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# taz.de -- Comeback: Feels like Hodenfressen
> Nicht nur Genesis beehren uns wieder, fast jede aufgelöste Rockband
> scheint sich wieder zusammentun zu müssen. Das hat Gründe: vor allem
> kommerzielle.
Bild: Noch ein Versuch: Genesis im November 2006
"Ich würde eher meine Hoden essen, als mit der alten Band aufzutreten",
sagt Morrissey. So reagierte der Exsänger von The Smiths auf ein
verlockendes Angebot: 10 Millionen Dollar sollte die Gruppe, die sich 1987
aufgelöst hatte, im vergangenen Jahr für drei Live-Shows bekommen. Und Paul
Weller sagt, er würde über eine Reunion von The Jam überhaupt erst
nachdenken, wenn seine Familie "mittellos und hungernd in der Gosse"
gelandet sein sollte.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Musiker mit solchen Worten ein Comeback
ihrer ehemaligen Band verwerfen, denn die Frage danach legt ja immer nahe,
dass der betreffende Künstler einen Trip in seine Vergangenheit aus
künstlerischen oder finanziellen Gründen nötig hätte. Aber in den letzten
Jahren sind die drastischen Absagen seltener geworden, vielmehr erlebt die
Pop-Welt eine Reunion-Welle, die 2007 einen vorläufigen Höhepunkt erreichen
wird. "Better to reunite than to fade away" - mit diesem paraphrasierten
Neil-Young-Zitat überschrieb das Wall Street Journal kürzlich einen Artikel
dazu.
Viel beigetragen zum neuen Reanimationsboom hat vor zwei Jahren Cream. 36
Jahre nach der Auflösung gab das Trio Cream um Eric Clapton zunächst vier
Konzerte in der Londoner Royal Albert Hall. Daraus entstanden Mitschnitte
auf CD und DVD, die sich prächtig verkauften. Einige Monate später spielten
sie noch einmal an drei Abenden hintereinander im New Yorker Madison Square
Garden. Allein bei letzteren Auftritten wurden 10,6 Millionen Dollar
umgesetzt - eines der besten Ergebnisse in der US-Konzertbranche in jenem
Jahr. Kein Wunder, dass Cream-Bassist Jack Bruce kürzlich angekündigt hat,
die Band wolle ihr Comeback im Laufe dieses Jahres noch fortsetzen.
Für die Rekorde des Jahres dürften indes andere zuständig sein. Etwa The
Police, die Ende Mai auf die Bühne zurückkehrten. Spekuliert wird auch über
eine Tournee von Van Halen mit Sänger David Lee Roth, der die Band 1985
verlassen hatte. Die Rahmendaten stehen fest: Vorgesehen sind 40 Auftritte,
es gibt ein Garantiehonorar von 850.000 Dollar pro Show. Für den
Einnahmerekord hier zu Lande dürften Genesis sorgen, die zum ersten Mal
seit 15 Jahren auf Tour gehen. Acht der neun Auftritte in deutschen
Fußballstadien, darunter auch der erste am kommenden Freitag in Hamburg,
sind seit Monaten ausverkauft. Lediglich bei der Show im Berliner
Olympiastadion, für die 70.000 Tickets verkauft werden dürfen, sind noch
Plätze frei. Am Ende werden insgesamt 480.000 Zuschauer die Rentnerband
gesehen haben. Da die Karten zwischen 50 und 80 Euro kosten - die Band habe
"darauf geachtet", dass die "Preise nicht zu hoch" seien, heißt es dazu bei
der zuständigen Peter Rieger Konzertagentur -, ergeben sich, wenn man den
Mittelwert (65 Euro) zugrunde legt, Einnahmen von 31 Millionen Euro. Allein
für Deutschland, wohlgemerkt.
Die Herren Sting und Phil Collins gehen gewiss nicht mit ihren Kumpels von
einst auf die Bühne, weil sie Angst davor haben, dass ihnen bald der
Gerichtsvollzieher auf die Pelle rückt. Aber mal abgesehen davon, dass auch
Multimillionäre ein Interesse daran haben, ihr Vermögen zu mehren: Von
elementarer Bedeutung sind die befristeten Reunions für Konzertveranstalter
sowie Hallen- und Arenenbetreiber - und natürlich auch die Plattenfirmen,
die die Events auf CD und DVD verkaufen können. Die Live-Comebacks der
alten Kameraden seien "teilweise ein Nebenprodukt des andauernden
Niedergangs der Plattenindustrie", schreibt das Wall Street Journal. Die
Konzerne konnten zuletzt immer weniger neue große Namen hervorbringen, was
natürlich auch die Konzertveranstalter zu spüren bekamen. Sogar über eine
Reunion-Tournee der Jackson Five wird spekuliert, zumal es Michael Jacksons
letzte Gelegenheit sein könnte, Renomee und Bankkonto zu sanieren.
