| # taz.de -- Borderline-Journalist Tom Kummer: "Fakten sind langweilig" | |
| > Tom Kummer sorgte mit gefälschten Starinterviews für einen Medienskandal. | |
| > Jetzt hat er eine Autobiografie geschrieben: "Blow up". Will er sich | |
| > rehabilitieren? | |
| Bild: Tom Kummer | |
| taz: Herr Kummer, unser Gespräch steht nicht unter guten Vorzeichen. Sie | |
| tragen ein T-Shirt, auf dem steht: "I'm probably lying". | |
| Tom Kummer: Ja, sehen Sie, es gibt mehr Leute wie mich! Diese Shirts werden | |
| industriell hergestellt, also muss es auch irgendwo Käufer geben. | |
| In Ihrem Koffer sehe ich diverse SZ-Magazine. Ist Ihre Biografie mehr | |
| Deutung oder mehr Rechtfertigung? | |
| Wenn ich meine Geschichte aufschreibe, muss man glauben, es sei eine | |
| Rechtfertigung. Doch es ist eben meine Geschichte. Um Rehabilitierung kann | |
| es ohnehin nicht gehen, denn dass ich nicht mehr journalistisch arbeiten | |
| werde, ist evident. Ich wollte eine Sprache finden, um mit meiner | |
| Vergangenheit klarzukommen. | |
| Und? Kommen Sie jetzt klar? | |
| Viele haben von mir erwartet, dass ich das Buch direkt nach dem Skandal | |
| veröffentliche. Wenn man ein "Fall" wird, versucht man üblicherweise | |
| sofort, sich zu vermarkten, zu plündern. Ich hatte viele Angebote von | |
| Verlagen, habe aber meinen Sound nicht gefunden, war emotional zu | |
| angeschlagen. Aber ich wusste auch nicht, ob ich mich später noch einmal | |
| diesen Angriffen aussetzen wollen würde. Deshalb habe ich jetzt alles | |
| aufgeschrieben. | |
| Kamen die erwarteten Angriffe bereits? | |
| Der Kommentar von Claudius Seidl in der FAS beispielsweise war anfänglich | |
| enttäuschend, doch strategisch ist es völlig normal, dass er sich | |
| verteidigt. Eine Schutzhaltung. Das Nachwort, das er zu meinem ersten Buch | |
| beigesteuert hat, war schockierend gut. Aber dass er nun behauptet, er habe | |
| es als Roman verstanden, obwohl das Buch absolut nicht als Roman | |
| gekennzeichnet war, sondern als wahre Geschichte - das ist für mich | |
| unerklärlich. | |
| Sie beschreiben in Ihrer Autobiografie, wie Ihr Blick übers Bücherregal | |
| schweifte und ein Interview nach dem anderen entstand. Wie entschieden Sie, | |
| was zusammenpasste? | |
| Das hat am meisten Spaß gemacht! Als Tom Hanks einen Film rausgebracht hat, | |
| durfte ich 30 Minuten zum Einzelinterview. Das Material war unbrauchbar, er | |
| redete nur über seinen Film. Ich wusste aber, dass er zeitgleich ein Haus | |
| suchte, und das fand ich viel spannender: Wie wählt ein Superstar, der alle | |
| Mittel hat, für seine Familie ein Haus aus? Also habe ich ihn "erklären" | |
| lassen, wie ein Kinderzimmer aussehen muss, ein Wohnzimmer, das Kernstück | |
| seines Lebens. Und habe Tom Hanks mit einem japanischen Feng-Shui-Experten | |
| gekreuzt. | |
| Bald darauf waren Sie bei Ivana Trump angelangt. | |
| Zugegeben, das war der goldene Schuss: Philosophische Sätze, wie man sie | |
| anspruchsvoller an keiner Universität hören könnte! Die Redaktion in | |
| München spielte mit, erwies sich als Kuratorenteam, ich war ihr Künstler - | |
| das war Konzeptjournalismus pur. Meine Interviews wurden immer drastischer. | |
| Ich hatte das Gefühl, mich ständig toppen zu müssen, fühlte mich als | |
| Aushängeschild, wurde euphorisch. Courtney Love ließ ich sagen: "Minotauren | |
| essen die Genitalien des Mondes." Wenn man als Redakteur so was liest, | |
| würde ich zum Telefon greifen und nach dem Band fragen. Ich fühlte mich, | |
| als würde ich Stars repräsentieren. Auf einer Ebene, die ich selbst kreiert | |
| hatte. | |
| Wusste Ihre Familie Bescheid? | |
| Meine Frau hat mich kennengelernt als einen, der die Berliner Mauer | |
| anzündet. Sie wusste, dass ich über Grenzen gehe, um Selbsterfahrungen zu | |
| machen. Bei den Interviews hätte sie sicher gefunden, dass man damit | |
| transparenter hätte umgehen müssen. Aber sie hat mitbekommen, auf welches | |
| Echo meine Arbeit stieß. Das musste man einfach weiter genießen. | |
| Was ist Ihre Definition von Borderline-Journalismus? | |
| Am Anfang steht eine akribische Recherche. Man muss die reale Lage genau | |
| kennen. Die Trump, bekannt als Ehefrau und Repräsentantin, hat sich zu | |
| jener Zeit entschlossen, ein ultrakonservatives Ratgebermagazin für Frauen | |
| zu gründen, ganz nach dem Motto: Wie kann ich meinen Mann am besten | |
| verwöhnen? Also ließ ich Frau Trump, ein Symbol für den amerikanischen | |
