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# taz.de -- Compilation: Der Blues der Balkanier
> Warum bist du nicht da? In einem Überblick über das Genre Sevdalinka
> dekliniert die osteuropäische Seele alle Aspekte der Liebe durch.
Bild: Will musikalische Brücken bauen: Mercan Dede
Wenn Balkanier zusammensitzen, kann es passieren, dass der Sevdah
ausbricht: Die Anwesenden verfallen in eine für Außenstehende nur schwer
nachvollziehbare Stimmung irgendwo zwischen Über- und Schwermut,
Liebstollheit und -kummer, Heiter- und Traurigkeit. Dazu hören, spielen und
singen sie schön-traurige Lieder, die "Sevdalinka" genannt werden:
balkanischen Blues.
Sevdah bedeutet Liebe in allen Schattierungen von Ekstase bis Verzweiflung,
wobei Letztere überwiegt. Was sehr schön zu hören ist auf der eben
erschienenen Zusammenstellung "Sevdalinka. Sarajevo Love Songs". Der
Begriff kommt von sevda, dem türkischen Wort für Liebe. Einige Etymologien
geben zudem das arabische säwda als Ursprung an: Galle. Abdulah Ðkaljic,
Autor des Standardwerks "Turzismen in der serbokroatischen Sprache", findet
das ganz logisch: Galle verursache eben ein ähnliches Gefühl wie Liebe. Der
Volksmund in Bosnien ist sicher, dass die Türken das Wort deshalb von den
Arabern übernommen haben - und dass die Balkanslawen ein "h" angehängt
hätten, um dem Ganzen ein weiches, versöhnliches Ende zu geben.
Vorgetragen werden Sevdalinka in einem altertümlichen, mit vielen
türkischen Begriffen gewürztem Südslawisch, wie es vom 15. bis Mitte des
19. Jahrhunderts in den europäischen Provinzen des Osmanischen Reiches
gesprochen wurde. Die allermeisten Stücke stammen aus Bosnien-Herzegowina,
wo nach der Eroberung durch die Türken große Teile der slawischen
Bevölkerung zum Islam übertraten - und ihre eigene, orientalisch geprägte
Kultur entwickelten.
"Sevdalinka" bietet einen guten Überblick über das Genre, denn die 12 Titel
sind ein durchdachter Mix von klassischen, einzig von einer Stimme und Saz
vorgetragenen Sevdalinka und dem Neuen Stil, der seit dem späten 19.
Jahrhunderts mit Ziehharmonika, Klarinette und anderen Instrumenten
gespielt wird.
Mitgewirkt haben internationale Künstler wie der in Kanada lebende Türke
Arkin Ilicai alias Mercan Dede und der bulgarische Hirtenflöten-Virtuose
Theodosii Spassov, einige der besten Sevalinka-Sänger Ex-Jugoslawiens wie
Vesna Hadþic oder Emina Zecaj - aber auch dem Genre fremde Musiker wie die
internationale Jazzrock-Legende Vlatko Stefanovski aus Mazedonien oder
Jadranka Stojakovic, die ihre jugoslawische Karriere als Sängerin 1988
abrupt durch Umzug nach Japan beendete, wo sie seitdem ebenfalls ein Star
ist. Auf der Compilation spielt sie ihren eigenen Song "Sto te nema" (Warum
bist du nicht da) - der einzige zeitgenössische Titel auf der Compilation -
zusammen mit japanischen Musikern.
In Berliner Balkan-DJ-Kreisen hat die Frage, wer das denn zusammengestellt
hat, im Vorfeld der Veröffentlichung Interesse erregt. Jetzt ist es raus,
für die Zusammenstellung ist ein Großmeister der Weltmusikszene
verantwortlich: Colin Bass, einst als Sabah Habas Mustapha Mitglied der
legendären 3Mustapha3, Musiker und Produzent auf drei Kontinenten,
Moderator bei RBB Radio Multikulti in Berlin und WDR Funkhaus Europa in
Köln, und Mit-Autor des "Rough Guide to World Music". Das erklärt auch,
warum sich auf der CD Exoten wie das in der deutschsprachigen, von Heinrich
Heine übersetzten Version gesungene Stück "Der Esra" finden. Oder der
Bonustrack, eine Sevdalinka, die ein finnischer Professor 1908 aufgenommen
hat.
Als wäre die einzigartige Qualität dieser Sammlung nicht genug: Die
gemeinsame Produktion des Goethe-Instituts Bosnien und Herzegowina und des
Musikverlags Yaman GmbH, herausgegeben von Piranha, ist für einen guten
Zweck auf dem Markt. Alle Einkünfte werden ausschließlich für
Instrumentenspenden an Schulen in Bosnien verwendet. Zu kritisieren bleibt
bei "Sevdalinka. Sarajevo Love Songs" einzig das Cover: Man braucht eine
Lupe, um auch nur ungefähr erkennen zu können, was darauf abgebildet ist.
Alles andere an dem Album ist großartig.
V. A.: "Sevdalinka. Sarajevo Love Songs" (Piranha/Indigo)
7 Jul 2007
## AUTOREN
Rüdiger Rossig
## TAGS
Musik
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