# taz.de -- Kuba: Das große Warten | |
> Vergeblich haben die Kubaner auf zukunftsweisende Entscheidungen von | |
> Fidel Castros Bruder Raúl gewartet. Hat das Volk überhaupt noch Hoffnung | |
> auf Fortschritt? | |
Bild: Warten und aussitzen - Alltag jedes Kubaners. | |
HAVANNA taz Mit quietschenden Reifen und klappernden Türen kommt der | |
bordeauxrot lackierte Bus an der Haltestelle an der 51. Straße Havannas zum | |
Stehen. Nur wenige Passagiere steigen aus dem alten, überfüllten Bus aus | |
holländischer Produktion. Mühsam ergattert sich Daneya Pérez einen | |
Stehplatz für die Fahrt ins Zentrum Havannas. Der Schaffner macht dem | |
Geschiebe und Gedränge ein Ende. Er weist drängelnde Fahrgäste ab, schließt | |
scheppernd die klapprigen Türen und gibt seinem Kollegen am Lenkrad Order | |
anzufahren. Mühsam, eine schwarze Abgaswolke hinter sich herziehend, fährt | |
der überladene Spendenbus aus dem Stadtverkehr von Enschede los. Genervt | |
blicken die Leute an der Haltestelle dem Bus hinterher. Es sind zu wenig | |
Busse im Einsatz, um die Bewohner der kubanischen Hauptstadt nach Hause zu | |
transportieren. Wie immer am Nachmittag in Havanna. | |
Daneya Pérez ist vom Haus ihrer Mutter im Stadtteil Marianao in die eigene | |
Wohnung in Centro Habana unterwegs. Eine mühselige Reise zwischen zwei | |
Stadtvierteln der 2,5-Millionen-Stadt. "Es ist ein Lotteriespiel, einen Bus | |
zu bekommen. Der Nahverkehr in Havanna ist eine echte Katastrophe", sagt | |
Daneya Pérez. An die schlimmste Zeit der Wirtschaftskrise Mitte der | |
90er-Jahre erinnert sie der derzeitige Transportnotstand. An fluchende und | |
fassungslose Kubaner an den Haltestellen. Wie heute. | |
Fidel Castro lacht. Die Regierung hat an den Ausfallstraßen der kubanischen | |
Hauptstadt Plakate kleben lassen. Und auf älteren Exemplaren strahlt Fidel | |
Castro sein Volk höchstpersönlich an. "Vamos Bien", steht auf den Plakaten. | |
Es geht voran. | |
Für Daneya Pérez geht es nicht voran in ihrem Heimatland. Die 32-jährige | |
Industriedesignerin ist arbeitslos und kann keinen Fortschritt erkennen. | |
Trotz der boomenden Wirtschaft. "Alles unverändert", entgegnet sie | |
gelangweilt und blickt aus dem Fenster, um die nächste Haltestelle in der | |
Calle Carlos Tercero nicht zu verpassen. Aufbruchstimmung, Dynamik oder gar | |
Euphorie ist in den Straßen Havannas trotz der knapp 30 Prozent | |
Wirtschaftswachstum der vergangenen drei Jahre nicht zu entdecken. | |
Darüber ärgert sich auch Juan de Marcos González. Der Musiker und | |
Plattenproduzent, der vor knapp zehn Jahren den berühmten Buena Vista | |
Social Club erst möglich machte, ist gerade aus Mexiko nach Havanna | |
gekommen und ist genervt von der Lethargie in seiner Heimatstadt. "Hier ist | |
vieles unglaublich umständlich, ineffizient und teuer. Ich zahle Preise wie | |
in Hamburg, erhalte aber den Service von Burkina Faso", schimpft er und | |
schüttelt die langen, graumelierten Rastalocken. | |
Der Musikproduzent schlägt sich mit der lausigen Qualität des Internets in | |
Kuba herum. Im Monat zahlt der Chef des Plattenlabels DM Ahora umgerechnet | |
190 Euro für den Service, doch große Datenpakete, zum Beispiel digital | |
