# taz.de -- Piraten-Saga: Hollywood goes Heiligendamm | |
> Piraten als Globalisierungsgegner: "Fluch der Karibik 3" ist ein | |
> Riesenspektakel und eine Geschichte vom Kampf der Multitude gegen das | |
> Empire. | |
Bild: Mit schlechten Zähnen gegen das System! | |
Wo Macht ist, ist auch Gegenmacht, hat ein großer Philosoph einmal gesagt, | |
und als Kind der europäischen Aufklärung hat man wenig Schwierigkeiten, die | |
Künste der Letzteren zuzuschlagen. Nicht dass es keine guten Argumente | |
dagegen gäbe, aber in Anbetracht des Umstands, dass der G-8-Gipfel in | |
Heiligendamm herannaht und man die Hoffnung ja niemals aufgeben soll, dass | |
es doch noch andere Möglichkeiten der künstlerischen Äußerung geben muss | |
als das Problematisieren von Grenzzäunen und die Inanspruchnahme von Kunst | |
als Gummipuffer zur Gewaltprävention, kommt "Pirates of the Caribbean - Am | |
Ende der Welt" gerade richtig. Es dürfte der erfolgreichste Film dieses | |
Sommers werden. Und wenn man ihn in einem knappen Satz zusammenfassen | |
wollte, könnte man sagen: Hollywood goes Heiligendamm! | |
Ja, es gilt einiges wegzuschaufeln, wenn man zum politischen Kern dieses | |
Großspektakels vorstoßen möchte, vor allem den Soundtrack von Hans Zimmer, | |
der einen nach 169 Minuten doch einigermaßen zugedröhnt aus dem Kino | |
stolpern lässt: alldieweil der Showdown ohnehin schon in einem visuell | |
ziemlich überwältigenden Mahlstrom stattfindet, der die beiden verfeindeten | |
Schiffe so tief in Richtung Meeresgrund drehen lässt, dass sie sich | |
schließlich gegenüberliegen, ihre Masten verhakeln und umeinanderkreisen, | |
während die Mannschaften das gegnerische Schiff zu entern versuchen, um | |
sich dann gefühlte 20 Minuten lang gegenseitig die Gliedmaßen abzuschlagen. | |
Klar: So etwas will akustisch begleitet sein. | |
Aber jenseits dieses Gedonners ist die "Pirates of the Carribean"-Trilogie | |
nach dem trunkenen Beginn und dem comichaften Mittelteil mit ihrem Finale | |
nun genau dort angelangt, wo es jedem Staatssekretär, der seine Kinder noch | |
mal kurz vor dem Kino absetzt, bevor er in die Sitzung fährt, um | |
irgendwelche abgelegenen Weltgegenden ins Unglück zu stürzen, angst und | |
bange werden dürfte: bei der globalen Gegenmachtfantasie. | |
Bisher war das anders gewesen. Die ersten beiden Teile lebten von Johnny | |
Depps queerem Sexappeal und vom Slapstick, von abstrusen Wendungen und | |
individuellem Gewinninteresse. Am Ende waren es immer ein Schatz oder | |
Schulden, die die Handlung antrieben. Damit ist es jetzt vorbei. Nach den | |
komplizierten Drehungen, die die Handlung bisher nahm, ist "Am Ende der | |
Welt" auch vorbildlich einfach strukturiert: Da die britische Krone sich in | |
Besitz des Herzens des krakenköpfigen Unterwasserkapitäns Davy Jones | |
gebracht hat und ihn mitsamt seinem Fliegenden Holländer dazu zwingt, auf | |
allen sieben Weltmeeren die Piraten zu jagen, bleibt den acht mächtigsten | |
Seeräubern nichts übrig, als sich zu einem Gipfel zu treffen und zu | |
beratschlagen, wie man dieser Gefahr begegnen möchte. | |
Großartige Idee natürlich: Vor dem Hintergrund des G-8-Gipfels gehört nicht | |
viel dazu, in dieser Konstellation einen klassischen Fall von Übertragung | |
zu entdecken, wie man ihm in der Psychoanalyse jeden Tag begegnet: Räuber | |
bleiben die Gipfelteilnehmer natürlich, aber um der eigenen Verstrickung in | |
die komplizierten gesellschaftlichen Verhältnisse Herr zu werden, spaltet | |
man sie vom Imperium ab, um sie zu Identifikationsobjekten machen und sie | |
so gegen die Macht wenden zu können. Und schaut man sich die acht | |
Piratenkapitäne einmal an, die sich zum Gipfel treffen - eine Chinesin, ein | |
Franzose, ein Singapurer, ein Inder, ein Afrikaner, ein Südamerikaner, ein | |
Türke und Johnny Depp (und dazu noch Keith Richards als Captain Teague, der | |
Mann, der den aus dem ersten Teil bekannten Piratenkodex verwaltet) -: ist | |
das nicht die Multitude, wie man sie aus der Globalisierungsgegnerfolklore | |
kennt? Die Dritte Welt zusammen mit dem alten Europa plus Rock n Roll? | |
Tatsächlich ist auch die Zeichensprache, die sich Regisseur Gore Verbinski | |
und Produzent Jerry Bruckheimer für die Piraten ausgedacht haben, | |
überzeugend den kulturellen Vorstellungen der globalisierungskritischen | |
Bewegung angepasst: nicht ganz so hochtechnologisiert wie in "The Matrix", | |
wo die Widerständler ihre autonome Zone namens Zion auf dem Meeresboden | |
haben, Dreadlocken und Tribaltattoos tragen und zu Techno tanzen. Aber | |
fast: Die Haare waschen sich auch die Piraten nicht (außer Keira Knightley | |
natürlich). Dafür haben sie schlechte Zähne (außer Keira Knightley und | |
Orlando Bloom natürlich). Und das Leben in "shipwreck grove", dem geheimen | |
Piratenrückzugsort am Ende der Welt, findet auch im selbstgeschaffenen | |
Bricolage-Idyll statt. Ein großer babylonischer Turm, zusammengezimmert aus | |
alten Schiffen. Und immer ist genug Schnaps für alle da, ahoi! | |
23 May 2007 | |
## AUTOREN | |
Tobias Rapp | |
## TAGS | |
Kino | |
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