| # taz.de -- Hochschule: Das Programm Selbstverblödung | |
| > Mit BODO ZEUNER tritt einer der letzten Professoren des Berliner | |
| > Otto-Suhr-Instituts aus der 68er-Bewegung ab. In seiner | |
| > Abschiedsvorlesung formuliert er scharfe Kritik am Strukturwandel der | |
| > Universitäten. | |
| Bild: Die FU Berlin - Hier hsben die 68er den Marktradikalen das Feld überlass… | |
| Im November vergangenen Jahres wurde die Freie Universität Berlin vom | |
| Wirtschaftsmagazin karriere und dem Prognos-Institut zur | |
| "unternehmerischsten Hochschule" des Landes gekürt, weil sie mehr denn jede | |
| andere "nicht verwaltet, sondern gemanagt" werde und am stärksten nach | |
| finanzieller Unabhängigkeit von staatlichen Stellen strebe. Dieter Lenzen, | |
| der Präsident der FU, durfte sich darüber freuen, dass sein "Kurs zur | |
| unternehmerischen Gestaltung der Universität gerade in Zeiten knapper | |
| Kassen Bestätigung" finde. | |
| Präsident Lenzen ist nicht nur eine Art Chefmanager, er ist auch | |
| Fördermitglied der vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanzierten | |
| "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", eines neoliberalen Think-Tanks, | |
| der öffentliche Diskurse steuert und an einer ideologischen Deutungshoheit | |
| im Sinne seiner Auftraggeber arbeitet. Nach traditionellen Maßstäben müsste | |
| sich jeder, der in den Verdacht gerät, die Wissenschaft in den Dienst eines | |
| solchen Propagandaapparats zu stellen, für das Amt eines | |
| Universitätspräsidenten disqualifizieren. Herr Lenzen aber ist ein | |
| ehrenwerter Mann, in diesem Jahr wurde er mit wenigen Gegenstimmen | |
| wiedergewählt. Das zeigt einen Normwandel hinsichtlich dessen an, was | |
| Universität sein und wozu sie dienen soll. | |
| Das Ziel dieses Wandels ist es, Hochschulen zu schaffen, die privat | |
| nutzbare und auf dem Markt veräußerbare Waren produzieren. Also werden die | |
| Studierenden zu Kunden umdefiniert, die verwendbare Qualifikationen und | |
| entsprechende Zertifikate nachfragen und diese mit Studiengebühren | |
| bezahlen. Auch die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse orientiert | |
| sich an der zahlungskräftigen Nachfrage, im Wesentlichen "der Wirtschaft" | |
| und "der öffentlichen Hand". Schließlich wird die staatliche Aufsicht | |
| privatisiert, indem etwa in Nordrhein-Westfalen das Centrum für | |
| Hochschulentwicklung der Bertelsmann-Stiftung ein | |
| "Hochschulfreiheitsgesetz" konzipiert und zugleich vom | |
| "Innovationsminister" Andreas Pinkwart (FDP) mit der "Umsetzung" dieser | |
| "Hochschulfreiheit" beauftragt wird. | |
| Begleitet wird diese "Reform" von der Konstruktion eines nationalen und | |
| globalen Systems der marktförmigen Konkurrenz, etwa durch den hierzulande | |
| seit zwei Jahren inszenierten "Exzellenzwettbewerb", ein ruinöses Rennen um | |
| das künstlich verknappte Gut "Exzellenz" und den Titel "Eliteuniversität", | |
| der von der Unterfinanzierung der wissenschaftlichen Forschung ablenken | |
| soll. Der Witz bei dieser Marktunterwerfung ist, dass sie selbst dann | |
| funktioniert, wenn kein realer Markt existiert, auf dem Güter und | |
| Dienstleistungen gegen Geld getauscht werden. Eine Industrie von Ranking- | |
| und Evaluierungsfirmen versucht, einen Markt zu simulieren, auf dem die | |
| einzelnen Universitäten erbittert und besinnungslos um Anteile und | |
| Positionen kämpfen. | |
| Umgewandelt wird auch die Binnenstruktur. Ich spreche von | |
| "Unternehmisierung" und nicht von "Verbetriebswirtschaftlichung", denn | |
| gegen gute Betriebsführung wäre nichts einzuwenden. Wie miserabel es um die | |
