# taz.de -- Zellforschung: Lego-Baukasten für Biologen | |
> Mit synthetischer Biologie versuchen Wissenschaftler, Lebewesen neu zu | |
> konstruieren. Sie sollen zur kostengünstigen Produktion von Wirkstoffen | |
> eingesetzt werden. | |
Bild: Lebensfähige Zellen mit Wunsch-DNA basteln - synthetische Biologie macht… | |
Die lebende Natur lediglich beschreiben? Das war gestern. Inzwischen | |
arbeitet die Biologie auch an der gezielten Herstellung von Leben. | |
Synthetische Biologie heißt die Disziplin, die manches verheißt, aber auch | |
Kritiker hat. Es geht dabei nicht - jedenfalls noch nicht - um die | |
maßgeschneiderte Konstruktion höherer Lebewesen. Im Fokus stehen derzeit | |
allenfalls Einzeller, die man mit ganz bestimmten Eigenschaften ausstatten | |
möchte. | |
Ein Beispiel dafür sind etwa Mikroben, die Pharmawirkstoffe nach Maß | |
herstellen. Damit sie das tun, versucht man, das Erbgut der Einzeller so zu | |
verändern, dass sie die gewünschte Substanz produzieren. | |
Auf den ersten Blick unterscheidet sich das noch nicht von dem, was auch | |
die klassische Gentechnik antreibt. Doch während Gentechnik bestimmte Gene | |
in bestehende Organismen einschleust, geht es der synthetischen Biologie um | |
etwas viel Fundamentaleres: um "das Entwerfen und Konstruieren (neuer) | |
biologischer Bauteile, Bauteilgruppen und Systeme sowie um das Überarbeiten | |
(Redesign) existierender natürlicher biologischer Systeme für nützliche | |
Zwecke". So lautet die Definition jener US-Wissenschaftler aus Berkeley, | |
Harvard und vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), die vor | |
einigen Jahren die synthetische Biologie namentlich aus der Taufe hoben und | |
2004 auch einen ersten Kongress ausrichteten. | |
Zu den Gründern zählt der Computerwissenschaftler Tom Knight vom MIT, der | |
in den 90er-Jahren nach neuen Herausforderungen Ausschau hielt, "weil im | |
Umfeld elektronischer Schaltungen ein Ende der Weiterentwicklung absehbar | |
war", wie er sagt. Knight suchte nach anderen Schaltkreisen mit mehr | |
Entwicklungspotenzial - und entdeckte die lebende Zelle. Heute arbeitet er | |
an einem Baukasten der Biologie. Ziel ist es, Leben auf standardisierte | |
Bauteile zu reduzieren, aus denen es sich dann wiederum neu und auch anders | |
konstruieren lässt. Ähnlich wie ein Elektrotüftler aus standardisierten | |
Kondensatoren, Widerständen oder Transistoren komplexe und immer wieder | |
neue Schaltkreise konstruiert. | |
Drew Endy, ebenfalls vom MIT, formuliert es so: "Es gibt viele Menschen, | |
die Computerprogramme schreiben, aber nur wenige, die neue | |
Programmiersprachen entwickeln. Wir arbeiten jetzt an einer | |
Programmiersprache für die Biologie." Am MIT hat man bereits einen Katalog | |
standardisierter Lebensbauteile angelegt, sogenannter "BioBricks". Rund | |
1.400 Bioteile mit klar zugewiesener Funktionalität sind bereits verfügbar, | |
darunter Gene für einzelne Eiweiße oder bestimmte Bindungsstellen innerhalb | |
der Zelle. Ein "Lego-Baukasten" für Biologen. | |
Eine spannende Frage, die die Bioingenieure derzeit umtreibt, ist die nach | |
dem "minimalen Genom". Wie viele Gene benötigt eine Zelle, um lebensfähig | |
zu sein? Wenn das bekannt wäre, könnte man genau dieses Minimum an | |
Erbmaterial zugrunde legen, bei Bedarf auch synthetisch hergestellt, und | |
dann gezielt bestimmte Zusatzfunktionen einbauen, etwa Gene, die dafür | |
sorgen, dass die Zellen den Energieträger Wasserstoff produzieren. Einmal | |
mit diesem Erbgut ausgerüstet, könnten resultierende Design-Mikroben | |
beliebig vermehrt werden und in Bioreaktoren ihre Arbeit verrichten. | |
Dieses Ziel verfolgt auch Craig Venter an seinem J. Craig Venter Institute | |
(JCVI) im US-Bundesstaat Maryland. Erst kürzlich machten seine Forscher | |
gleich zweifach Furore: zunächst mit dem Patentantrag für ein synthetisches | |
Bakterium und Ende Juni dann mit einer Publikation im Fachblatt Science. | |
Nach dieser war es gelungen, nackte, also von allen Helferproteinen | |
befreite DNA einer Bakterienart in die Zellen einer verwandten Art | |
einzuschleusen, woraufhin Letztere sich vermehrten und dabei die | |
Eigenschaften der eingeschleusten Gene zeigten. | |
Die erfolgreiche Umprogrammierung könnte bedeuten, dass künftig das | |
Synthetisieren einer Wunsch-DNA genügt, um diese dann in geeigneten | |
Wirtszellen in definiertes Leben zu übersetzen. Die Produktion von | |
DNA-Sequenzen jedenfalls ist heute schon Routine und wird kommerziell | |
angeboten. Doch noch ist es nicht so weit. Konkrete Zwischenerfolge gibt es | |
beim gezielten Verändern bestehender biologischer Systeme. Ein prominentes | |
Beispiel dazu sind die Arbeiten von Jay Keasling, der an der Universität | |
von Kalifornien in Berkeley Hefezellen durch den Einbau von insgesamt neun | |
Genen dazu brachte, eine Vorstufe des Anti-Malaria-Wirkstoffs Artemisinin | |
herzustellen. | |
Weil diese therapeutisch nützliche Substanz in der Natur nur begrenzt | |
verfügbar und damit auch teuer ist, hat die Idee, sie in quasi beliebigen | |
Mengen im Bioreaktor produzieren zu können, einen gewissen Charme. Solche | |
plakativen Erfolgsmeldungen sind derzeit jedoch die Ausnahme, und Drew Endy | |
vom MIT empfiehlt dann auch: "Wir brauchen im Moment mehr | |
Grundlagenforschung." | |
Massive Bedenken gegen die synthetische Biologie hegt die kanadische | |
"Action Group on Erosion, Technology and Concentration" (ETC Group). Sie | |
mahnt an, dass eine öffentliche Diskussion des Gefahrenpotenzials überhaupt | |
noch nicht stattfinde, und befürchtet zugleich, dass die Bedrohungen der | |
synthetischen Biologie für Gesellschaft und Umwelt noch größer seien als | |
die Gefahren und der mögliche Missbrauch bisheriger Biotechnologie. | |
Dass die Forscher selbst sich durchaus mit Sicherheits- und Ethikaspekten | |
ihrer Disziplin befassen, wie jüngst auf dem Kongress Synthetic Biology 3.0 | |
in Zürich zu erleben war, geht der ETC Group nicht weit genug. Weil | |
Selbstkritik naturgemäß nur begrenzt möglich sei, fordern die Kritiker eine | |
breiter angelegte Debatte und eine Regulierung von außen. | |
9 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Karl Hübner | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Gentechnik | |
Malaria | |
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