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# taz.de -- Tour de France: So überleben Sie die Tour
> Sie haben tatsächlich noch Sympathie für den Radsport? Dann sind hier
> einige Tipps, wie sie das Rennen trotz Doping-Arien genießen können.
Bild: Der Ruf des Radsports im Keller? Egal, weiter gehts.
1. Stellen Sie ihren Hometrainer vor den Fernsehapparat und fahren sie zu
Hause die Königsetappe mit. Bei den 218 Kilometern mit den Anstiegen auf
den Port de Larrau (1573 m), den Col de la Pierre-St. Martin (1760 m) und
den Col dAubisque (1709 m) entscheidet sich auch ihre persönliche Tour.
Versuchen Sie das Tempo des Pelotons einigermaßen zu halten. Vergleichen
Sie Ihren Puls und Ihre Wattzahl mit den Einblendungen im TV. Wenn Sie im
Ziel nicht tot sind, waren Sie gedopt. Sonst: Herzlichen Glückwunsch!
2. Lernen Sie Ihre Doping-Lektionen! Damit Sie in Fachgesprächen mitreden
können und sich nicht blamieren, üben Sie als erstes die korrekte
Aussprache aller Tour-Teilnehmer, sagen Sie auf keinen Fall Taahilor
Hamilton (Maybritt Illner), sondern Tyler Hamilton. Wiederholen Sie
regelmäßig, laut und deutlich: Thor Hushovd, Tadej Valjavec, Aitor
Hernandez Gutierrez. Pauken Sie zudem möglichst viele Fachbegriffe aus der
Doping-Welt: zum Beispiel Erythropoietin, Hydroxyethylstärke, körpereigene
Catecholamine, Virilisierung. Und verwechseln Sie auf gar keinen Fall
Steroide mit dem Wachstumshormon (Reinhold Beckmann). Sonst wirds peinlich.
3. Wetten Sie nicht mehr auf den Tour-Sieger, sondern darauf, wer wann mit
welcher Substanz erwischt wird. Können Sie dann auch noch die Ausrede des
Dopingsünders vorhersagen ("War gar nicht mein Pippi", "Ich habe zu viel
Erdbeerbowle getrunken" oder "Ich habe eben so hohe Testosteronwerte"),
rappelts im Portemonnaie. Dieser Wettmodus wird nämlich sicher auch bei
bwin.de noch ins Angebot aufgenommen.
4. Legen Sie ein altes gelbes T-Shirt in Ihre Garage! Wenn Ihnen während
der Tour jemand blöd kommt ("Ey, die Tour ist doch eine
Schweineveranstaltung, das kannst du doch nicht gucken!"), sagen Sie nicht
"Halts Maul!" oder sonst was Ordinäres, sondern kontern Sie mit Riisscher
Gelassenheit: "Hol dir doch mein gelbes Trikot, es liegt in meiner Garage,
aber lass mich in Ruhe", so wie es der Toursieger von 1996 gesagt hat.
5. Werfen Sie auch einmal einen Blick auf andere Sportarten! Ihr Kind ist
sportbegeistert? Schön. Sie wollen aber auf keinen Fall, dass es einmal
Radsportler wird? Schauen Sie sich die Zeiten der neuen Wundersprinter aus
den USA an. Tyson Gay ist in diesem Jahr bei strömenden Regen die 200 Meter
in 19,62 Sekunden gelaufen, in der zweitschnellsten Zeit in der Geschichte
dieser Disziplin. Verfolgen Sie die Leistungen der besten Schwimmer, der
besten Thriathleten! Beobachten Sie die Laufwege Ihrer Fußballhelden und
überlegen Sie sich ganz genau, ob ihr Kind in der Sportszene wirklich gut
aufgehoben ist.
6. Lesen Sie die Gesamtwertung von hinten! Wer am Ende des Tour-Klassements
steht, der hat bestimmt nicht gedopt. Der Eigner der roten Laterne ist
entweder ein unverbesserlicher Moralist oder schlichtweg zu dumm zum
Betrug. Jacky Durand war einmal Letzter, weil er nicht mit seinen Kräften
haushalten konnte und vogelwilde Attacken fuhr. Jimmy Casper war auch
Letzter, aber der war Sprinter und kam nicht über die Berge. Im vergangenen
Jahr war der Belgier Wim Vansevenant der Schlechteste, ein Platz vor
Casper. Diese Radler sollten ihre Helden sein!
