# taz.de -- Dinosaur Jr.: Punkrock für Blumenkinder | |
> 19 Jahre danach: Mit „Beyond“ kehren Dinosaur Jr., Urväter des | |
> Alternative Rock, in Originalbesetzung zurück – und es ist, als sei | |
> nichts gewesen. | |
Bild: Haben überlebt: Dinusaur Jr. | |
Dankeslisten beginnen gewöhnlich mit Gott, Jesus, dem Heiligen Geist oder | |
einer Kombination aus der Dreifaltigkeit. Oder mindestens mit Mama. | |
Die Dankesliste von „Beyond“, dem neuen Album von Dinosaur Jr., beginnt | |
dagegen mit Brian, Justin und Joel. Die ersten beiden arbeiten bei Fender, | |
der Dritte bei Marshall. Die Familien und Freunde folgen anschließend mit | |
gebührendem Abstand. | |
Man muss das verstehen, dass die Lieben nur unter „ferner liefen“ geführt | |
werden. Gitarren und ihre Verstärker, wie sie die beiden Marktführer Fender | |
und Marshall herstellen, spielen nun mal die zentrale Rolle im Sound von | |
Dinosaur Jr. Das war 1988 so, als die Band ihr letztes Album in | |
Originalbesetzung herausbrachte. Das ist auch heute noch so auf „Beyond“, | |
der Platte, die Gitarrist und Sänger J Mascis, Bassist Lou Barlow und | |
Schlagzeuger Murph erstmals nach nahezu zwei Jahrzehnten wieder | |
zusammenführt. | |
Angetrieben von schweren Konflikten, die in der Band schwelten, aber vor | |
allem mit Hilfe von bis zum Anschlag aufgerissenen Verstärkern, sich | |
überlappenden Effektpedalen und infernalischer Lautstärke schuf das Trio | |
Mitte der Achtzigerjahre einen neuartigen Sound, der den Alternative Rock | |
prägen und seine kommerzielle Spitze Grunge möglich machen sollte. | |
Ausgehend von Folkrock-Harmonien, die noch das Debüt „Dinosaur“ von 1985 | |
dominierten, fanden die drei aus Amherst, Massachusetts, auf ihrem zweiten | |
Album „Youre Living All Over Me“ zu einem Klang, der das Ungestüme des Punk | |
und die Konsequenz von Hardcore mit der Weinerlichkeit eines Neil Young | |
versöhnte zum gewaltigsten Gitarrengewitter, das die Welt bis dahin gehört | |
hatte. Hin und her und kreuz und quer zischelten die Riffs und fauchten die | |
Störgeräusche, wucherten wie Unkraut, quollen aus Mascis Gitarre wie aus | |
Pandoras Büchse, während er mit klagender Stimme sang von alltäglicher | |
Verzweiflung, Verlassenwerden und Verlorensein. Barlow spielte seinen Bass | |
dazu bisweilen wie eine weitere Gitarre, gab der Musik aber meist ihren | |
atemlos treibenden Herzschlag. Das Schlagzeug von Murph füllte fast wie ein | |
drittes Melodieinstrument die wenigen Lücken, die Gitarre und Bass ließen. | |
Grundsätzlich verließen diese Songs, diese Attacken zwar nur selten die | |
etablierten Grundprinzipien der Rockmusik. Aber sie übernahmen wie | |
selbstverständlich die von Velvet Underground in den Sechzigern gewonnenen | |
Erkenntnisse über Rückkopplungen und extreme Verzerrungen und bauten sie in | |
scheinbar harmlose, zum Teil gar kitschige Popsongs ein. Das Ergebnis war | |
brutal melancholisch und zärtlich glitzernd, war Kuschelrock für | |
Bierdosentrinker, Punk für Blumenkinder, oder, wie es der Titel einer Best- | |
of-Compilation recht treffend in Worte fasste: „Ear Bleeding Country“. | |
Spätestens auf „Bug“, ihrem dritten Album von 1988, war dieser Entwurf zur | |
Perfektion gereift. Und wohl ausgereizt. Die Spannungen zwischen Mascis und | |
Barlow, die sich bisweilen sogar in Prügeleien auf der Bühne entladen | |