| Konservatismus, wie eine Philosophin sprechen. Ich legte ihr Dinge in den | |
| Mund, die höchst akademisch klangen. Das ist Borderline. | |
| Andere sprachen von einem journalistischen "Attentat". | |
| Viele meiner Kollegen waren sauer, weil sich die Geschichten so verdammt | |
| gut lasen. Normal, denn sie waren ja konzipiert. Ich war ein Dirigent, | |
| konnte annähernd perfekte Geschichten komponieren. Klar, dass der Hohn dann | |
| riesig war, als die Wahrheit herauskam - und ebenso der Schock, dass man | |
| reingelegt worden war. Ulf Poschardt, von dem die Bemerkung mit dem | |
| "Attentat" stammt, habe ich kennengelernt, als er zwanzig war. Schon damals | |
| war spürbar, dass er etwas Neues in den Journalismus bringen wollte. Die | |
| Münchner Jungs sind oft nach Berlin gekommen, waren ein bisschen | |
| verunsichert. Ich habe sie durch die Stadt geführt. Und ich habe sogar mal | |
| ein Interview mit Ulf gemacht. | |
| Ein "echtes"? | |
| Na ja, ein Band war zwar dabei, aber unser Geplauder eignete sich nicht für | |
| einen Text. Also habe ich es anschließend umgeschrieben. Von Ulf kam ein | |
| Dankesfax: "Das hat richtig toll gepoppt!" | |
| Wie ist heute Ihr Verhältnis zu Ihren früheren Tempo-Kollegen? | |
| Ulf Poschardt ist für mich der Ronald Reagan des Journalismus: An ihm | |
| blättert alles ab, man kann ihm nichts anhaben. Moritz von Uslar rufe ich | |
| manchmal an, wenn ich in Berlin bin, aber das ist recht selten der Fall. | |
| Sie sind alle fantastische Schreiber, ich genieße ihre Geschichten und | |
| denke oft zurück an diese Aufbruchstimmung im deutschen Journalismus. Das | |
| war eine wirklich große Zeit. Mitte der Achtziger und bis in die Neunziger | |
| waren noch finanzielle Mittel da, man ist Risiken eingegangen, hat | |
| Geschichten geschrieben über Gummibärchen, über Kalaschnikows oder über | |
| Helmut Kohl - alles auf der gleichen Ebene. Das hat Spaß gemacht und ist | |
| jetzt einfach vorbei. | |
| Zunächst sollten Sie an der Tempo-Jubiläumsausgabe mitwirken. | |
| Der Chef hat mich persönlich eingeladen. In einer Redaktionsabstimmung | |
| wurde dann entschieden, dass ich nicht erwünscht bin. Sonst wären zu viele | |
| der anderen Autoren abgesprungen. Mir war bereits von vornherein klar, dass | |
| es diesen Widerstand geben würde. | |
| Warum haben Sie überhaupt das Medium Zeitung gewählt und nicht das Medium | |
| Literatur? | |
| Die Gelegenheit, für Tempo zu arbeiten, war einfach zu gut. Irgendwann hat | |
| mir dann eine innere Stimme gesagt: "Du bist Journalist." Vielleicht hätte | |
| ich später aus dieser Spur heraustreten sollen; ich wusste ja, dass ich | |
| Extreme etwas zu sehr liebe und dass das böse enden kann. Zugleich habe ich | |
| aber auch solide Geschichten geliefert, die oft ein positives Echo | |
| hervorriefen, manchmal sogar gefeiert wurden. | |
| Hat Sie dieses Spiel gereizt? | |
| Der Journalismus ist so eine heilige Gattung, und gerade bei Interviews | |
| erwartet man eine 1:1-Berichterstattung. Obwohl inzwischen wirklich jeder | |
| weiß, dass gerade hier oft mit Halbwahrheiten gearbeitet wird. Bei Tempo | |
| dagegen konnte man in der Redaktionskonferenz mit den verrücktesten Ideen | |
| aufschlagen und hatte gute Chancen, die auch durchzusetzen. | |
| Wogegen dann die Rebellion, von der Sie so oft sprechen? | |
| Gegen die eingleisige, faktenorientierte Haltung vieler Journalisten: | |
| Fakten sind langweilig. Ich konnte nicht akzeptieren, dass das Drumherum | |
| gar nichts zählt. Dann dieses Hecheln nach der Story, das Klauen, die | |
| Konkurrenz - das fand ich total uncool. Als ich im Irak saß, habe ich | |
| lieber mit den Fotografen rumgehangen. Die hatten ein viel kollegialeres | |
| Verhältnis als die Journalisten, die immer schon beim Frühstück nervös | |
| fragten, wo man am Abend zuvor war und ob man vielleicht mehr erfahren | |
| hätte als sie selbst. Das war so kleinlich! | |
| Wenn Sie morgen beim Frühstück feststellen sollten, dass ein völlig anderer | |
| Text in der Zeitung stünde, als das Gespräch, das wir gerade geführt haben | |
| … | |
| Wenn Sie es fälschen? Hm. Ich fand das Gespräch so schön, dass ich es | |
| ehrlich schade fände, wenn Sie nicht annähernd irgendwas übernehmen würden. | |
| Sie würden aber nicht meine Chefredakteurin anrufen? | |
| Nein, sicher nicht. Wenn Sie Kreativität zeigen. Aber dann möchte ich, dass | |
| es richtig poppt! | |
| 22 Mar 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Schmeller | |
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