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# taz.de -- Marine: Landeinsatz vom offenen Meer
> Die Bundesregierung will die Marine zum Expeditionskorps machen und
> stattet sie mit neuen Fregatten aus. Vom Bau der Schiffe profitieren die
> Werften, von ihrem Einsatz auch Ölkonzerne.
Bild: Korvettenbesatzung: Demnächst als Beschützer der Ölkonzerne aktiv
HAMBURG taz Sie versammelten sich zwar und konferierten einige Stunden nach
parlamentarischem Brauch. Aber ebenso gut hätten die 45 Mitglieder im
Haushaltsausschuss des Bundestages Schiffeversenken spielen können. Der
Kauf von vier Fregatten des neuartigen Typs F 125 für die deutsche Marine
stand am 20. Juni 2007 auf ihrer Tagesordnung. Realiter war die
Entscheidung über das milliardenschwere Rüstungsprojekt längst gefallen.
Der Führungsstab der Streitkräfte im Verteidigungsministerium konnte nicht
an sich halten: Eine Pressemitteilung verkündete die Billigung des
Bauvertrags über 2,6 Milliarden Euro, noch während die Abgeordneten tagten.
Wie emphatisch die Realisierung des Kaufs der modernen Kriegsschiffe
verfolgt wurde, offenbaren die industriefreundlichen Vertragsklauseln
(siehe Kasten). Der Ausschuss billigte sie - mit Segen aus dem Kanzleramt.
Denn bis dorthin sei über die Auftragsvergabe diskutiert worden, sagt der
Grünen-Haushälter Alexander Bonde. Am 26. Juni unterschrieb das Bundesamt
für Wehrtechnik und Beschaffung die Verträge mit dem Werftenverbund um
Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) - öffentlich weitgehend unbeachtet.
Dabei handelt es sich keineswegs um einen Routine-Einkauf der Bundesmarine.
Die vier georderten Fregatten ersetzen ab 2014 keine ausgemusterten Schiffe
der Flotte, sondern ein ausgemustertes Aufgabenprofil. Die Zeiten, da Nord-
und Ostsee den Horizont der maritimen Landesverteidigung bildeten, sind
passé. Mit Großaufträgen ausgestattet, rüsten die deutschen Werften ihre
"Parent Navy" für den weltweiten Einsatz.
Bis zu zwei Jahre wird jede F 125 im Einsatzgebiet verweilen können, ohne
die Werft ansteuern zu müssen - ein Novum für deutsche Kriegsschiffe. Das
erspart zum einen die ständigen und kostenintensiven Transitfahrten
zwischen den Einsatzgewässern und dem Heimatstützpunkt. Andererseits
ermöglicht es dauerhafte Operationen auf den Weltmeeren. Mit an Bord wird
ein 50-köpfiges Kontingent von Spezialkräften sein. "Die Kooperation mit
dem Heer wurde bisher improvisiert", sagt Lutz Feldt, Vizeadmiral und
Inspekteur der Marine a. D. "Nun ist es möglich, Verbände mitzunehmen, die
das Schiff als Plattform benutzen."
Neben separaten Führungs- und Planungsräumen steht den Soldaten ausreichend
Stauraum für Waffen und Munition zur Verfügung. Vier Speedboote und zwei
Bordhubschrauber des nagelneuen Nato-Fregattentyps MH-90 können die
Kommandos ins Kriegsgebiet transportieren. Eine 70 Kilometer weit feuernde
Panzerhaubitze an Deck gibt ihnen noch im Binnenland die nötige
Rückendeckung. Weiterhin unterscheidet die F 125 von ihren
Vorgängermodellen der erhöhte Automatisierungsgrad. Die Hälfte der
Besatzung wird dadurch eingespart. Zudem soll ein computergestütztes
Waffensystem "asymmetrische Bedrohungen" aufspüren und bekämpfen. Was dem
US-Zerstörer "USS Cole" im Jahr 2000 im Hafen von Aden widerfuhr,
versprechen die automatisierten Zielerfassungssysteme der deutschen
Fregatte zu verhindern. Damals hatte al-Qaida mit einem Motorboot und einer
Sprengstoffladung das US-Schiff angegriffen und 17 Soldaten getötet; das
Schiff war fast zwei Jahre seeuntüchtig.