hatten, waren endgültig unerträglich geworden. Im Frühjahr 1989 verließ der | |
Bassist die Band und startete eine recht erfolgreiche Zweitkarriere. Mit | |
Bands wie Sebadoh und Folk Implosion erfand der den Lo-Fi-Folk, sein | |
wundervolles Solo-Album „Emoh“ ging vor zwei Jahren völlig unverdient | |
unter. Schlagzeuger Murph, der eigentlich Emmett „Patrick“ Murphy hieß, | |
ging zuerst zu den Lemonheads und verschwand dann zwischenzeitlich in der | |
Versenkung. Mascis schließlich führte Dinosaur Jr. derweil als | |
diktatorisches Unternehmen fort, veröffentlichte in schöner Regelmäßigkeit | |
und mit verschiedenen Besetzungen solide Platten, die aber nur bisweilen | |
die Brillanz der ersten drei Veröffentlichungen erreichten, niemals | |
denselben Eindruck bei den Kritikern hinterließen und so gut wie nie an | |
deren kommerziellen Erfolg heranreichten. | |
So beschädigt ihr Verhältnis auch war, die Musik, die die drei zusammen | |
aufgenommen hatten, war nahezu perfekt. Das kann man noch heute hören, auch | |
weil diese Platten vor zwei Jahren wiederveröffentlicht wurden. Der | |
Großteil der Musik aus den Achtzigerjahren hat Patina angesetzt und sehr | |
gelitten. Die damals modernen Experimente mit Synthesizern und neuen | |
Aufnahmetechniken sorgten für Sound-Innovationen, die den Lauf der Zeit | |
bisweilen nicht allzu gut überstanden haben. Aber keins der frühen Alben | |
von Dinosaur Jr. hat etwas von seiner Dynamik eingebüßt, von seiner | |
Faszination, die es aus der Diskrepanz bezog. Sicherlich gibt es | |
mittlerweile Bands, die lauter sind und brutaler, filigraner und | |
gefühliger. Aber niemals wieder hat eine Band so entspannt die Extreme | |
miteinander verknüpft: Die besten Stücke von Dinosaur Jr., und davon gibt | |
es viele, sind zugleich Angriff und Streicheleinheit. Sie nehmen einen in | |
den Arm und schubsen einen raus auf die Straße. Man kann zu ihnen durch | |
einen sonnigen Tag schlendern und doch auch im selben Rhythmus seinen Kopf | |
wütend gegen eine Wand hämmern. | |
Der große kommerzielle Erfolg war ihnen niemals beschieden. Auch | |
entschiedene Epigonen fanden sich nur wenige. Nicht nur setzte der Sound | |
von Dinosaur Jr. einige Könnerschaft an den Instrumenten voraus, er war | |
auch schlicht und einfach zu schwer zu reproduzieren. So schwer, dass die | |
Band oft selbst damit Probleme hatte und ihre Live-Auftritte immer wieder | |
zu Enttäuschungen gerieten. Dinosaur Jr. galten als legendär laute Band. | |
Aber Lautsprecher-Anlage und Mischer waren meist damit überfordert, aus den | |
vielen widerstreitenden Informationen an den extremen Enden des | |
Klangspektrums mehr zu formen als einen unhörbaren Brei. So blieb er | |
einzigartig, der Klang dieser Band. | |
Aber nicht ohne Folgen. Ganze Generationen an Indie-Bands orientierten sich | |
an den Gitarrenwänden, die Mascis erbaut hatte. Mit seinen zotteligen | |
Haaren, den schlackernden Baumfällerhemden und einer legendären | |
Antriebslosigkeit prägte J Mascis den Prototypen des Slackers, der die | |
amerikanische Popkultur in den Neunzigern beinahe zum Stillstand brachte. | |
Grunge übernahm nicht nur die karierten Baumwollshirts, sondern hätte | |
womöglich auch anders geklungen ohne die Vorarbeiten von Dinosaur Jr., die | |
in der Zeit nach Punkrock, als Musikantenschaft und vor allem Gitarren-Soli | |