aufbereitete Musikstücke, kann er nicht empfangen. Selbst die hoch | |
auflösenden Bilder für das Cover der letzten CD von Temary, einer | |
kubanischen Rapperin, konnte der Musikproduzent in Havanna nicht empfangen. | |
"Dafür bin ich extra nach Cancún geflogen", sagt der 53-Jährige | |
kopfschüttelnd. Die hohen Kommunikationskosten und lahmen Leitungen zwangen | |
ihn, sein Büro nach Mexiko-Stadt zu verlegen, obwohl er nahezu | |
ausschließlich mit kubanischen Musikern arbeitet. Am liebsten würde der | |
überzeugte Patriot in Havanna seinen Geschäften nachgehen, doch unabhängige | |
kubanische Unternehmer sind im Wirtschaftsmodell der Insel nicht | |
vorgesehen. Also nimmt Juan de Marcos González seine Musiker in Havanna auf | |
und jettet dann nach Mexiko-Stadt - oder nach London, weil dort der | |
Vertrieb seines Labels organisiert wird. Ein kostspieliges Vergnügen, doch | |
zentralisierte, hyperbürokratische und oftmals ineffiziente Strukturen auf | |
der Insel lassen ihm kaum eine andere Chance. | |
Juan de Marcos González hat noch Hoffnung, dass es auch anders gehen | |
könnte. Er setzt auf Raúl. Der fünf Jahre jüngere Bruder Fidel Castros gilt | |
als Anhänger des chinesischen Modells und effizienter Strukturen. Und das | |
Wort Effizienz ist in den vergangenen Monaten wieder in den kubanischen | |
Wortschatz aufgenommen worden. Das zeigt die kubanischen Presse, die wieder | |
Korruption, schlechten Service und kontraproduktive Wirtschaftsstrukturen | |
geißelt. Das zeigen auch erste Gesetze. So können seit Jahresbeginn | |
Arbeiter wegen mangelnder Effizienz entlassen werden. Bei häufigen | |
Verspätungen. Oder bei "betriebsfremder Beschäftigung". Ein Novum in der | |
kubanischen Arbeitswelt, wo es durchaus üblich ist, das ein oder andere | |
während der Arbeitszeit zu erledigen. "Das hat sich im Laufe der Jahre | |
eingebürgert, denn kaum ein Kubaner kann doch von den Löhnen leben, die der | |
Staat ihm zahlt", sagt ein Rentner, der in der Calle Infanta Zigaretten | |
verkauft, um seine karge Rente aufzubessern. | |
In den Straßen ist das Missverhältnis zwischen den Preisen für die Güter | |
des täglichen Bedarfs und den Löhnen schon lange kein Thema mehr. Seit über | |
15 Jahren leben die Kubaner damit. Die Folgen für die Wirtschaft liegen auf | |
der Hand: "Daraus resultiert die niedrige Arbeitsmoral in den | |
Staatsunternehmen, die sich in einer extrem niedrigen Produktivität | |
niederschlägt", gibt Omar Everleny vom Forschungsinstitut der kubanischen | |
Wirtschaft (CEEC) freimütig zu. | |
Kritik ist derzeit durchaus erwünscht in Kuba. Raúl Castro ist es müde, | |
"die ewigen Rechtfertigungen zu hören", stellte er im Dezember vergangenen | |
Jahres vor dem Parlament klar. Und auf solchen Aussagen des kleinen Bruders | |
von Fidel beruht die Hoffnung vieler Kubaner der älteren Generation. Etwas | |
mehr Lebensqualität, eine bessere Versorgung mit Nahrungsmitteln, ein wenig | |
privatwirtschaftliche Perspektive. Das verspricht sich der ausgebildete | |
Ökonomen und praktizierende Zimmervermieter Oscar Alberto Mundos vom | |
76-jährigen Raúl. | |
Relativ bescheidene Wünsche, die Mundos äußert. Doch so langsam ist der | |
Mittfünfziger mit dem buschigen Schnurrbart irritiert, dass den Signalen | |