Marine wird Expeditionskorps
Wohin die zukünftigen Reisen der Bundesmarine führen, versuchte die
Bundesregierung im Oktober 2006 zu definieren. Sie veröffentlichte das
"Weißbuch zur Sicherheit Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr". In
der nationalen Verteidigungsfibel, die auf 149 Seiten die Weichen für eine
weltweit einsatzfähige Eingreifarmee stellt, lautet das Fahnenwort:
Transformation. Das Heer wird transformiert. Die Luftwaffe wird
transformiert. Um den "seewärtigen Bedrohungen unserer Sicherheit
entgegentreten zu können", so ist dort nachzulesen, "entwickelt sich die
Marine im Zuge der Transformation der Bundeswehr zu einer 'Expeditionary
Navy' ". Zu Deutsch: Expeditionsmarine.
Wenngleich das Verteidigungsministerium die Aufgabenfelder der Flotte mit
"Friedensstabilisierung" und "Konfliktverhütung" umschreibt - mit tausenden
Tonnen Krupp-Stahl und modernen Waffentechnologien -, materialisiert das
Rüstungsprojekt F 125 vor allem eines: die expansive Auslegung des Artikels
87 a, Absatz 1 des Grundgesetzes: "Der Bund stellt Streitkräfte zur
Verteidigung auf." Die Weißbuch-Doktrin verweist in dieser Frage auf die
"herausragende Rolle" der nordatlantischen Allianz, "des stärksten Ankers
der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik". In welchen
Dimensionen die kollektive Sicherheit künftig durchgesetzt werden soll,
daran lassen jüngste Aktivitäten im obersten Nato-Zirkel keinen Zweifel.
Ölindustrie verhandelt mit Nato
Jamie Shea ist im Nordatlantik-Bündnis der Direktor für politische Planung.
Seine Premiere hierzulande feierte er während des Kosovokrieges 1999. Man
müsse die deutsche Bevölkerung langsam wieder an Kriegsbeteiligungen
gewöhnen, forderte er - damals noch PR-Manager der Nato -, als die Nation
über Bombardements durch Bundeswehr-Tornados debattierte. Vor einigen
Wochen definierte Shea auf einem Kongress in London die künftigen Aufgaben
der Bündnis-Flotte: "In der Nato denken wir sehr aktiv darüber nach, wie
wir unsere Marinekräfte mit Ölkonzernen verbinden können", teilte er im
Privatbüro des Nato-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer mit, wie der
österreichische Rundfunk ORF und die Zeitung The Scotsman berichten.
Geladen waren Vertreter der Ölindustrie aus den Nato-Staaten. Man befände
sich bereits in Verhandlungen mit Shell, BP und den Ölförderländern Nigeria
und Katar, gab die Nato-Führung zu Protokoll. Erörtert werde die Entsendung
von Marine-Eingreifverbänden nach Afrika, Asien und in den Mittleren Osten
zur Bekämpfung von Terrorangriffen auf Pipelines, Piraterie oder
Geiselnahmen von Mitarbeitern der Konzerne. Eine Nato also, die zukünftig
als weltweit operierende Schutztruppe der Erdölkonzerne auftritt. Neunzig
Prozent der Welthandelsgüter finden ihr Ziel über den Seeweg -
Energierohstoffe bilden da keine Ausnahme.
Dass die Aufrüstung der deutschen Marine die "Stabilität der
Handelsschifffahrt" weltweit zum Ziel hat, untermauert die
Wehretatberichterstatterin Susanne Jaffke (CDU) gegenüber der taz und
erklärt zu den Fregatten: "In Regionen, wo Schmuggler und Anarchisten
unterwegs sind, muss für Abschreckung und Disziplinierung gesorgt werden."