| Betriebsführung der FU Berlin bestellt ist, hat nicht erst die Einführung | |
| des Registrierungssystems "Campus Management" gezeigt. Dass sie trotzdem | |
| zur "unternehmerischsten Hochschule" ernannt wird, verdankt sie allein dem | |
| Umstand, dass sie sich der Unternehmisierung besonders verschrieben hat. | |
| Was das neue Leitbild "Unternehmen Hochschule" bedeutet, lässt sich gut am | |
| Vergleich mit den vorangegangenen Modellen zeigen. Die Humboldtsche | |
| Gelehrtenrepublik war getragen vom Vertrauen in eine Wissenschaft, die | |
| ihren Wert in sich trägt, die Forschung und Lehre miteinander verknüpft und | |
| damit den Professoren eine allein durch die dienstrechtliche Aufsicht des | |
| Staates eingeschränkte Autonomie garantierte. Die gegen den "Muff unter den | |
| Talaren" erkämpfte Gruppenuniversität beschnitt die Privilegien der | |
| selbstherrlichen Professoren durch die Mitbestimmung der wissenschaftlichen | |
| Mitarbeiter und der Studierenden, behielt aber die professionelle und | |
| fachliche Autonomie bei. Das "Unternehmen Hochschule" koppelt die | |
| Produktion von Wissenschaft und die Ausbildung an den Markterfolg und | |
| übernimmt die Struktur eines Unternehmens. | |
| Ein Instrument dieser - am Hochschulgesetz vorbei durchgeführten "Reform" - | |
| ist eine "Doppelstruktur", wie sie an der FU unter Präsident Lenzen | |
| etabliert wurde. Dort existiere seit vier Jahren, heißt es in dem Papier | |
| "FU-Zukunftskonzept 2007", das er im Mai vorlegte, "neben der Struktur der | |
| für die akademischen Angelegenheiten, insbesondere die Lehre, zuständigen | |
| Fachbereichsstruktur eine Clusterstruktur der Forschungsschwerpunkte". | |
| Darin obliege die "Organisation des Prozesses" einer "Stabsgruppe des | |
| Präsidenten", die zudem für die Evaluation zuständig sei. | |
| Mit dieser zweiten Struktur wird nicht nur die Einheit von Forschung und | |
| Lehre aufgekündigt, sie entzieht sich zugleich der akademischen | |
| Selbstverwaltung. Stattdessen wird die FU vom präsidialen Chefmanager und | |
| einem von ihm eingesetzten "Stab" aus auswärtigen Kommissaren geführt. Das | |
| entspricht den Vorstellungen der Präsidentin der | |
| Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, die "eine umfassende | |
| Entscheidungsbefugnis" für das "Leitungspersonal" fordert und die Gremien | |
| der akademischen Selbstverwaltung auf Beratung und Kontrolle beschränkt | |
| wissen möchte. Gremien ohne Entscheidungsbefugnisse aber verdienen nicht | |
| mehr den Namen "Selbstverwaltung". Sie wird ersetzt durch die Diktatur des | |
| Managements. | |
| Gewiss ist "Diktatur" ein böser Vorwurf. Das gilt allerdings nur, wenn von | |
| Politik, vom Gemeinwesen, die Rede ist. Wirtschaftsunternehmen wird | |
| gewöhnlich keine diktatorische Verfassung vorgeworfen. Nur wer den | |
| Wirtschaftsbetrieb nicht nur als Veranstaltung zur Profitmaximierung der | |
| Kapitaleigner versteht, sondern auch als Gemeinwesen, kann den Gegenbegriff | |
| zur Diktatur - die "Demokratie" - in die Debatte einführen. Nun klingt der | |
| Begriff "Gemeinwesen" selbst in der Politikwissenschaft etwas altmodisch. | |
| Dennoch finde ich ihn nützlich, weil er den Unterschied zum privaten | |
| Wirtschaftsunternehmen deutlich macht. Dessen oberstes Ziel ist, seine | |
| Produkte zu verkaufen und dadurch Gewinne zu erzielen. Ein Gemeinwesen | |
| hingegen produziert öffentliche Güter oder erbringt Leistungen, die dem | |
| Gemeinwohl, dem Wohl größerer und kleinerer Personengruppen dienen. | |
| Was als Gemeinwohl und als öffentliches Gut verstanden wird, ist in einem | |
