# taz.de -- Literaturszene: "Das alles pisst mich an" | |
> Edo Popovic ist der Chef der Underground-Literatur in Zagbreb. Nun | |
> erscheint sein Roman "Abfahrt Zagreb-Süd" auf Deutsch Ein Porträt nach | |
> Mailkontakt. | |
Bild: Das Gesicht des Zagreber Underground: Edo Poppvic | |
"Dein Zagreb wirkt erstaunlich vertraut", maile ich ihm, "überhaupt nicht | |
exotisch. Ist das Leben in Künstler- und Intellektuellenkreisen | |
mittlerweile überall gleich auf der Welt?" "Ich weiß weder viel über das | |
Leben von Künstler- und Intellektuellenzirkeln, noch interessieren sie | |
mich", blafft er zurück. "Aber wie auch immer, die Tatsache, dass man in | |
jeder verdammten Ecke der Welt dieselbe Biersorte, dieselben Menüs im | |
Restaurant bekommt, dieselben glänzenden Waren und Leute in denselben | |
Klamotten sieht, pisst mich an. All das verdirbt einem den Spaß am Reisen." | |
Edo Popovic war so eine Art Underground-, Popliteratur-Größe des ehemaligen | |
Jugoslawiens, Mitbegründer der wichtigsten Literaturzeitschrift des Landes, | |
Quorum, und Verfasser von "Ponocni boogie" ("Mitternachts Boogie",1987), | |
dem "Soloalbum" der Zagreber Jugend der Achtzigerjahre. Dann kollabierte | |
der Kommunismus, und bald darauf versank das Land im Bürgerkrieg. In dieser | |
Zeit erschrieb er sich noch einen anderen Ruf - als unbestechlicher, | |
ideologisch unverdächtiger Kriegsreporter. | |
Nach dem Friedensschluss brachte er die Lesebühnenszene des geteilten | |
Landes auf Trab, nicht zuletzt mit dem "Festival A knjiþevnosti" (FAK), an | |
dessen Konzeption er maßgeblich beteiligt war. "Knjiþevnost" steht für die | |
kroatische Literatur, erklärt er mir, "und das A ist das Zeichen für die | |
Qualität". "Wir lasen in Cafés, Kneipen und sogar in einem Gefängnis. An | |
dem Festival nahmen ausschließlich etablierte Autoren teil, neben | |
zeitgenössischen kroatischen Autoren auch einige englische - Irvine Welsh, | |
James Kelman, Matt Thorne, Toby Litt, Anna Davis, Nicholas Blincoe etc. -, | |
und einige Schriftsteller aus Serbien, Bosnien und Herzegowina und | |
Slowenien. Das FAK fand nicht nur in kroatischen, sondern auch in zwei | |
serbischen Städten statt, in Belgrad und Novi Sad, und dann auch in London, | |
Cardiff, Oxford, Cambridge, Bristol und noch in ein paar anderen Städten | |
Großbritanniens, um die Anthologie 'Croatian Nights' zu promoten." | |
Nach diversen Veröffentlichungen, etwa seinem hochgelobten Kriegsroman "Der | |
Traum der gelben Schlangen" (2000), erschien 2003 "Ausfahrt Zagreb-Süd", | |
das nun als erstes seiner Bücher in Voland & Quist einen deutschen Verlag | |
gefunden hat. Popovic wählt hier eine offene Form, wie man sie etwa von | |
Robert Altmanns Carver-Adaption "Short Cuts" und natürlich - der Titel | |
spielt nicht umsonst darauf an - Hubert Selbys "Last Exit Brooklyn" kennt. | |
Auch "Ausfahrt Zagreb-Süd" geht in die Breite, führt ein paar Lebensläufe | |
parallel nebeneinanderher, die sich kreuzen und lose verknüpfen. | |
Man müsste mal untersuchen, ob diese offene Romanstruktur immer dann aus | |
dem Keller der Literaturgeschichte geholt wird, wenn es gesellschaftliche | |
Umbruchsituationen abzubilden gilt, wenn also soziale Unordnung, | |
Orientierungslosigkeit, die Angst, in dieser verwirrenden Gemengelage | |
unterzugehen, eine formale Entsprechung finden sollen. Es gibt Beispiele, | |
die das bestätigen. Douglas Couplands "Generation X" (1991) etwa, das die | |
ideologischen, mentalen Erschütterungen der kalifornischen Slacker | |