Natürlich fällt es leicht, über Police- und Genesis-Jünger zu spotten, die
zu Hunderttausenden in die Stadien pilgern, um sich großelterlichen "Ach,
weißt du noch?"-Gefühlen hinzugeben. Doch das Phänomen ist komplexer: Der
Rückkehrwille ist unter Bands aus allen Genres ausgeprägt. So haben die
Rave-Rocker Happy Mondays ein neues Studioalbum aufgenommen, Portishead
läuten im Dezember 2007 mit einem Auftritt in London womöglich das große
Triphop-Revival ein, und The Jesus And Mary Chain, die vor zwei Jahrzehnten
mal den Lärmpop umwälzten, wollen sich 2008 wiedervereinigen.
Als Vorbild für Indieband-Comebacks im großen Stil gilt die Reunion-Tournee
der Pixies in den Jahren 2004/05. Sie traten dabei in wesentlich größeren
Hallen auf als in ihrem ersten Leben und nahmen 180.000 Dollar pro Show
ein, wobei das US-Branchenmagazin Pollstar errechnete, dass Bandleader
Frank Black in dieser Phase mit einer Solotournee nur auf fünf Prozent
dieser Summe kam. Auch ein erheblicher Teil der Indie-Zielgruppe findet
offensichtlich das Gestern attraktiver als das Heute.
Nicht nur Stars aus Mainstream und Underground, sondern Randfiguren der
Indie-Szene kommen wieder. Von der in den 80er-Jahren einflussreichen
Drogen-Blues-Punkcombo The Scientists ist gerade ein Comeback-Live-Album
erschienen und von den Swamp-Rockbands Beasts Of Bourbon, ebenfalls aus
Australien, die erste Studio-Platte seit zehn Jahren. Diese Bands hatten
bei ihren Konzerten in Berlin, Hamburg, Köln oder München früher
bestenfalls vielleicht 300 Zuschauer. Auch wenn man davon ausgeht, dass es
sich bei denen heute überwiegend um Gutverdiener handelt, die sich für
aktuelle Acts kaum interessieren und stattdessen lieber ihren alten Helden
den Lebensunterhalt finanzieren - eine ausreichende ökonomische Basis für
ein Comeback wäre das nicht.
Der Hauptgrund für die Reanimation diverser Underground-Legenden liegt
darin, dass deren Songs ungleich besser verbreitet und verfügbar sind als
während ihrer eigentlichen Karriere. Auf Myspace, Youtube, Lastfm oder
Fan-Websiten ist die Musik beinahe jeder obskuren Band, die für 15 Minuten
mal irgendeinen Mikrokosmos aus den Angeln gehoben hat, jederzeit abrufbar
- was nicht zuletzt Leute nutzen, die zu jung sind, um die Songs gehört zu
haben, als sie entstanden sind. Das Internet habe die "Haltbarkeit" solcher
Bands "verlängert", sagt Kevin French, der Konzert-Booker der Band Sebadoh.
Deren Gründer, Lou Barlow, ist in dieser Saison einer der am härtesten
arbeitenden Männer des Comeback-Business. Im Frühjahr zwei Monate mit
Sebadah in den USA unterwegs, jetzt kann er sich auf das Dinosaur-jr.-
Revival konzentrieren.
Das für viele Beobachter erstaunlichste Comeback feiern derzeit The Only
Ones, die sich 1981 aufgelöst hatten, nachdem sie es mit ihrer Mischung aus
Power Pop, New Wave und Glamrock zwar zu einer der Lieblingsbands von
Fehlfarben-Sänger Peter Hein geworden waren, kommerziell aber kaum Erfolg
gehabt hatten. Die britische Tageszeitung The Guardian fragte sich neulich,
ob es sich hier um "die am meisten drogenverwirrte Band aller Zeiten"
handelt, und allein schon wegen der gesundheitlichen Verfassung der Musiker
- Bandleader Peter Perrett, ein Exdealer, plagen erhebliche Lungenprobleme,
weil er lange Crack geraucht hat - galt eine Wiederkehr als ausgeschlossen.