| Gemeinwesen für gewöhnlich unter den Beteiligten umstritten. Deshalb | |
| zeichnet es sich durch eine politische Struktur aus, die es ermöglicht, | |
| unterschiedliche Vorstellungen diskursiv zu klären und verbindliche | |
| Entscheidungen zu treffen, die die unterschiedlichen Wertorientierungen und | |
| Interessen anerkennen. Eine Universität, die sich als Gemeinwesen versteht, | |
| wird sich einem öffentlichen Auftrag verpflichtet fühlen und sich über den | |
| Inhalt dieses Auftrags streiten: Mehr Leistungsdruck oder mehr | |
| Entwicklungsmöglichkeiten für die Studierenden? Mehr Qualifikation zu | |
| kritischem Denken oder mehr Anpassung an das Beschäftigungssystem? Mehr | |
| Grundlagen- oder mehr Anwendungsforschung? Solche Fragen wird die | |
| Universität nicht allein entscheiden dürfen, sondern dem Staat als Ausdruck | |
| des die ganze Gesellschaft umfassenden Gemeinwesens einbeziehen müssen. | |
| Eine Universität nach dem Modell des Privatunternehmens hingegen wird ihre | |
| Tätigkeiten dem Markterfolg unterordnen. Interner Streit mag noch | |
| stattfinden, aber er wird durch den Vorrang des Markterfolgs | |
| entsubstanzialisiert. Grundlagenforschung? Studienziel kritische Kompetenz? | |
| Frauenförderung? - Schon recht, solange der Markt es nicht bestraft! Eine | |
| Universität als Gemeinwesen hingegen hat die Orchideenfächer, die | |
| Grundlagenforscher und die Systemkritiker wegen ihres Eigenwerts für die | |
| Wissenschaft zu fördern. Das "Unternehmen Hochschule", für das die FU | |
| Berlin stolz voranschreitet, bricht also nicht nur mit den früheren | |
| Strukturmodellen, sondern ist darüber hinaus ein Versuch, sich den | |
| Anforderungen zu entziehen, die sich an die Universität als ein Gemeinwesen | |
| stellen. | |
| Es war die Berliner Politikwissenschaft, das Otto-Suhr-Institut, das im | |
| Jahr 1968 als erste universitäre Einrichtung in Deutschland die | |
| Mitbestimmung einführte. Zugleich wurde in der Institutssatzung notiert: | |
| "Das Institut untersucht in Forschung und Lehre die Gestaltung des | |
| öffentlichen Lebens unter empirisch-analytischen und normativen Aspekten; | |
| es erarbeitet damit die Voraussetzungen für die Erweiterung von Freiheit | |
| und Selbstbestimmung in allen Bereichen der Gesellschaft." Heute | |
| bescheinigt selbst Herr Lenzen dem Otto-Suhr-Institut im Hinblick auf die | |
| Werbung von Drittmitteln, die Absolventenzahlen und die Promotionen die | |
| "beste Performance" aller Fächer der FU. Allerdings stand bei diesen | |
| Indikatoren OSI schon lange vor den New-Management-Reformen relativ gut da. | |
| Das aber hat damit zu tun, dass sich am OSI ein dem Gemeinwesens | |
| verpflichteter wissenschaftlicher Ethos lange erhalten hat. Lenzen und die | |
| Seinen stehen für den marktradikalen Bruch mit diesem Ethos. "Ich kann nur | |
| hoffen", sagte er zu Beginn des "Exzellenzwettbewerbs", dass wir nicht noch | |
| einmal in eine Grundsatzdebatte über die Funktion der Hochschulen | |
| hineingezogen werden. Wir müssen in den nächsten zwei Jahren alle Kräfte | |
| auf den Exzellenzwettbewerb konzentrieren. Daher kann ich nur appellieren, | |
| das Thema ein für alle Mal zu beenden und die Wettbewerbsfähigkeit der | |
| Berliner Universitäten nicht weiter zu gefährden." Dies aber ist nicht | |
| weniger als ein Angriff auf intellektuelle Selbstreflexion, auf kritische | |
| Wissenschaft überhaupt. Selbstreflexion, Selbstzweifel gar, gefährdet die | |
| Marktchancen des Unternehmens. Deshalb möchte Lenzen solche | |
| Grundsatzdebatten unterbinden, und zwar "ein für alle Mal". Warum? Weil die | |
