# taz.de -- Tour de France: Leiden für den Mythos | |
> Die Favoriten Alexander Winokurow und Andreas Klöden - unterwegs unter | |
> der Fahne Kasachstans - steigen trotz Sturz-Verletzungen wieder auf ihre | |
> Rennmaschinen. | |
Bild: Alexander Winokurow ganz hart: "Ich akzeptiere das Leiden" | |
AUS BOURG-EN-BRESSE taz Mario Kummer stand der kalte Schweiß auf der Stirn, | |
als er am Rand des Lac Vallon in Autun sein türkisfarbenes | |
Astana-Mannschaftsauto an den Straßenrand fuhr. Gerade war der vielleicht | |
schlimmste Tag seiner Karriere als Sportlicher Leiter eines Profi-Radteams | |
zu Ende gegangen und er musste sich eine Minute Zeit lassen, um die Fassung | |
wiederzugewinnen, bevor er ausstieg und sich den Reportern stellte. "Ernst, | |
sehr ernst", sei die Lage, kommentierte er sichtlich besorgt die Stürze | |
seiner beiden Leitfahrer Andreas Klöden und Alexander Winokurow. Dann | |
quälte er sich noch einen flachen Scherz darüber heraus, dass Astana den | |
Freitag, den 13. wohl um einen Tag vorgezogen habe. | |
Im Laufe des Abends verging Kummer das Lachen dann wohl vollends. Auf | |
Andreas Klödens Röntgenbild, kurze Zeit später in der Klinik von Beaune | |
aufgenommen, zeigte sich ein Riss im Steißbein. Mit derselben Verletzung | |
hatte Klöden bereits 2003 die Tour aufgegeben, nachdem er sich unter | |
Schmerzen noch ein paar Etappen weiter gequält hatte. Alexander Winokurow, | |
der stoische Kasache, hatte erst spät am Abend den Schmerzen nachgegeben | |
und sich ebenfalls ins Hospital einliefern lassen. Kurz vor Mitternacht | |
humpelte er gequält lächelnd mit dicken Mullbinden um die Beine aus der | |
Unfallstation. Diagnose: tiefe Fleischwunden an beiden Knien. | |
Trotz der deprimierenden Bulletins gelobten beide Tour-Favoriten mannhaft, | |
aller Pein zu trotzen und sich am nächsten Morgen in dem charmanten | |
mittelalterlichen Städtchen Samur-en-Auxois wieder aufs Rad zu schwingen. | |
Und das taten sie dann auch. Auf die Schultern von Masseuren gestützt | |
humpelten sie aus dem Mannschaftsbus heraus zu ihren Fahrrädern und | |
gelobten, durchzuhalten, so lange es geht. "Ich habe große Schmerzen", | |
sagte Winokurow, "aber ich akzeptiere das Leiden." "Ich hatte eine schlimme | |
Nacht", beschrieb Andreas Klöden seinen Zustand. "Aber ich werde alles | |
versuchen." | |
So schnell geben sich die Helden nicht geschlagen, schließlich ruhen ja die | |
Erwartungen der ganzen kasachischen Nation auf den beiden. Der | |
radsportverrückte Verteidigungsminister Danial Achmetov hat für vier Jahre | |
jeweils 12 Millionen Euro bei sieben kasachischen Konzernen lockergemacht, | |
damit das an Uran-, Zink, Kupfer-, Stahl- und Ölvorkommen reiche | |
zentralasiatische Land sich als aufstrebende Wirtschaftsmacht in das | |
westliche Bewusstsein drängt. Am besten, indem ein oder gleich zwei Mann | |
mit den kasachischen Landesfarben auf dem Trikot in Paris auf dem | |
Siegerpodest stehen. "Wir wollen die Tour gewinnen", so Team-Manager Marc | |
Biver, bevor Klöden und Winokurow am Donnerstag, sich vor Schmerzen | |
windend, im Straßengraben landeten. | |
Das große Ziel ist jetzt freilich schon vor der ersten großen Bergetappe | |
aus der Greifweite des kasachischen Vorradlers Winokurow und seines | |
deutschen Stellvertreters entrückt. Dafür machten die beiden am Freitag als | |
echte Radsport-Heroen auf sich aufmerksam, als Männer, die stundenlange, | |
unvorstellbare Qualen auszuhalten bereit sind. Und das ist der Stoff, aus | |
dem Tour-Legenden geboren werden. Tour-Chef Christian Prudhomme, der sich | |
gerne als eiserner Dopingbekämpfer darstellt, bezeichnete in einem | |
Interview vor der Tour gar das Leiden als die Essenz des Mythos Tour de | |
France. Insofern sind die beiden Astana-Männer tapfere Botschafter nicht | |
nur des Heimatlandes ihrer milliardenschweren Sponsoren, sondern auch brave | |
Arbeiter an der französischen Nationalmythologie - jener von den Giganten | |
der Landstraße, die Übermenschliches leisten und erdulden. | |
Der letzte große Mann der Schmerzen bei der Tour war 2003 der Amerikaner | |
Tyler Hamilton, der mit einem gebrochenen Schlüsselbein Gesamtvierter wurde | |
und eine Etappe gewann. Er stürzte während der ersten Etappe, man konnte | |
ihm mit einer wohligen Mischung aus Sadismus, Mitgefühl und Bewunderung | |
genüsslich drei Wochen lang dabei zusehen, wie er mit von der Pein | |
entstellten Gesichtszügen Millionen von quälenden Pedaltritten erduldete. | |
Hamilton war der Publikumsliebling jener Tour, die Radsportwelt vergötterte | |
ihn. Jedenfalls bis er im Jahr darauf wegen Blutdopings aus dem Verkehr | |
gezogen wurde. | |
Man mag die Martyrer, sie machen die Tour erst so richtig schön. Wenn sie | |
zwielichtige Mediziner konsultieren, um das alles leichter oder schneller | |
zu überstehen, mag man das hingegen nicht so gerne. Insofern sollte man | |
sich vielleicht wünschen, dass Winokurow und Klöden den Mut haben, bald | |
auszusteigen. Es ist allerdings zu befürchten, dass ihre ein Leben lang | |
eingeübte Radlermentalität sie dazu treibt, so lange durchzuhalten, wie es | |
irgend geht. Und noch ein wenig länger. | |
14 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Moll | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tour de France: Distanzierte Nähe | |
Jubeln, Boykottieren, über Dopung berichten oder nicht: Tour-Journalisten | |
streiten darüber, wie sie die Frankreich-Rundfahrt am besten begleiten | |
sollen. | |
Tour de France: Tabus im Tross | |
Bob Stapleton, Chef des Teams T-Mobile, will sich nicht mehr mit der | |
Vergangenheit seiner Fahrer befassen. | |
Tour de France: So überleben Sie die Tour | |
Sie haben tatsächlich noch Sympathie für den Radsport? Dann sind hier | |
einige Tipps, wie sie das Rennen trotz Doping-Arien genießen können. |