immer noch unter Todesstrafe standen, Musikalität und die gute Melodie | |
rehabilitierten. Nicht zuletzt Kurt Cobain und Nirvana destillierten ihren | |
Sound aus dem ihrer beiden Lieblingsbands: Von den Pixies übernahmen sie | |
die strengen Laut-Leise-Kontraste, von Dinosaur Jr. die Blaupause, | |
Gitarreninferno mit Pop-Appeal zu verbinden. So sind Mascis, Barlow und | |
Murph, denkt man die Ahnenreihe konsequent zu Ende – und wäre man ein wenig | |
bösartig – auch verantwortlich für die Horden von Emo-Bands, die zuletzt | |
die US-Charts okkupieren. | |
Zur Unterstützung der Re-Issues von 2005 fand sich die Originalbesetzung, | |
nun allesamt im fünften Lebensjahrzehnt angekommen, überraschend wieder | |
zusammen, spielte einige umjubelte Konzerte und absolvierte einen | |
Fernsehauftritt. Weil alles sehr viel besser lief als gedacht, die alten | |
Wunden geheilt scheinen, konnte es zu „Beyond“ kommen. Zu diesen elf neuen | |
Songs, neun davon von Mascis, die anderen beiden von Barlow. Und zu dieser | |
Erleichterung: Denn im Gegensatz zu The Who oder The Stooges, Mission of | |
Burma, Police oder einer der anderen vielen Wiederbelebungen der letzten | |
Zeit gibt es keine Ausfälle zu beklagen auf „Beyond“, keine Peinlichkeiten | |
zu ertragen, keine Entschuldigungen beim Hören mitzuformulieren. „Beyond“ | |
ist nicht in Ordnung für ein paar alte Herren, „Beyond“ wäre auch eine | |
großartige Platte gewesen, wäre sie 1990 nach „Bug“ erschienen. Schon der | |
Auftaktsong, „Almost Ready“, ist eine jener überfallartigen Atonalattacken, | |
die zuerst piken und dann ganz heimelig werden. „Were Not Alone“ ist eine | |
fast schon zu schnelle Ballade, die zerbrechlich zwischen Bangen und Hoffen | |
zittert und selbst durch ein zu langes, recht zielloses Gitarrensoli nicht | |
kaputt zu kriegen ist. Die Barlow-Komposition „Back To Your Heart“ schafft | |
den Spagat, einerseits schwerblütig zu rockend und andererseits wie | |
verschämt hingehuscht zu wirken. Selbst eine gewisse, allerdings überaus | |
vorsichtige Weiterentwicklung ist zu verzeichnen: Das Cello, das sich durch | |
„I Got Lost“ quält, wäre ihnen damals wohl kaum auf eine Platte gekommen. | |
Heute macht es sich hübsch, denn schließlich – man darf das nicht | |
vergessen, auch wenn es sich beim Hören leicht vergisst – hat man es hier | |
mit einem Alterswerk zu tun. | |
Tatsächlich sehen die Protagonisten ein wenig mitgenommen aus. Vor allem | |
der 41-jährige Mascis, für den Rolling Stone mittlerweile der „elder | |
statesman of indie rock“, mit seinen immer noch schulterlangen, aber | |
mittlerweile schlohweißen Haaren, einem dickem Kassengestell aus Horn auf | |
der Nase und einer immer wieder gern demonstrierten geistigen Abwesenheit. | |
„I wasted all those years“, singt er in „Pick Me Up“. Nicht so schlimm, | |
möchte man ihn trösten. Drei epochemachende Platten aufnehmen und 19 Jahre | |
später problemlos daran anschließen, J, alter Kumpel, das kriegen doch | |
wahrlich nicht viele hin. | |
Also: Danken wir Jesus, danken wir Gitarrengott J, danken wir, wenns hilft, | |
auch Mama. Dinosaur Jr. sind wieder da. | |
Dinosaur Jr.: „Beyond“ (PIAS/Rough Trade) | |
27 Apr 2007 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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Baskenland | |
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