7. Starten Sie den Doping-Selbstversuch! Fangen Sie ganz langsam an und
kaufen sich in der Apotheke an Ihrer Ecke Aspirin, Koffeintabletten und
Vitamine. Schlucken Sie die Mittelchen und steigen Sie dann aufs Rad. Sie
werden sich besser fühlen als sonst. Wenn Sie ermüden sollten nach einer
Etappe über 40 oder 50 Kilometer, dann kehren Sie in eine Wirtschaft ein,
bestellen sich eine Cola und ein Glas Sekt - und kurbeln dann weiter.
Fortgeschrittene könnten beim Arzt eine Atemwegserkrankung simulieren, um
an Asthmasprays heranzukommen. Epo ist im Internet zu bekommen. Ganz
wichtig: Sie sollten Erythropoietin nur in Absprache mit dem Sportarzt
Ihres Vertrauens einnehmen!
8. Weinen Sie nicht mit, wenn ein Profi weint! Sollte während der Tour ein
Profi tränenüberströmt irgendetwas von seiner Familie erzählen und dass er
seinem Sohn nicht mehr in die Augen sehen kann, weil er nicht laut
aufgeschrien hat, als er einmal eine Epo-Ampulle am Wegesrand hat liegen
sehen, worauf er ein derart schlechtes Gewissen bekam, dass er auf Platz
176 der Gesamtwertung zurückgefallen ist - glauben Sie ihm kein Wort!
Wischen Sie die Tränen, die aus dem Fernsehgerät laufen, einfach weg und
bleiben Sie hart.
9. Rufen Sie ruhig bei ARD und ZDF an! Sie, lieber Radsportfreund, haben
die Nase voll von dieser vermaledeiten Dopingtour, sie wollen sauberen
Sport. Und das geht nur, wenn die Frankreich-Rundfahrt nicht mehr
übertragen wird. Die Öffentlich-Rechtlichen berichten 89 Stunden live aus
Frankreich, elf Etappen überträgt die ARD, zehn das ZDF. Das sind 89
Stunden zu viel Radsport. Greifen Sie also zum Telefonhörer und wählen Sie
die (0 61 31) 70-21 61 (oder für die ARD (0 89) 59 00-33 44), faxen Sie (0
61 31) 70-21 70 (alternativ: (0 89) 59 00-40 70), schreiben Sie (ZDF
Zuschauerredaktion; 55100 Mainz oder: ARD-Zuschauerredaktion Postfach 20 06
65; 80006 München), mailen Sie ([email protected] oder [email protected]). Seien
Sie nicht zimperlich und verzichten Sie keineswegs auf Kraftausdrücke. Erst
wenn der letzte Radsportler aus dem Programm verschwunden ist, kann diese
Sportart gesunden. Machen Sie mit!
10. Suchen Sie spätestens in den letzten Tour-Tagen im Internet Fotos von
Hajo Seppelt (ARD-Dopingexperte) und Werner Franke (Heidelberger
Dopingexperte), rahmen Sie diese und stellen Sie sie auf Ihren Nachttisch.
Sie würden die beiden nach der Tour sonst schmerzlich vermissen.
11. Gehen Sie ruhig auch mal unbefangen an die Tour heran! Wenn Sie genug
haben von all dem Dopinggedöns, Enthüllungsgequake und der Epo-Hysterie,
dann wird es Zeit, den Radsport einfach mal für sauber zu erklären und eine
komplette Bergetappe ohne Argwohn zu genießen: die strammen Wadeln, das
schöne Panorama, die Hintergrundinformationen zu Land und Leuten, das
kontemplative Dahinradeln, die wunderbaren Taktikspielchen und die Qualen
am Aubisque. Radsport kann ja sooo schön sein.
6 Jul 2007
## AUTOREN
J. Heess
A. Rüttenauer
M. Völker
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