| # taz.de -- Tonträger: Die Achse des Queer Hop | |
| > Dre neue Alben aus Jütland, Okaland und Londoner online-Musik: Neues von | |
| > Gravy Train, Junior Senior und Molloy | |
| Bild: Die kanadische Sängerin Peaches, hier bei einem Auftritt in Berlin im No… | |
| ## Den Mittelfinger fürs Hetero-Klischee | |
| Gravy Train!!!! aus Oakland - die vier Ausrufezeichen stehen für die | |
| Bandmitglieder Chunx, Funx, Junx und Hunx - stürzen sich auf Amerikas | |
| liebste Obsessionen: Sex und Fressen. Sie nehmen diese Themen in eine | |
| dermaßen versaute, verque(e)re Mangel, dass sich John Waters eigentlich vor | |
| Begeisterung in die Hosen kacken müsste. Der machte sich in seinem | |
| Trash-Meisterwerk "Pink Flamingo" auf die Suche nach der "schmutzigsten | |
| Person der Welt", das Lo-Fi-Quartett tut seit seinem Debüt "Hello Doctor" | |
| alles dafür, die dreckigsten Lyrics aller Zeiten aufzubieten. | |
| Auch noch auf dem dritten Album der zwei Frauen und zwei (offensiv | |
| schwulen) Männer, wenn auch etwas weniger aggressiv: Sollen wir gemeinsam | |
| rollerskaten oder masturbieren? Wie kriege ich den schwulsten Typen der | |
| Stadt dazu, für mich als Frau zu strippen? Musikalisch haben die vier, die | |
| auf der Bühne am liebsten aus schrillen Kostümen platzen oder gleich, wie | |
| der einzige Afroamerikaner der Band, Junx, ganz nackt sind, ihre Palette | |
| des "Chipmunk Punk" deutlich erweitert. Wo früher Booty-Raps über billigen | |
| Synthies dominierten, gibt es nun zusätzlich Referenzen an Glamrock, funky | |
| Disco, Punk-Blues und French Pop. Aber der Mittelfinger ins Gesicht | |
| einbetonierter Hetero-Klischees, der bleibt ausgefahren. | |
| Gravy Train: "All The Sweet Stuff" (Cochon/Cargo Records) | |
| ## Gay Schrank mit Gute-Laune-Fach | |
| Auch wenn Senior, der schwule Schrank des dänischen gay/straight Jungsduos | |
| Junior Senior, für Gravy Train beim Stück "Club Situation" mitgewirkt hat - | |
| das zweite Album der beiden Jütländer ist meilenweit von deren Garagensound | |
| entfernt. Wo es bei Gravy Train rumpelt und scheppert, glänzt auf "Hey Hey | |
| My My Yo Yo" der blank gewienerte Partysound. Spätestens seit dem Ohrwurm | |
| der ersten Platte, "Move Your Feet", den alle im Ohr hatten, ohne | |
| vermutlich je zu wissen, dass er von Junior Senior war, hat man das Pärchen | |
| dort einsortiert, wo man sich eigentlich nicht mehr hintraute: im | |
| Gute-Laune-Fach. | |
| Junior Senior klingen wie das sympathische Update dessen, was sich im | |
| letzten Jahrtausend als "Big Beat" analog zur Dot.com-Blase aufblähte. Doch | |
| statt wie weiland Fatboy Slim mit leicht konsumierbaren Beatmischungen aus | |
| Hiphop und Acid ganze Fußballstadien in Wallung zu bringen, mixen Junior | |
| Senior die Attitüde von Hiphop mit Disco. Das ist ebenso bekömmlich, drückt | |
| aber ein bisschen weniger auf die Prolltube - und schafft es zusätzlich, | |
| mit harmlosen Texten über heiße Girls und Boys (und einem Gesangsbeitrag | |
| von Le Tigres Lesben-Ikone JD Samson) auch Homos explizit in die Party mit | |
| einzubinden. Das ist vielleicht nicht revolutionär, wird aber vom Restpop | |
| bis heute viel zu selten geleistet. | |
| Junior Senior: "Hey Hey My My Yo Yo" (Crunchy Frog/Cargo Records) | |
| ## Im Chor über Dykes schreien | |
| Molloys erstes Album wird in Deutschland nur digital veröffentlicht. Dies | |
| hat aber wohl weniger mit einem avantgardistischen Digi-Boheme-Konzept zu | |
| tun, als vielmehr mit der schieren ökonomischen Notwendigkeit, die kleinere | |
| Labels in der Zange hält. Das ehemalige Berliner Vorzeige-Label Kitty-Yo | |
| bringt nur noch online Musik heraus, beweist aber mit der Verpflichtung der | |
| Londoner Neulinge, dass man sich von diesem Umstand nicht einschränken | |
| lässt. Angeblich schrie das euphorisierte britische Publikum Molloy bei | |
| Auftritten entgegen: "This is fucking brilliant!" - daher der Albumtitel. | |
| Die drei Frauen und zwei Männer schwimmen enthusiastisch auf der immer noch | |
| erfolgreichen Dance-Punk-Welle mit. Sie mögen energetischen, im Chor | |
| geschrienen Punkpop, der seine Wurzeln in den späten 70ern und frühen 80ern | |
| hat. Bei Blondie, Kim Wilde und Duran Duran fühlen sich die bevorzugt in | |
| Grün und Orange gekleideten Kids genauso zu Hause wie bei CSS, Le Tigre und | |
| Peaches, obwohl ihnen im Vergleich vielleicht noch der ultimative | |
| musikalische und sprachliche Biss fehlt. Aber mit Lyrics über Faggots, | |
| Dykes, Faghags und Drag Queens wird das noch - auf ihrer Myspace-Seite | |
| nennen sie schon "Hairspray" als Lieblingsfilm, und der ist schließlich von | |
| Genderbender John Waters. | |
| Molloy: "This Is Fucking Brilliant" (Kitty-Yo Digital; nur Download!) | |
| 2 Aug 2007 | |
| ## TAGS | |
| Queer | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Queer-Punk in Berlin: Halbnackte Gegenbilder zum Modell | |
| Feier der Libertinage: Peaches in der Volksbühne. Der Auftritt der | |
| kanadischen Sängerin ist eine hübsch-angriffslustige Kampfansage an die | |
| Rechten. |