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# taz.de -- Kolumne: Lob der Freiheit
> Im Elite-Internat Schloss Salem am Bodensee gelten Regeln, die sich eine
> Elite niemals gefallen lassen würde.
Schloss Salem gilt als die berühmteste deutsche Internatsschule. Prinz
Philipp von England war hier Schüler, die Königin von Spanien auch. Die
Schule - oder sagt man Anstalt? - ist mit rund zweieinhalbtausend Euro
"Erziehungsgeld" im Monat nicht die teuerste, aber wohl diejenige mit dem
höchsten Renommee. Und die am schönsten gelegene sowieso: in einem
ehemaligen Zisterzienserkloster nahe dem Bodensee. Die Schüler der
Oberstufe leben allerdings einige Kilometer entfernt auf einem modernen
Campus, von dem aus man den Bodensee bei Überlingen überblickt.
Jetzt sind Ferien im Internat und die Zimmer der Schüler werden von Gästen
diverser Sommerkurse bewohnt. So kommen sogar arme Schlucker wie ich zu dem
Vergnügen, für ein paar Tage ein echter "Salemer" zu sein. Die Doppelzimmer
werden zum Ferienbeginn immer frisch gestrichen. Die Schüler müssen davor
alles ausräumen und mitnehmen. So erinnert nicht einmal ein liegen
gebliebener Schnipsel Papier, ein Bild an der Wand oder wenigstens die von
Reißnägeln markierten Löcher eines abgehängten Posters an den- oder
diejenige, die hier bis vor kurzem lebte. Die Einrichtung ist spartanisch:
neben den Betten nur zwei Schreibtische, zwei Stühle, ein Wandschrank mit
Fächern und über dem Fenster ein schlichtes Regalbrett. So also wohnen die
Söhnchen und Töchterchen unserer Elite.
Die Zimmertüren können von innen nicht abgeschlossen werden - der Kontrolle
wegen. Jeden Morgen um sieben Uhr wird bei einzelnen, nach dem Losverfahren
ausgewählten Schülern ein Urintest gemacht, um etwaigen Drogenkonsum zu
kontrollieren. Werden Haschisch oder andere unerlaubte Drogen nachgewiesen,
folgt zwangsläufig die fristlose Kündigung vom Internat. Alkohol ist erst
ab 16 Jahren und dann auch nur in geringen Mengen erlaubt. Die Benutzung
eines Privatfahrzeugs oder eines Motorrads ist auch volljährigen Schülern
unter der Woche strengstens verboten.
Es ist überhaupt vieles verboten: Besucher ohne Voranmeldung mitzubringen,
eine Pizza nach 22.30 Uhr zu bestellen oder mehr als sechs Mitschüler zur
Geburtstagsfeier unter der Woche einzuladen. Alles ist schriftlich fixiert,
das Leben eines Salemer Internatsschülers ist durch Verbote und Gebote
geregelt. Sogar wenn eine Kuh von der nahen Weide ausbüchst, muss ein
Eliteschüler nur in die Schulordnung schauen und schon weiß er, was zu tun
ist: "Bauer Zimmermann ist zu benachrichtigen, wenn die Kühe ausgebrochen
sind", steht da. Für jede Lebenslage gibt es die richtige
Gebrauchsanweisung.
In jener Salemer Nacht schlief ich unruhig. Zuhause schließe ich meine
Haustür normalerweise nie ab, sogar den Haustürschlüssel lasse ich oft von
außen stecken. Aber meine Tür nicht abschließen zu können Ich träumte, eine
Krankenschwester trat vor mein Bett, hielt mir ein Röhrchen hin und
brüllte: "Urinkontrolle!"
Als ich 18 war, zog ich von zuhause aus, weil mir die Regeln meiner Eltern
als zu rigide erschienen. Mein Vater hatte sich bei mir beschwert, als er
eines Morgens ins Bad wollte und dort zwei ihm unbekannte nackte Mädchen
bei der Morgentoilette antraf. Er wolle wissen, wer in seinem Haus schläft.
Ich fand das spießig und nahm mir eine eigene Wohnung.
Um es kurz zu machen: Alles ging schief. Vom Geld meines Großvaters kaufte
ich mir einen Mercedes, machte die Nacht zum Tag und ging nur noch selten
in die Schule. Meine Wohnung war ein einziger Partykeller. Erst ein Brief
meines Vaters mit der darin angekündigten Einstellung aller Zahlungen
brachte mich zur Besinnung. Geläutert zog ich zurück zu den Eltern. Nur
Regeln, die man sich selbst gibt, sind echte Regeln. Alles andere sind
Zwangsverordnungen, denen man sich unterwirft. Die Schüler aus Salem werden
häufig für das Privileg beneidet, eine hervorragende Ausbildung zu
genießen. Sie sitzen später vielfach in wichtigen Positionen dieser
Republik. Aber eine echte Elite ist das nicht. Sie hätte sich solche Regeln
niemals gefallen lassen. Ich bin froh, nie ein Salemer gewesen zu sein.
3 Aug 2007
## AUTOREN
Philipp Mausshardt
## TAGS
Schule
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