sethos I.
sägen sowie drei komplette Grabkammern in Gizeh Stein für Stein abbauen und
per Schiff nach Berlin transportieren.
Nun jedoch droht Zahi Hawas damit, die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit
Deutschland zu überdenken. Darauf antwortet der Direktor des Ägyptischen
Museums in Berlin, man bräuchte keine Leihgaben mehr aus Ägypten, man hätte
genug. Das mag so sein. Aber vielleicht sollte er sich daran erinnern, wie
diese Exponate nach Berlin gekommen sind.
Samir Grees, 1962 in Kairo geboren, lebt seit 1991 als Journalist und
Übersetzer in Deutschland.
26 Apr 2007
## AUTOREN
Samir Greer
## TAGS
Beutekunst
Ägypten
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