# taz.de -- Mindestlohn: Das Ende der Schönrednerei | |
> Für Franz Müntefering ist die Mindestlohnregelung "kein Kompromiss". Die | |
> ablehnende Haltung der Union erfüllt den SPD-Minister mit "Empörung". | |
Bild: Mindestlohn geht "nur gegen die Union" - Franz Müntefering ist zornig. | |
BERLIN taz Wir haben lang verhandelt, wir haben uns gestritten, aber am | |
Ende haben wir einen guten Kompromiss gefunden, der Deutschland | |
weiterbringt. So verkaufen Union und SPD seit zwei Jahren stets ihre | |
Koalitionsbeschlüsse. Einer versucht das auch jetzt noch, am Morgen nach | |
der bisher härtesten Verhandlungsnacht im Kanzleramt, in der die | |
Führungsleute der Regierungsparteien bis 2.45 Uhr über die Einführung von | |
Mindestlöhnen debattierten. Peter Ramsauer, der Berliner Statthalter der | |
CSU, serviert neben den üblichen Weißwürsten die üblichen Weisheiten über | |
die angeblich ach so gute Stimmung. Es gebe, behauptet Ramsauer fröhlich, | |
"nur Sieger auf allen Seiten". Doch schon eine Stunde später wird er | |
widerlegt. | |
Der Vizekanzler höchstpersönlich beendet die gewohnte Schönrednerei. Franz | |
Müntefering tut erst gar nicht so, als hätte er Grund zum Feiern. Was man | |
in der Nacht beschlossen habe, sei "kein Kompromiss", sagt der zuständige | |
SPD-Minister für Arbeit und Soziales. Dass die Koalition für mehr Branchen | |
als bisher Mindestlöhne ermöglicht, die von den Tarifpartnern ausgehandelt | |
werden sollen, ist für Müntefering nur "die halbe Miete". | |
Die zentrale Forderung der SPD nach einem festen "Minimallohn" für alle | |
Arbeitnehmer hatte die Union abgelehnt. Dies erfülle ihn mit "Empörung und | |
ein bisschen Zorn", sagt Müntefering. "Wir wollten feststellen: Es gibt | |
eine Lohnhöhe, die nicht unterschritten werden darf." Rund 1.000 Euro seien | |
zum Leben nötig, so viel müssten Arbeitnehmer mindestens verdienen. Doch da | |
habe sich die Union "verweigert". Als er die Kollegen gefragt habe, was sie | |
dagegen unternehmen wollten, wenn jemand 4 Euro oder weniger in der Stunde | |
verdiene, sei die einzige Reaktion "Achselzucken" gewesen, regt sich | |
Müntefering auf und sagt: "Was ist das für eine Moral, wenn man niedrige | |
Löhne beklagt, aber staatliche Eingriffe ablehnt?" Ihm sei jetzt klar: Ein | |
Mindestlohn sei mit der Union nicht zu machen, sondern "nur gegen die | |
Union". | |
Weil er aber vorerst Vizekanzler bleiben möchte, sagt Müntefering, der | |
Fortbestand der Koalition werde "nicht in Frage gestellt". Sein Auftritt | |
ist trotzdem eine Zäsur. Ausgerechnet der bisher größte Verteidiger der | |
großen Koalition innerhalb der SPD hält ein großes Konfliktthema | |
demonstrativ am Köcheln. | |
In der Nacht zum Dienstag hat sich die Union erst einmal durchgesetzt. Sie | |
wollte von Anfang an einen gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn | |
verhindern. Dieses Ziel hat sie, zu hundert Prozent, erreicht. Die Union | |
machte sich dabei die Argumentation der Arbeitgeberverbände zu eigen. Diese | |
warnen davor, dass gesetzliche Mindestlöhne Arbeitsplätze kosten - | |
besonders in Ostdeutschland, wo die Kaufkraft niedrig ist. Wenn es dem | |
Friseurbetrieb dort nicht gelingt, die höheren Löhne durch höhere Preise zu | |
finanzieren, dürfte das zu Jobverlusten führen, warnte der BDA. Dem | |
Argument Münteferings, die Leute würde schon nicht zum Haareschneiden nach | |
Polen fahren, setzt der Arbeitgeberverband entgegen: Solche | |
Dienstleistungen würden dann vermehrt schwarz stattfinden. Sprich: Nach | |
Polen geht keiner, wohl aber zur Nachbarin, die für ein paar Euro | |
Strähnchen färbt. | |
Die SPD dagegen kämpfte für eine deutschlandweite Lohnuntergrenze. Damit | |
ist sie gescheitert: Auch nach den neuen Regeln wird die viel zitierte | |
thüringische Friseuse ganz legal für 3,18 Euro die Stunde arbeiten. Denn | |
das ist der offizielle Tariflohn in Thüringen. Wird das Entsendegesetz | |
künftig auf die Friseurbranche ausgeweitet, bedeutet das nur, dass 3,18 | |
Euro für alle Friseurbetriebe zum Mindestlohn erklärt wird - für den Fall, | |
dass es Coiffeure gibt, die noch weniger verdienen. | |
Dennoch kann auch die SPD Teilerfolge verbuchen: Dass überhaupt neue | |
Branchen ins Entsendegesetz aufgenommen werden können, ist dem Drängen der | |
Sozialdemokraten geschuldet. Bisher gilt das Gesetz nur für Bau und | |
Gebäudereinigung. Dass außerdem ein Gesetz von 1952 Anwendung findet, das | |
de facto Mindestlöhne für Branchen ohne starke Tarifpartner erlaubt, ist | |
auch ein Zugeständnis an die SPD. | |
Ralf Brauksiepe, sozialpolitischer Sprecher der Union, ist der Ansicht, | |
seine Partei habe sich "ganz erheblich" auf die SPD zubewegt. Er erinnert | |
daran, dass im Koalitionsvertrag nur von der Ausweitung des | |
Entsendegesetzes auf eine einzige Branche - die Gebäudereiniger - die Rede | |
ist. "Die SPD hat eine Politik des Draufsattelns betrieben", sagte | |
Brauksiepe der taz. "Erst ging es nur um tariflich vereinbarte | |
branchenweite Mindestlöhne, dann um gesetzliche Mindestlöhne. Dann war von | |
4,50 Euro die Rede, später von 6, dann kam Parteichef Beck mit 7,50 oder 8 | |
Euro." Da habe die Union dagegenhalten müssen. Der SPD beschert sie damit | |
ein willkommenes Wahlkampfthema bis 2009. | |
20 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
K. Koufen | |
L. Wallraff | |
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