seismografiert, Irvine Welshs "Trainspotting" (1993), das einen | |
vergleichbaren Generationenfrust in der Edinburgher Vorstadt Leith, im | |
plebejischen Milieu, dingfest machen, oder auch Ingo Schulzes "Simple | |
Storys", die den Verwerfungen der Nachwendezeit in der ostdeutschen | |
Kleinstadt Altenburg nachgehen. | |
Während Selby und seine Nachfolger Welsh und Schulze durch diese | |
episodische Struktur nicht zuletzt ein urbanes Panorama skizzieren, also | |
mehr Raum schaffen wollen für die spezifische Topografie, für Milieus und | |
das soziale Miteinander, hält es Popovic eher mit Coupland. Auch wenn er | |
seine Protagonisten allesamt in Utrine, einem tristen Zweckbau-Ghetto am | |
Rande Zagrebs, ansiedelt, geht es ihm um das Porträt einer Generation. | |
Seiner eigenen. Er nimmt sich der Fortysomethings an, die den Bürgerkrieg | |
und die Ära Tudman mitgemacht haben, sich aber auch noch sehr gut an die | |
Repressionen des Tito-Kommunismus erinnern können - und die sich im nun | |
endlich demokratisch verfassten Kroatien auch nicht glücklich fühlen. | |
"Man kann wirklich nicht sagen", räumt Popovic ein, dass irgendeiner unter | |
ihnen "Jugoslawien eine Träne nachweint. Und ich tue es genauso wenig. Nur | |
gab es in Jugoslawien durchaus mehr soziale Gerechtigkeit als heute in | |
Kroatien. Wir haben heute ein paar Rechte mehr, freie Meinungsäußerung, | |
Pressefreiheit, aber dieses Paket enthält auch die Freiheit zu verhungern. | |
Diejenigen, die am meisten profitierten, waren Kriminelle und die neue | |
politische Elite. Die machen gerade richtig ein Fass auf." Seine Charaktere | |
laborieren denn auch gar nicht so sehr am Zusammenbruch des Sozialismus und | |
dem Krieg, sondern am "verheerenden Wahnsinn der sagenhaften Globalisierung | |
und den von ihr gesetzten Normen, die uns noch teuer zu stehen kommen. | |
Heute besitzt die Menschheit eine Technologie, die so perfekt ist wie nie | |
zuvor, und dennoch hat sie immer weniger Zeit für sich selbst. Die | |
englischen Arbeiter des 19. Jahrhunderts hatten mehr Rechte als heutige | |
kroatische Arbeiter, von den Kindern in Asien und den Sklaven der | |
multinationalen Konzerne gar nicht zu reden." | |
Da ist Baba, Popovic Alter Ego, der einst gefeierte Literat, der nicht mehr | |
schreiben kann, sich als Zeitungsredakteur durchs Leben schlägt und seinen | |
Frust wegsäuft. Seine langjährige Freundin Vera, eine Anglistikdozentin | |
ohne Aufstiegsmöglichkeiten, die ihre Unzufriedenheit im Mailwechsel mit | |
ihrem Ex-Lover zu kompensieren versucht, erträgt dessen Lethargie | |
irgendwann nicht länger und wirft ihn vor die Tür. Damit teilt er das | |
Schicksal von Kancelli, Babas Saufkumpan, den vor Jahren schon Frau und | |
Kind verlassen haben, eben wegen seiner Trinkerei, und der daraufhin seinen | |
Job als Rechtsanwalt geschmissen hat, sich nun als Tagelöhner verdingt und | |
in einer komplett leeren Wohnung haust. Gelegentlich bekommt er Besuch von | |
Babas literarischem Gegenspieler Robi, einem untalentierten Lyriker und | |
Muttersöhnchen, und dem pensionierten, altersgeilen Seeman Stjepan. Dem | |
machen mittlerweile kleine Potenzprobleme zu schaffen, deshalb muss er | |
schnell reagieren, wenn er mal wieder einen hochbekommt, und Magda anrufen. | |
Die ist ihm stets zu Diensten, genießt die Hemmungslosigkeit des Alten, | |
fühlt sich aber auch brüskiert und ausgenutzt. | |
Von Kapitel zu Kapitel wechselt Popovic den Protagonisten und folgt ihm | |
eine Weile auf seinem tristen Weg durch die betongraue Vorstadt. Sein Stil | |
