# taz.de -- Künftige Lieben (2): Der Milliarden-Deal | |
> Immer mehr Deutsche sind angeblich bindungslos und einsam. Tatsächlich | |
> ist die ökonomische Macht der Familien ungebrochen - und wird wichtiger. | |
Bild: Der Bund hat das Geld in den letzten drei Jahren mit Füßen getreten | |
Die Deutschen sind derart besessen von ihrer Angst vor Einsamkeit, dass | |
ihnen Offensichtliches entgeht. Es stimmt, dass nicht alle Erwachsenen ein | |
Kind haben - doch jeder Mensch hat Eltern. Das ist zwar schlichte Biologie, | |
aber ökonomisch höchst bedeutsam. Die Familie ist in Deutschland die | |
entscheidende Instanz geblieben, die Vermögen, Chancen und Prestige | |
verteilt. Es gibt die neuen Beziehungsformen, die Barbara Dribbusch (taz | |
vom 24. 7.) beschrieb, aber die uralten Familienbande prägen. Die Herkunft | |
bestimmt die Zukunft des Einzelnen. | |
Die Macht der Familien wirkt weitgehend im Verborgenen; sie wird zugedröhnt | |
von den herrschenden Diskursen, die eine "demographische Katastrophe" und | |
ein "vergreisendes" Deutschland beklagen. Ein Nebeneffekt dieser | |
Angstdebatten: Die Familie erscheint als bedroht, ist daher absolut zu | |
schützen und den normalen politischen Verteilungskämpfen zu entziehen. Die | |
neue Bindungslosigkeit, die so häufig behauptet wird, erzeugt ein Gefühl | |
der absoluten Demokratisierung: Wenn alle einsam sind, sind alle gleich. | |
Subtil wird Armut umgedeutet - sie wird nicht mehr materiell, sondern | |
emotional verstanden. Der Hartz-IV-Empfänger scheint sich vom Millionär | |
kaum zu unterscheiden, wenn beide angeblich erfolglos nach stabilen | |
Beziehungen suchen. | |
Es wird öffentlich nicht wahrgenommen, welch gigantische Summen innerhalb | |
einiger Familien weitergereicht werden und wie sehr es sich lohnt, | |
finanzstarke Eltern zu haben. Rund 2,5 Billionen Euro werden in Deutschland | |
in den nächsten zehn Jahren vererbt. Diese Transaktionen bleiben jedoch | |
privat; der Staat nimmt jährlich nur etwa 3 Milliarden Euro Erbschaftsteuer | |
ein. Selbst die Vermögensoase Schweiz kassiert bei ihren reichen Erben | |
strenger ab. | |
Es ist schon kurios, dass in Deutschland sogar die Tabaksteuer weitaus mehr | |
bringt als die Erbschaftsteuer - nämlich rund 14,2 Milliarden Euro | |
jährlich. Beharrlich wird so getan, als wären Nachlässe Bagatellen, die die | |
deutschen Finanzämter nicht zu beschäftigen haben. So großzügig kann nur | |
eine Gesellschaft sein, die am Selbstbild festhalten will, dass allein die | |
"Leistung" des Einzelnen zähle. | |
Doch die Fiktion der Chancengleichheit wird von der Statistik ad absurdum | |
geführt: 44 Prozent aller Nachlässe sind weniger als 20.000 Euro wert. Aber | |
1,5 Prozent aller Erben erhalten mehr als 500.000 Euro. Dabei profitieren | |
ausgerechnet jene, die schon über Vermögen verfügen. "Wer hat, dem wird | |
gegeben", fasst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zusammen. | |
Die Spuren finden sich in den Armuts- und Reichtumsberichten der | |
Bundesregierung: Inzwischen kontrollieren die reichsten 10 Prozent der | |
Bürger 47 Prozent des deutschen Nettovermögens - umgekehrt verfügt die | |
ärmere Hälfte aller Haushalte noch nicht einmal über 4 Prozent des gesamten | |
Eigentums. Tendenz sinkend. | |
Nur eine höhere Erbschaftsteuer könnte diesen Trend bremsen. Doch die | |
deutsche Familien-Ideologie ist stärker, wie sich bei der laufenden Reform | |
der Erbschaftsteuer zeigt. Wenn sich Finanzminister Steinbrück durchsetzt, | |
werden jährlich weitere 450 Millionen Euro an reiche Nachkommen verschenkt. | |
Denn künftig sollen Firmenerben keine Steuern zahlen, wenn sie den Betrieb | |
zehn Jahre lang weiterführen und das Unternehmen maximal 100 Millionen Euro | |