Die Versicherungspolicen der Reedereien würden ohne diesen Schutz in Höhen
steigen, die den freien Seehandel gefährden. "Im Verbund von Nato und UN
sind das unsere künftigen Aufgaben", sagt Jaffke. Als neuartiger
Kommandostand auf See verleihe die F 125 der Marine die dafür notwendige
Kompetenz. Und im Falle von Geiselnahmen könnten Evakuierungsmissionen in
Kriegsgebieten endlich eigenständig durchgeführt werden.
Während der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Paul Schäfer, die
Rückkehr zur "Kanonenbootpolitik" der Kolonialzeit konstatiert, verlangen
die Grünen eine Novellierung des Weißbuchs: "Im Weißbuch wird mit
Friedensfloskeln die Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs übertüncht",
sagt Winfried Nachtwei, Grünen-Sprecher für Sicherheitspolitik. Es müsse
sichergestellt werden, dass kollektive Sicherheit nur im Rahmen des
UN-Völkerrechts durchgesetzt wird. Und obgleich die Grünen die F 125 nicht
kategorisch ablehnten, gibt Nachtwei zu bedenken: "Waffensysteme wie die
Fregatten sind dual-use-fähig. Sie können beliebig eingesetzt werden - im
schlimmsten Fall zur Durchsetzung partikularer Machtinteressen."
Leider koordiniere die Nato maßgeblich die Ausrichtung der deutschen
Streitkräfte, sagt Jürgen Groß, ehemaliger Offizier und Vorsitzender der
Bundeswehr-Kommission im Hamburger Institut für Friedensforschung und
Sicherheitspolitik (IFSH). "Wir fordern, dass die UN die Richtung vorgibt."
Um die inflationäre Zunahme von Auslandseinsätzen zu beenden, schlägt die
Kommission vor, dass militärische Engagements künftig nur mit einer
Zweidrittelmehrheit im Bundestag beschlossen werden können.
Korvetten lösen Küstenkonflikte
Im Weißbuch beschlossen wurde hingegen die Maxime: "Nur Nationen mit einer
leistungsfähigen Rüstungsindustrie haben ein entsprechendes Gewicht bei
Bündnisentscheidungen." Die TKMS-Werften profitieren davon: Nicht allein
die Fregatte F 125 treibt die Metamorphose der Marine voran.
Vor drei Wochen lief bei der Hamburger Werft Blohm + Voss eine dockfrische
Korvette der Klasse K 130 - die vierte von insgesamt fünf bestellten
Einheiten. Bereits 2008 nimmt die Marine ihr erstes Korvettengeschwader in
Betrieb. "Das Kriegsschiff ist eine Weiterentwicklung der Küstenboote",
erklärt Vizeadmiral a. D. Lutz Feldt. Mit einer Reichweite von rund 4.000
Seemeilen wurde die Korvette jedoch für den weltweiten Einsatz konzipiert.
Die Waffensysteme der K 130 sind darauf ausgelegt, auch Landziele
anzugreifen: Vier je 200 Kilogramm schwere Marschflugkörper befinden sich
an Bord. Die Raketen fliegen über 200 Kilometer weit. Auch Spezialkräfte
sollen auf den Schiffen Platz finden. Zugeteilt werden die Korvetten den
Eingreifkräften der Bundeswehr. Laut der vagen Weißbuch-Terminologie sind
diese vorrangig für multinationale Operationen "hoher Intensität"
vorgesehen. Und aus diesem "Kräftedispositiv", heißt es weiter, werden die
deutschen Beiträge zur Nato-Eingreiftruppe, "zu sonstigen Nato- oder
EU-Operationen oder weiteren multinationalen Operationen im oberen
Intensitätsspektrum generiert".
"Analysen ergeben, dass in Zukunft viele Konflikte in Küstenregionen
entstehen", sagt Lutz Feldt und fügt hinzu: "Dort kann die K 130 Einfluss
nehmen -im positiven Sinne natürlich."
26 Jul 2007
## AUTOREN
Mart-Jan Knoche
## TAGS
Bundeswehr
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