ist durchaus wandlungsfähig: karg, schmucklos und grob zwar, aber auch von | |
einer umgangssprachlichen Eloquenz, die sich diesem allgegenwärtigen Grauen | |
stets gewachsen zeigt. Und er hat ein Auge dafür, wie sich die | |
Trostlosigkeit seines Personals in kleinen burlesken Szenen zuspitzen | |
lässt, die diese existenzielle Monotonie mit ein wenig Komik mildern. "In | |
diesem Moment kam Baba aus dem Schlafzimmer herausgetorkelt. Es war früher | |
Nachmittag. Baba murmelte etwas im Vorbeigehen und ging auf die Toilette. | |
Vera lief es kalt den Rücken herunter. Erst traf ein starker Urinstrahl die | |
ruhige Wasseroberfläche in der Kloschüssel. Vera sprang zum Radio auf dem | |
Fensterbrett und stellte es an, aber es war zu spät. Das erste Stück | |
Scheiße klatschte schon in die Schüssel. Eine Welle des Angewidertseins | |
erwischte Vera mit voller Kraft, und sie setzte sich zitternd auf einen | |
Stuhl. Jesus, sie hielt sich mit ihren Händen den Bauch und versuchte den | |
Ekel in den Griff zu kriegen." | |
Popovic schreibt sich hier ein in die lange Tradition des dirty realism, | |
den man immer noch gern in die "Subkultur"-Abteilung auslagert und um den | |
sich folglich vor allem die kleineren Verlage kümmern. Er hat überhaupt | |
nichts dagegen. "Ich finde nicht, dass Begriffe wie Underground und | |
Subkultur anstößig sind oder dass sie etwas diffamieren. Im Gegenteil, sie | |
haben tatsächlich gerade jetzt eine Bedeutung. In einer Zeit, in der die | |
Verkaufszahl der Maßstab für Qualität ist, in der man in den Buchhandlungen | |
nur schwer etwas anderes als Bücher von Coelho oder Dan Brown findet und | |
diese ganze Hausfrauenliteratur, ist es absolut einleuchtend, dass ein | |
Autor, der noch einen gewissen Anstand hat, zur Seite tritt und sagt: 'Nein | |
danke, das ist nicht mein Spiel.' Man kann sagen, dass die akademischen | |
Kreise hier bei uns oder ein Teil der Autoren, die diese sehr verkopfte, | |
tiefe und langweilige Prosa schreiben, auf das herabsehen, was ich und ein | |
paar vergleichbare Autoren machen. Aber wer gibt schon was darauf, was die | |
meinen." | |
"Ausfahrt Zagreb-Süd" ist auch ein Trinkerroman. "Es ist ja sattsam | |
bekannt, dass die Slawen viel trinken. Die Kroaten sind da keine Ausnahme. | |
Aber sie trinken vermutlich auch nicht mehr als die Russen. Wir sagen zum | |
Beispiel, jemand 'säuft wie ein Russe', wenn er es übertreibt. In Russland | |
sagt man, er 'säuft wie ein Finne'. Keine Ahnung, was die Finnen darüber | |
denken. Wie auch immer, Alkoholismus ist ein großes Problem in Kroatien - | |
und das ist die harte Realität. Wir sprechen von 250.000 Alkoholikern. Wenn | |
man bedenkt, dass darunter auch die Familienangehörigen leiden, kommt man | |
auf etwa eine Million Menschen, die vom Alkohol betroffen sind, das ist ein | |
Viertel der Bevölkerung Kroatiens." | |
Entsprechend ernst verhandelt er das Thema. Er überhöht den Rausch nicht | |
als quasi-elysische Erfahrung, sondern führt vor allem vor, was er sozial | |
anrichtet - und wie unzulänglich die staatlichen Institutionen bei der | |
Suchtbekämpfung letztlich funktionieren. Kancelli erlebt eine Art | |
Horrortrip, als er sich freiwillig in eine Entzugsklinik begibt. "Ist das | |
hier die Aufnahme? Ja, sagte der Pfleger, ohne den Blick vom Formular zu | |
erheben, aber in die Hölle." | |
3 May 2007 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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Nobelpreis für Literatur | |
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