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# taz.de -- Festival: New Look in Avignon
> An ihre einstige enge Verbindung erinnern auf dem Festival in der
> Papststadt Avignon gleich zwei Installationen der Nouvelle-Vague-
> Filmemacherin Agnes Varda
Bild: Die Regisseurin Agnes Varda ist in Avignon als Installationskünstlerin v…
Vielleicht ist die Vergangenheit so präsent wie lange nicht mehr auf dem
Festival von Avignon in seiner sechzigsten Ausgabe. 1948, das Festival war
gerade ein Jahr alt, war sie schon in Avignon dabei: Agnès Varda, damals
als junge Festivalfotografin. Bevor sie 1961 mit "Cléo de 5 à 7" zum Kino
wechselte und zur "Großmutter der Nouvelle Vague" wurde, fotografierte
Varda zahlreiche Reportagen im In- und Ausland. Sie fing Proben- und
Aufführungs-Momente des entstehenden Festivals (und später des Théâtre
National Populaire im Pariser Palais de Chaillot) mit ihrer distanzierten
und zugleich involvierten, engagierten Optik ein. In der Chapelle
Saint-Charles in Avignon zeigt sie jetzt eine Auswahl dieser
Festival-Erinnerungen der ersten Jahre, von 1949 bis 1955, in einer schönen
Installation: "Je me souviens de Vilar en Avignon".
Es sind diese Momente, die auch heute noch "Klick" machen, einen
blitzartigen Einblick auslösen in eine ferne Zeit. Jeanne Moreau als
Nathalie, Gérard Philippe auf einem Fünf-Meter-Portrait als Prinz von
Homburg in der ganzen Schönheit der Legende. Man sieht alte Theaterformen
und empfindet doch eine ganz frische, neue Energie, einen Aufbruch.
1947, im Jahr der Gründung: Der Krieg ist vorbei, die Vierte Republik jung
und voller Versprechen, die moderne Frau beschwingt von Christian Diors
"New Look" - es ist eine Stunde der neuen Formen. 1947 stellten Yvonne und
Christian Zervos im Papstpalast von Avignon eine Gruppe von
Gegenwartskünstlern aus - Picasso, Braque, Matisse, Léger - und wünschten
sich dazu Theater. René Char, der Provenzale, Surrealist und Résistant,
stellte ihnen den jungen Regisseur Jean Vilar vor. Der verliebte sich
gleich in die hohen Mauern der "Cour dhonneur", die langgezogene
Bühnenfront, den hohen Provencehimmel darüber, und erkannte darin die
ideale Szenerie für sein zukünftiges "Théâtre national populaire". Das
Theater sollte nun "national" sein, nämlich mit dem Gesellschaftsvertrag
befasst, und "populaire", ein Theater des Volkes. Ein anderes Theater als
das verschlossene der Pariser Nationaltheater, zeitgenössisch, wach, an der
frischen Luft. Zu der jungen Truppe gehörten Jeanne Moreau, Maria Casarès,
Michel Bouquet und manch andere spätere Berühmtheit. Und der jugendliche
Held der Helden: Gérard Philippe, dessen Cid, dessen Homburg noch heute
unvergessen sind.
Außer der Überfülle an Theater gibt es in Avignon zur Festspielzeit (bis
Ende Juli) immer auch kleine Ausstellungen, von denen die große Agnès Varda
dieses Jahr gleich zwei besorgt hat. Neben den Vilar-Souvenirs ist dies
ihre "Hommage aux Justes de France", entstanden im Januar in Paris für das
Panthéon, die nun in einer alten Spiegelfabrik einen weniger feierlichen,
weniger drückenden Rahmen findet als das Panthéon, den "Tempel der
Republik". Er kommt Agnès Vardas Intention entgegen: Sie wollte keine
feierliche Zeremonie schaffen zur Erinnerung an die "Gerechten", die
während der Zeit der deutschen Besetzung in Frankreich Juden, häufig
Kindern, das Leben retteten, unter Einsatz ihres eigenen, sondern sie
wollte ihrer in einer Installation gedenken. Fotos auf einem kaum erhöhten
Podest erinnern an Gesichter und Namen und die namenlosen Vergessenen; ein
Kurzfilm von zehn Minuten rekonstruiert kurze Szenen, Fragmente, auch aus
Filmen wie "La Colline aux mille enfants" von Jean-Louis Lorenzi oder
"Jacquot de Nantes" von Varda, die die Taten der "Justes de France" in
Erinnerung rufen.
"Es gibt eine doppelte Distanz", sagt Agnès Varda, "diejenige in der Zeit,
mehr als sechzig Jahre nach den Geschehnissen, und die einfache Distanz des
fragmentierten Blicks." Seit ihrer Teilnahme an der Biennale von Venedig
2003 macht Varda vermehrt auch Ausstellungen. "Das erlaubt etwas, was im
Kino nicht möglich ist: eine relative Aufhebung der klassischen
Inszenierung, indem der Zuschauer teilnimmt."
In Avignon an die Gerechten zu erinnern, ist freilich doppelt zwingend.
Avignon war eine Hochburg der Résistance; und es ist kein Zufall, dass
Leute wie Char, Vilar, Varda nach dem Krieg im Süden Frankreichs den
Aufbruch versuchten. René Char schrieb in der Résistance eines seiner
wichtigsten Werke, "Les feuillets dHypnos", manchmal lyrische, manchmal
lakonische Notizen aus dem Maquis. Frédéric Fisbach hat sie in diesem Jahr
mit Laien aus der Region auf die Papstpalast-Bühne gebracht, und auch da
überzeugt die Installation, die Idee, mehr als die Inszenierung. Ihr fehlt
jene ästhetische Widerständigkeit, die die Arbeit von Avignons Großmutter,
Agnès Varda, ob in Filmessays, Spielfilmen oder Installationen, stets
ausgezeichnet hat und die auch in anderen eingeladenen Produktionen des
Festivals zu spüren ist.
18 Jul 2007
## AUTOREN
Andreas Klaeui
## TAGS
Agnès Varda
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