Mitverantwortlich für das kleine Wunder war die Firma Vodafone. Die nutzte
den einzigen Only-Ones-Hit, die Heroin-Hymne "Another Girl, Another Planet"
von 1978, im vergangenen Jahr in England für eine Kampagne - unter anderem
für Weihnachtstarife.
Sonst werden Comebacks profaner eingeleitet oder begleitet: von
Best-of-DVDs, CD-Wiederveröffentlichungen in einer "Remastered"-Edition
oder, wie jetzt im Fall Genesis, als "5.1. Super Surround Mix", von Boxed
Sets mit "Raritäten" oder "Collections", die "essential" oder "ultimate"
sein wollen. Oft handelt es sich dabei um Bauernfängerei: Von der 1999
aufgelösten Gruppe Squeeze beispielsweise, der Ende der 70er-, Anfang der
80er-Jahre hübsche Pop-Hits gelangen, gab es bisher zwölf Compilations, ehe
dann Ende April die dringend notwendige 13. folgte: "Essential Squeeze".
Die ist als CD und als DVD erhältlich, und weil die Datenträger beworden
werden wollen, werden die Herren auf Tour geschickt. Einige Konzerte in
England sind bereits ausverkauft, obwohl sie erst im Dezember stattfinden.
Der Wiederauferstehungsmarkt hat sich mittlerweile schon diversifiziert. Es
gibt zum Beispiel nicht nur branchenübliche Comeback-Shows, sondern auch
Reunion-Tourneen zwecks Wiederaufführung eines einzelnen Werks. Die
Synthiepop-Gruppe OMD gab kürzlich einige Konzerte, auf der sie
ausschließlich ihr 1981er-Album "Architecture and Morality" spielten. The
Zombies - eine Band, der man zumindest wegen ihres Namens eine Wiederkehr
zubilligen kann - wollen bald ihr legendäres Album "Odyssey & Oracle" von
1968 auf die Bühne bringen. Ein Sonderfall sind Wiederaufführungen von
Werken, deren Urheber gar keine Reunion zu feiern haben. Sonic Youth etwa
spielen im Rahmen der Londoner "Dont look back"-Konzertreihe im August an
drei Abenden hintereinander ihr Opus Magnum "Daydream Nation", und schon
jetzt sind zwei Konzerte ausverkauft. Die Gigs dürften nach ähnlichen
Mechanismen funktionieren wie eine Comeback-Show.
Manchmal braucht es Tricks, um im Revival-Business mitzumischen.
Beispielsweise, wenn die Hauptfiguren einer Band nicht willig sind, die
weniger populären Exgefährten aber umso mehr. So kommen monströse Namen
zustande wie "From The Jam: Bruce Foxton & Rick Buckler". Oder, extra fürs
kommende "Melt!"-Festival ausgedacht: "Frankie Says: Melt! (feat. P.
Rutherford, P. Gill & J. OToole playing the songs of Frankie Goes To
Hollywood)". Besonders clever sind die Marketingstrategen der Eagles. Die
Band kehrte 1994 auf die Bühne zurück und ging auch danach immer mal wieder
sporadisch auf Tour - stets mit dem Etikett "Reunion". Zum Beispiel 2005,
als eine DVD mit dem irreführenden Titel "Farewell Tour I" erschien. 2006
waren sie schon wieder unterwegs und generierten 100 Millionen Dollar
Einnahmen. Auch in diesem Sommer gibt es einen Anlass, von einer
Eagles-Reunion zu sprechen: Das erste Studioalbum seit 28 Jahren ist
angekündigt.
Um es in Anlehnung an Hape Kerkeling zu sagen: Das ganze Leben ist eine
Oldie-Radio-Sendung. Auffällig ist auch, dass aufgrund der Attraktivität
des Begriffs Comeback die Zeitspannen zwischen Abgang und Rückkehr kürzer
werden: Die Smashing Pumpkins, gerade bei "Rock am Ring" zu sehen, waren
nur sieben Jahre weg, ebenso Rage Against The Machine, die sich im Januar
reformierten. Vielleicht sollte man den Begriff "Auflösung" aus der
Pop-Berichterstattung streichen. In einem Song der Gruppe Blumfeld, die
sich erst kürzlich von der Musikgeschichte beurlaubt hat, ist die Rede von
einer "Art des Verschwindens, die den Tod bezwingt". Im übertragenen Sinne
ist damit die Trennung einer Band recht gut beschrieben.
11 Jun 2007
## AUTOREN
René Martens
## TAGS
Rock'n'Roll
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