# taz.de -- Strafvollzug: Foltertod im Jugendgefängnis | |
> Heute stehen in Bonn drei junge Männer vor Gericht. Sie sind angeklagt, | |
> in einem Siegburger Knast einen Zellengenossen gequält, vergewaltigt und | |
> gehenkt zu haben. | |
Bild: Das Gefängnis von Siegburg. Außenansicht. | |
KÖLN taz Wie es sich für gute Christen gehört, lasen sie dem Delinquenten | |
noch aus der Bibel vor. Auch eine letzte Zigarette gewährten sie ihm. Dann | |
ging es in der Gemeinschaftszelle AE 1.04 im Haus 2 der | |
Justizvollzugsanstalt Siegburg ans Sterben. Hermann H. wurde nur 20 Jahre | |
alt. | |
Knapp neun Monate nach seinem Tod am 11. November 2006 beginnt am heutigen | |
Mittwoch vor dem Landgericht Bonn der Prozess. Die Staatsanwaltschaft wirft | |
den drei ebenfalls jugendlichen Angeklagten vor, ihr Opfer "auf grausame | |
Weise, aus Mordlust, aus niedrigen Beweggründen sowie zur Verdeckung von | |
Straftaten getötet zu haben". | |
Es ist eines der brutalsten Verbrechen der bundesdeutschen | |
Justizvollzugsgeschichte, über das das Bonner Gericht ab heute zu | |
verhandeln hat. Die grausige Tat löste eine heftige politische Debatte über | |
die unhaltbaren Zustände in den Gefängnissen und vor allem im | |
Jugendstrafvollzug in Nordrhein-Westfalen aus. Die heftig unter Druck | |
geratene Landesjustizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) setzte | |
eine unabhängige "Kommission Gewaltprävention im Strafvollzug NRW" ein, die | |
vergangene Woche ihren kritischen Abschlussbericht vorlegte. Auch ein | |
Landtagsuntersuchungsausschuss beschäftigt sich inzwischen mit der | |
Situation in den Haftanstalten. | |
Es ist kaum beschreibbar, welches Martyrium die zur Tatzeit 17, 19 und 20 | |
Jahre alten Pascal I., Dany K., und Ralf A. ihrem Mitgefangenen Hermann H. | |
an jenem Herbsttag im vergangenen Jahr offenbar bereitet haben. Vom Mittag | |
bis in den späten Abend lebten die drei - weitgehend geständigen - Täter | |
über Stunden ihre bizarren Gewaltfantasien an ihm aus. Nach den | |
Erkenntnissen der Anklagebehörde soll die Initiative dabei von dem Jüngsten | |
ausgegangen sein: Pascal I. habe ein Stück Seife in ein Handtuch | |
eingewickelt und dann angefangen, auf seinen Zellengenossen einzuschlagen - | |
so wie er es in dem Kriegsfilm "Full Metal Jacket" gesehen hätte. Danach | |
hätten die anderen ihre "perfiden Ideen" eingebracht, so der ermittelnde | |
Staatsanwalt Robin Faßbender. Dazu gehörte, ihr Opfer Wasser mit scharfem | |
Pulver und Salz trinken, eine Tube Zahnpasta und auch noch das anschließend | |
Erbrochene essen zu lassen. Sie zwangen ihn, den Toilettenrand abzulecken | |
und aus dem Halter der Toilettenbürste Urin zu trinken. Auch musste er ihre | |
Penisse in den Mund nehmen. Und sie vergewaltigten ihn anal mit dem Stiel | |
eines Handfegers, den er danach mit dem Mund zu säubern hatte. | |
Irgendwann kam dann "bei den Angeschuldigten die Idee auf, ihr Opfer | |
'wegzuhängen'", wie es im Bericht der Staatsanwaltschaft heißt. Die drei | |
Quäler machten sich eine "Pro-und-Contra-Liste": Gegen die Tötung spräche, | |
so vermerkten sie, dass vier Leute auf einer Zelle mehr einkaufen dürften. | |
Aber auch: "fünf Jahre wegen Körperverletzung, zehn Jahre wegen Mord". | |
Dafür spräche die Möglichkeit einer "Blitzentlassung", weil nach der als | |
Selbstmord getarnten Tat psychische Probleme vorgetäuscht werden könnten. | |
Sie entschieden sich für die Exekution. | |
Die ersten vier Versuche scheiterten, weil die verwendeten Kabel rissen. | |
Die bei Nummer fünf benutzten zusammengeknoteten Bettlakenstreifen hielten | |
besser. Doch nach eineinhalb Minuten hängten seine Peiniger den | |
ohnmächtigen Hermann H. noch einmal ab. Durch Schläge ins Gesicht brachten | |
sie ihn ein letztes Mal wieder zu Bewusstsein, um ihn nach seinen | |
Nahtoderfahrungen zu befragen. Anschließend zwangen sie den schmächtigen | |
jungen Mann, sich erneut in der Zellentoilette auf einen Eimer zu stellen | |
und diesen dann wegzustoßen. Kurz nach 23 Uhr war die Tortur für ihn | |
vorbei. | |
Hermann H. hätte gerettet werden können. Gleich zweimal betraten | |
Justizbeamte im Laufe des Tages die Folterzelle. Aber sie wollen von den | |
Folterungen nichts bemerkt haben. Im April wurden die Ermittlungen gegen | |
insgesamt fünf Beamte eingestellt. Es hätten sich keine Anhaltspunkte für | |
ein juristisch schuldhaftes Verhalten finden lassen, so die | |
Staatsanwaltschaft. | |
31 Jul 2007 | |
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