# taz.de -- Chemiegifte: Spurensuche in Urin und Blut | |
> Es finden sich viele Gifte in der Umwelt. Die Frage ist, ob sie in den | |
> Körper gelangen. Wegen PCB wurde schon eine Schulen abgerissen. | |
> "Voreilig" sagen heute Umwelttoxikologen. Ein Porträt der Zunft. | |
Bild: In Folie zum Abriß verpackt: Die PCB-belastetete Nürnberger Georg-Ledeb… | |
Die Zunft der Umwelttoxikologen wurde immer ein wenig belächelt. Ihnen | |
fehlte es lange Jahre an guter Analytik, um die Gefahren, die etwa von | |
Pestiziden oder Rußpartikeln ausgehen, richtig abzuschätzen. Ein zweiter | |
Grund: Man beschäftigte sich vor allem mit dem Auffinden und Messen von | |
Giftstoffen in unserer Umgebung, genannt Ambient Monitoring. | |
Dies führte häufig zu Fehlschlüssen. Heute befassen sich Umweltmediziner | |
gemeinsam mit Chemikern und Biologen daher mehr mit dem Menschen, der | |
Giftstoffe aus der Nahrung oder über die Atmung aufnimmt, und damit, wie er | |
diese Stoffe abbaut, speichert oder - im günstigsten Fall - ausscheidet | |
(Human Monitoring). | |
Damit hat sich die Wissenschaft vollkommen gewandelt, was auch die Fachwelt | |
honoriert. Die Umweltspezialisten gelten nicht mehr als Panikmacher. | |
Umgekehrt vermuten auch Umwelt-, Verbraucherschützer und die Bevölkerung | |
hinter den Labortüren nicht mehr parteiische Forscher, die jegliche Gefahr | |
verharmlosen. | |
Gerade die deutsche Umwelttoxikologie hat einen hervorragenden Ruf. Der | |
Grund dafür ist das Human-Biomonitoring (HBM), das WissenschaftlerInnen am | |
Umweltbundesamt (UBA) seit 20 Jahren fortführen. Daten aus Blut- und | |
Urinproben, Hausstaub und Trinkwasser, zu Wohnsituation, Rauch- und | |
Ernährungsgewohnheiten werden hier gesammelt, um mögliche Gefahren | |
abschätzen und auch zu ihren Quellen rückverfolgen zu können. | |
"Kein Land hat ein so gut funktionierendes System", meint Nicolas Olea, | |
Mediziner an der Universität in Granada, der die Pestizid-Belastung der | |
Südspanier untersucht. Auch die USA haben mittlerweile ein exzellentes | |
Monitoring, das nach dem deutschen Vorbild gestaltet wurde. | |
Aus der Umweltstudie, bei der Daten aus dem HBM Eingang finden, weiß man | |
etwa: Die Belastung der Bevölkerung mit einigen Giften ist gesunken. So | |
finden die UBA-Forscher immer weniger Blei, Arsen, Cadmium und Quecksilber | |
sowie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in den Probanden. | |
Heute weiß man auch, dass die Gruppe der polychlorierten Biphenyle (PCB) | |
zumindest in der Innenraumluft weniger gefährlich sind als angenommen. PCBs | |
kamen bis 1986 in Dichtungsmassen zur Anwendung. Im Tierversuch sind PCBs | |
krebserregend, beim Menschen könnten sie dem Immun- und Nervensystem | |
schaden. | |
Wegen dieses Biozids musste sogar eine Schule in Nürnberg im Jahr 2001 | |
abgerissen werden. Kostenpunkt: 15 Millionen Euro. "Das war voreilig", so | |
Jürgen Angerer, der auch Mitglied der Kommission Humanes Biomonitoring am | |
UBA ist. Denn: Man schloss vom PCB-Gehalt in der Raumluft, der mit 2.000 | |
ng/qm den Zielwert um fast das 10-fache überschritt, auf eine mögliche | |
Belastung von Schülern und Lehrern im Bereich von 300 ng/l Blut. | |
