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# taz.de -- Kommentar: Geiseln der Privatisierung
> Die Gewerkschaften zersplittern, weil sie in den letzten Jahren von der
> Politik immer mehr geschwächt wurden. Ein Generalstreik muss her.
Die Realeinkommen der Bahn-Beschäftigten befinden sich seit 2005 im freien
Fall. Vor allem aufgrund von Arbeitszeitverlängerungen sind sie im letzten
Jahr um rund zehn Prozent gefallen. Und auf die letzten drei Jahre bezogen,
weist die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) sogar einen
Reallohnverlust von fast dreißig Prozent aus. Vor diesem Hintergrund wirkt
die Forderung von Lohnsteigerungen bis zu 31 Prozent keineswegs schrill.
Zum Vergleich: Laut dem DB-Geschäftsbericht sind die Gesamtbezüge des
achtköpfigen Bahn-Vorstands allein 2006 um 62,5 Prozent auf über 20
Millionen Euro gestiegen. Der Aufsichtsrat, der dies genehmigte,
verdreifachte sogar fast seine Bezüge auf 875.000 Euro.
Komme es zu Bahn-Streiks, so schade das der Wirtschaft und dem Ansehen
Deutschlands, ließ Bundeswirtschaftsminister Glos in der Bild am Sonntag
verlauten. Die parteiischen Töne des Bundeswirtschaftsministers zeigen, auf
welcher Seite er steht. Ein neutralerer Beobachter hätte ja auch darauf
verweisen können, dass es ja vielleicht sogar dem Ansehen Deutschlands
schade, dass ein deutscher Lokführer weniger als die Hälfte am Ende eines
Monats nach Hause trägt als sein Schweizer Kollege - oder rund tausend Euro
weniger als ein spanischer und französischer Kollege!
Die Gewerkschaften in Deutschland sind durch die neoliberale Politik der
vergangenen Jahre massiv geschwächt worden. Die von CDU/CSU, SPD, FDP und
Grünen vorangetriebenen Privatisierungen - namentlich die der Bahn und der
Post - sind hierfür mitverantwortlich. Die Bahn hat seit 1990 rund fünfzig
Prozent des gesamten Personals abgebaut. Seitdem sind dort über 233.000
Arbeitsplätze weggefallen, davon über 21.000 Stellen für Lokomotivführer.
Mit ihrer Privatisierungspolitik hat die Bundesregierung die
gesellschaftlichen Verhältnisse zulasten der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und anderer Bevölkerungsteile, die besonders auf soziale
Dienstleistungen angewiesen sind, verändert.
Während jetzt der Gewerkschaft der Lokführer vorgeworfen wird, sie nehme
"die Fahrgäste als Geiseln", weist diese Entwicklung doch eher darauf hin,
dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Gewerkschaften wie die
Bürgerinnen und Bürger längst zur "Geisel" eines neoliberalen Ausverkaufs
öffentlichen Eigentums geworden sind. Das Lohndumping im Zuge von
Privatisierungen, aber auch von privaten Unternehmenszusammenschlüssen und
Börsengängen, muss gesetzlich verhindert werden.
Wer die Gewerkschaften dauerhaft schwächt, darf sich nicht wundern, dass
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neue Strukturen und Möglichkeiten
suchen, um ihre Interessen durchzusetzen. Hält die Bundesregierung an ihrer
Privatisierungspolitik fest, ist damit zu rechnen, dass sich weitere
Berufsgruppen, die - wie jetzt schon die Ärzte, Piloten und Lokführer - mit
einem Streik beachtlichen Druck ausüben können, zu neuen
Interessenvertretungen zusammenfinden. Die Zersplitterung der
Gewerkschaften erinnert an den alten Grundsatz: Teile und herrsche.
Der Tarifstreit bei der Bahn und die breite Unterstützung der Belegschaft
für einen Streik der Lokomotivführer sollte dem DGB und seinen
Gewerkschaften Anlass sein, über ihre Kampfmethoden nachzudenken. Das
Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten wird immer schlechter.
Den herben Einkommensverlusten und der steigenden Arbeitsbelastung der
abhängig Beschäftigten auf der einen Seite stehen sprudelnde
Unternehmensgewinne gegenüber. Erfolglose Streiks und Proteste schwächen
letztendlich die Gewerkschaften. Das Vertrauen der Beschäftigten in ihre
Interessenvertretungen kann nur durch wieder bessere Abschlüsse über Löhne,
Gehälter und Arbeitsbedingungen gestärkt werden.
Die Erfahrungen mit den gewerkschaftlichen Aktionen gegen Hartz IV und die
Rente mit 67 waren Grund für Die Linke, für Deutschland den Generalstreik
vorzuschlagen. Er ist in vielen Ländern Europas ein bewährtes Mittel
politischer Auseinandersetzung. Der Generalstreik, bei dem alle
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre gemeinsamen Interessen durchsetzen,
ist das Gegenmodell zur Zersplitterung der Gewerkschaften. Letztendlich
geht es darum, die Arbeitnehmerschaft und die Rentnerinnen und Rentner
wieder am steigenden Wohlstand zu beteiligen.
9 Aug 2007
## AUTOREN
Oskar Lafontaine
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