| Konkurrenz ewig weitergehen wird. Schon vor sechs Jahren haben kluge | |
| Beobachter der französischen Szene diese Haltung als "Anwachsen eines | |
| wahrhaftigen Antiintellektualismus" unter Akademikern und Professoren | |
| beschrieben. | |
| Alle Maßnahmen zur Entmachtung der demokratisch gewählten Gremien wurden | |
| von ihnen selbst beschlossen. Sie waren wohl davon überzeugt, dass "mehr | |
| Warenproduktion, mehr Wettbewerb, mehr Herrschaft des Managements" besser | |
| sei als ihre eigene Mitbestimmung. Insofern gibt es Parallelen zu | |
| Deutschland im Jahre 1933, als sich die Demokratie selbst abschaffte, weil | |
| die Demokraten zu schwach waren und sich die öffentliche Stimmung gegen die | |
| Demokratie richtete. Nicht die Folgen, wohl aber die Mechanismen der | |
| Nichtverteidigung der Demokratie, der Abdankung von Selbst- und | |
| Mitbestimmung aus Karrieregründen und Charakterlosigkeit, sind ähnlich. Ich | |
| meine diesen Vergleich auch selbstkritisch: Wir, meine Generation von | |
| Wissenschaftlern, von 68ern, haben es nicht geschafft, die demokratische | |
| Universität, die wir schon erkämpft zu haben glaubten, zu bewahren. Wenn | |
| ich der Humboldtschen Professorenrepublik vorwerfe, sich widerstandslos | |
| oder gar bereitwillig dem Nationalsozialismus an den Hals geworfen zu | |
| haben, werfe ich der von meiner Generation bestimmten Gruppenuniversität | |
| vor, sich in den Neunzigerjahren widerstandslos ihrer Unternehmisierung | |
| gebeugt zu haben. | |
| Freilich birgt diese innere Widersprüche: Eine Wissenschaftsproduktion | |
| etwa, die das Streben nach Wahrheit dem Markterfolg unterordnet, könnte | |
| ihren eigenen Gebrauchswert ruinieren, wie die Abdrängung der | |
| professionellen Autonomie Kreativität und Produktivität gefährden könnte. | |
| Die Agenturen des Controllings, Monitorings etc. könnten sich selbst als | |
| überwachungs- und regulierungsbedürftig erweisen. Auch könnte es sein, dass | |
| es nicht alle Dekane als Ehre betrachten, wie ein Bereichsleiter bei | |
| Mercedes behandelt zu werden. Studierende schließlich, die für eine | |
| schlechte Lehre bezahlen müssen, könnten darauf mit einer größeren Wut | |
| reagieren. Das bietet zwar Anlass, das Funktionieren des Projekts zu | |
| bezweifeln, doch wäre es voreilig, aus den Widersprüchen die Hoffnung auf | |
| eine demokratische und wissenschaftsgerechte Umkehrung abzuleiten. | |
| Denn zum einen drängen die Widersprüche nicht alle in dieselbe Richtung. | |
| Studierende etwa, die sich darüber empören, zu wenig Karrieretaugliches zu | |
| lernen, werden deshalb nicht mehr kritische Wissenschaft fordern, sondern | |
| eine noch marktgerechtere Ausbildung. Zweitens kann das System darauf | |
| verweisen, dass alle Unzulänglichkeiten durch noch mehr Wettbewerb, | |
| Kundenorientierung und Management behoben werden könnten. Das Scheitern der | |
| ersten "Reform" gebiert die nächste, wie es überhaupt ein Kennzeichen der | |
| marktradikalen Ideologie ist, dass sie auf den empirischen Beweis ihres | |
| Versagens mit der Forderung nach "noch mehr Markt" reagiert. Drittens wäre | |
| es falsch, dem Wissenschaftssystem ein besonders kräftiges | |
| Widerstandspotenzial zu unterstellen. Und selbst wenn die Widersprüche zu | |
| Widerstand führen sollten, könnte sich die Umstrukturierung als unumkehrbar | |
| erweisen. | |
| Dagegen spricht, dass man einmal getroffene politische Entscheidungen | |
| erneut zur Debatte stellen kann. Schließlich geht es in der Bildungspolitik | |
| in besonderer Weise um Subjektives, um Wissen, Denken, Überzeugungen. Es | |