wert ist. Begründung: Die Firma soll durch die Erbschaftsteuern nicht in | |
die Pleite getrieben werden. Doch selbst die Handelskammern können keinen | |
Betrieb nennen, der Konkurs anmelden musste, weil die Erbschaftsteuern | |
drückten. Wieder hat es sich für die Eliten ausgezahlt, dass die Deutschen | |
derart überzeugt sind, dass ihre Familien schwächeln. | |
Diese Legende führt auch bei der Familienförderung zu Kuriositäten. | |
Hartnäckig hält sich das Gerücht, deutsche Familien würden nicht angemessen | |
unterstützt. Tatsächlich weiß niemand, wie viel ausgegeben wird, um Ehe und | |
Nachwuchs zu belohnen. Summiert sich die Familienförderung auf rund 100 | |
Milliarden jährlich, wie die Regierung vermutet? Oder gar 240 Milliarden | |
Euro, wie das Institut für Weltwirtschaft in Kiel errechnet? Und verteilen | |
sich diese Summen auf 145 Maßnahmen (Regierung) oder nur auf rund 100 | |
Förderinstrumente (Kiel)? | |
Übrig bleibt eine rudimentäre Hitliste der unbestritten größten Posten: | |
Kindergeld und Kinderfreibeträge kosten 36 Milliarden Euro, das | |
Ehegattensplitting weitere knapp 21 Milliarden Euro. Von beiden Maßnahmen | |
profitiert erneut besonders deutlich, wer sowieso schon gut verdient. | |
Bis Jahresende will die Regierung nun eine Übersicht der Fördermaßnahmen | |
erstellen, um sie erneut zu reformieren. Es wäre erstaunlich, wenn die | |
Eliten nicht begünstigt würden. Die ideologische Vorbereitung läuft | |
bereits; besorgt wird angemerkt, dass Akademikerinnen zu wenig Kinder | |
bekämen. Das ist zwar Quatsch - tatsächlich bleiben nur 23 Prozent aller | |
Hochschulabsolventinnen ohne Nachwuchs, die sich damit kaum von anderen | |
Schichten unterscheiden. Aber die Legende von den aussterbenden Akademikern | |
hält sich zäh, ist sie für die Eliten doch lukrativ, wie sich beim neuen | |
Elterngeld zeigte, das Besserverdienende stärker fördert. | |
Künftig werden die Familien noch bedeutungsvoller, denn sie garantieren | |
Schutz in einer Zeit, in der die sozialen Sicherungssysteme wegzubrechen | |
drohen. In einer Erhebung des B.A.T.-Freizeitforschungs-Instituts von 2003 | |
gaben 56 Prozent der Befragten an, dass sie ihre eigene Familie als die | |
sicherste Vorsorge betrachten. | |
Das ist kein leerer Wahn. Die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern sind | |
weitaus besser, als es das Schlagwort vom "Krieg der Generationen" ahnen | |
lässt. Soziologische Untersuchungen ergaben, dass die allermeisten | |
Erwachsenen nicht weit entfernt von ihren Eltern wohnen. So leben 60 | |
Prozent im gleichen Ort, 80 Prozent sind höchstens eine Stunde Fahrzeit | |
entfernt. 40 Prozent aller Eltern wohnen mit mindestens einem ihrer | |
erwachsenen Kinder unter einem Dach. | |
In dieses Bild der trauten Familie passt, dass die materielle Solidarität | |
zwischen den Generationen sehr ausgeprägt ist. Die B.A.T.-Erhebung stellte | |
fest, dass die Älteren ihre erwachsenen Kinder umfangreich unterstützen: | |
mit Geld (28 Prozent), Sachmitteln (20 Prozent) und persönlichen Hilfen (20 | |
Prozent). Allerdings muss man sich diese Hilfe leisten können. Arme | |
Familien driften auseinander. "Wo ökonomische Bedürftigkeit herrscht, | |
lockern sich die Generationenbeziehungen", konstatiert der Soziologe Marc | |
Szydlik. Wieder profitieren jene, die finanzstarke Eltern haben. Die | |
uralten Bindungen lohnen sich in Deutschland, sind Milliarden wert. Das | |
sollte der Diskurs über die "künftigen Lieben" nicht verschweigen. ULRIKE | |
HERRMANN | |
4 Aug 2006 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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Große Koalition | |
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