Nachträgliche Analysen ergaben jedoch: Im Blut der Kinder fand sich nur 22 | |
ng/l inhaliertes PCB. Diese Menge entspricht fünf Prozent des gesamten | |
PCBs, das ein Körper aufnimmt; 95 Prozent stammen dagegen aus der Nahrung. | |
Zudem ist die PCB-Belastung der Deutschen seit Jahren rückläufig. | |
Andere Stoffe bereiten Umwelttoxikologen daher mehr Kopfzerbrechen, etwa | |
die Phtalate. Diese verbergen sich in Weich-PVC, Kosmetika, | |
Arzneimittelkapseln oder Wandfarbe - die europaweite jährliche Produktion | |
beläuft sich auf eine Million Tonnen. Sie zählen zu den "endokrinen | |
Disruptoren", die in das Hormonsystem eingreifen. | |
Angerer hat die Phtalatmenge in einer Teilstudie des Umweltsurveys bei 634 | |
Personen im Urin gemessen. Das Ergebnis: 98 Prozent der Probanden hatten | |
fünf verschiedene Phtalate im Urin, 14 Prozent lagen beim Dibutylphtalat | |
über dem Grenzwert. Auch in Blutproben von Kindern waren die | |
Phtalat-Höchstmengen teilweise um das 10-Fache überschritten. | |
Darum darf immerhin seit Januar kein Weichmacher mehr in Quietschenten oder | |
Nuckelflaschen gemischt werden. PVC-Hersteller verwenden heute nur noch | |
solche Phtalate, die nach einer EU-Risikobewertung als ungefährlich | |
eingestuft werden. Das UBA plädiert dagegen für einen schrittweisen Ersatz | |
aller bedenklichen Phtalate. "Schließlich belegt die Angerer-Studie, dass | |
Kinder in bedenklichem Maße belastet sind", so Marike Kolossa, | |
Wissenschaftlerin am UBA. | |
Indes, die Arbeit wird Umweltmedizinern kaum ausgehen. Jährlich kommen 400 | |
Millionen Tonnen der schätzungsweise 100.000 Chemikalien in Umlauf. Im Jahr | |
1930 waren es gerade mal eine Million. Rund 70 verschiedene Stoffe finden | |
Umweltmediziner im Blut des westlichen Menschen. Und es werden mehr, wenn | |
man weiß, wonach man sucht und entsprechende Tests vorhanden sind. | |
Für viele der Alltagsgifte fehlen Risikobewertungen. "Was Chemie-Cocktails | |
über Jahre hinweg anrichten, ist nicht erforschbar", so Olea. In | |
Deutschland sind derzeit 250 Pestizide zugelassen. Das allein ergibt eine | |
unendliche Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten. Fakten gibt es daher kaum. | |
Es wird aber vermutet, dass Giftstoffe für die Zunahme von Allergien, | |
Diabetes, Übergewicht, Demenz und Unfruchtbarkeit mitverantwortlich sind. | |
Und neuerdings hat man auch erkannt, dass nicht jede Chemikalie bei jedem | |
Menschen gleich wirkt. Denn der Umbau der Alltagsgifte oder auch die | |
Ausscheidung hängt sehr stark von Enzymaktivitäten und Genvarianten ab. Wie | |
stark Passivrauchen krebserregend wirkt, hängt beispielsweise davon ab, ob | |
jemand zu den langsamen oder schnellen "Acetylierern" zählt. | |
Einige Umweltmediziner, etwa Frank Bartram von der Interdisziplinären | |
Gesellschaft für Umweltmedizin, fordern wegen solcher individuellen | |
Unterschiede neue Grenzwerte für Giftstoffe. Der Toxikologe Angerer sieht | |
dagegen derzeit keine Notwendigkeit für eine Generalüberholung von | |
Grenzwerten: "Diese Unterschiede scheinen nicht so stark ins Gewicht zu | |
fallen, wie die variierende Belastung selbst." | |
22 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
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