| kommt also darauf an, wer die Deutungshoheit hat. Schließlich wurde die | |
| neoliberale Deutungshoheit erst in den Achtzigerjahren errungen, zuvor | |
| betrachteten auch die Konservativen die Wissenschaft als öffentliches Gut - | |
| und versuchten, es gegen eine vermeintliche Eroberung von links zu | |
| verteidigen. | |
| Ein weiteres Ziel des Programms zur Ökonomisierung der Wissenschaft scheint | |
| mir zu sein, die Studentinnen und Studenten, dieses in jeder Gesellschaft | |
| immer wieder nachwachsende Potenzial an Kritik und zuweilen auch an | |
| Rebellion, dauerhaft karrieristisch ruhigzustellen. Da die Nachfrage nach | |
| akademischer Qualifikation im Beschäftigungssystem prinzipiell nicht | |
| vorhersagbar ist, lässt sich auch die karrieristische Kalmierung nicht | |
| reibungslos planen. Sie wird auch darum nicht gelingen, weil die | |
| Studierenden, jedenfalls in den Wissenschaften, deren Aneignung nur mit | |
| selbstständigem Denken der Lernenden funktionieren kann, nicht daran zu | |
| hindern sind, über gesetzte Grenzen hinauszudenken. | |
| Gleichwohl wird mit dem Ziel studiert, die eigenen Berufs- und | |
| Karrierechancen zu verbessern. Mag das bei den Studierenden noch zu einem | |
| ambivalenten Selbst- und Lebensverständnis von einerseits | |
| Altruismus/Solidarität und andererseits individuellem Karrierestreben | |
| führen, ist bei ihren akademischen Lehrern diese Ambivalenz fast immer | |
| zugunsten der Karriere aufgelöst. Bei den Universitätswissenschaftlern | |
| besteht eine strukturbedingte Unfähigkeit zu solidarischem Handeln. Ihnen | |
| wird im Zuge ihres Aufstiegs Konkurrenz ansozialisiert. Die Regel unter | |
| ihnen sind nichtsolidarische Gruppenzusammenschlüsse prekärer Art, nämlich | |
| Seilschaften und Zitierkartelle. Und wer siegreich aus diesem Kampf | |
| hervorgegangen ist, wird das Konkurrenzsystem für gerecht, und, wenn er | |
| besonders bequem denkt, sogar für "objektiv" halten. In der Wissenschaft | |
| aufgestiegene Menschen sind daher im Allgemeinen sozial viel dümmer als | |
| etwa Fabrikarbeiter, die durch Erfahrung lernen, dass es ihnen schlechter | |
| geht, wenn sie nur für sich ihr Glück versuchen. | |
| Es ist nicht unmöglich, dass sich Wissenschaftler solidarisch verhalten, es | |
| ist eben nur im geringen Maße wahrscheinlich. Diese Wahrscheinlichkeit | |
| steigt, wenn Solidarität als soziale Norm auch in anderen | |
| gesellschaftlichen Bereichen wieder an Geltung gewinnt. Und wenn | |
| Wissenschaftler, die wissen, dass jede Gesellschaft Solidarität braucht, | |
| diese Einsicht auf sich selbst beziehen; wenn die Studierenden sich dagegen | |
| wehren, in eine brutalen Konkurrenz getrieben zu werden, und am Anspruch | |
| einer universal-menschenrechtlich ausgerichteten Solidarität festhalten. | |
| Doch der Kampf gegen die marktradikale Deutungshoheit kann weder allein an | |
| der Universität noch in einem Land allein geführt werden. | |
| Es geht bei diesen Reformen nicht nur um Verwaltungsfragen, es geht um den | |
| Charakter der Wissenschaft. Sie kann sich nicht völlig den Schuh- oder | |
| Automobilproduzenten angleichen, denn sie unterliegt dem | |
| Wahrheitskriterium, während Schuhe und Autos nur nützlich sein müssen. Die | |
| Bindung an das Streben nach Wahrheit macht den spezifischen Gebrauchswert | |
| der Wissenschaft aus und verleiht ihren Produkten Würde und Autorität. Und | |
| sie erst begründet das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit. | |
| 16 Jul 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Bodo Zeuner | |
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