des Interimsstaatschefs noch keine Taten folgten. Die im Dezember 2006 | |
angekündigte Reform im Agrarsektor, dem Sorgenkind der Wirtschaft Kubas, | |
ist bisher ausgeblieben. Die Maxime heißt weiter: warten. | |
Die Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in Havanna überrascht das nicht. | |
Alle Welt wisse, dass der mehr und mehr genesende Fidel Castro erklärter | |
Gegner einer Flexibilisierung der Besitzverhältnisse im Agrarsektor ist. | |
Als heilige Kuh gilt nicht nur die ineffektive Milchwirtschaft, sondern | |
auch die Bodenfrage. Und gegen die Überzeugungen des großen Fidel, dessen | |
erster Auftritt nach schwerer Krankheit bei den Revolutionsfeiern am 26. | |
Juli erwartet wird, gegen den Máximo Líder wird der kleine Raúl schwerlich | |
regieren. Einschätzungen, die auch Gabriel Calaforra teilt, der einstige | |
kubanische Diplomat und heutige Kritiker der Regierung. "Wir leben in einer | |
Übergangsphase ohne Ziel", sagt der schmächtige Mann mit den trüben Augen. | |
Seit Monaten wartet er auf eine Augenoperation, um wieder besser sehen zu | |
können. "Doch die Wartelisten sind lang, weil in den Augenkliniken | |
Patienten aus den Bruderländern Venezuela, Bolivien oder Nicaragua derzeit | |
Vorrang haben", schimpft William, Philosophiestudent an der Uni von | |
Havanna, der regelmäßig bei Exbotschafter Calaforra vorbeischaut. | |
Calaforra kritisiert die Verhältnisse auf der Insel mit sanfter, aber | |
nachdrücklicher Stimme. Er sorgt sich nicht um die eigene Zukunft, sondern | |
um die der gut ausgebildeten Jugend. "Arbeit mit Perspektive hat die | |
Regierung kaum anzubieten", ärgert sich der alte Diplomat. Studenten wie | |
William erhalten zwar ein karges staatliches Stipendium, aber die Zahl | |
derer steigt, die bessere Perspektiven im Ausland als im Inland sehen. | |
Zu ihnen gehört auch Lázaro, Kellner im Nerei, einem bekannten privaten | |
Restaurant in Havanna. Mit dem Lohn von umgerechnet gut 100 US-Dollar | |
finanziert der angehende Jurist sein Studium in Kuba. Bessere Perspektiven | |
als in seinem Heimatland sieht er aber in den USA. "Dort haben gut | |
ausgebildete Kubaner bessere Chance und mein Englisch ist schon recht gut", | |
sagt der 24-Jährige selbstbewusst. | |
Lázaro ist kein Einzelfall. Seit 1999 haben über 250.000 Menschen die Insel | |
verlassen. Im Schnitt rund 35.000 Menschen pro Jahr. Die meisten Emigranten | |
sind jung und hochqualifiziert, bestätigen die Wissenschaftler vom | |
Forschungsinstitut der kubanischen Wirtschaft (CEEC). "Abstimmung mit den | |
Füßen" heiße das in Havanna lapidar, erzählt Daneya Pérez und lässt die | |
Beine von der Mauer an Havannas Uferpromenade, dem Malecón, baumeln. | |
Auch die 32-Jährige will weg. Nach Mexiko oder Spanien, um sich dort ein | |
neues Leben aufzubauen. Wie sie es dorthin schaffen soll, das weiß sie noch | |
nicht. Sie sagt nur: "Das ist doch der zweite Schritt." | |
11 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kuba: Ein Jahr fast ohne Castro | |
Vor fast 12 Monaten hat Fidel Castro alle seine politischen Ämter abgeben. | |
Seitdem sich in Kuba weniger geändert, als viele erhofft und andere | |
befürchtet hatten. |