# taz.de -- Französische Komödie: Pariser WG-Märchen | |
> Claude Berri verfilmt mit "Zusammen ist man weniger allein" den | |
> erfolgreichen Roman von Anna Gavalda. | |
Bild: So harmonisch kann generationsübergreifendes Wohnen sein. | |
"Zusammen ist man weniger allein" ist ein Filmmärchen nach dem | |
gleichnamigen, auch hierzulande erfolgreichen Familienbestseller der | |
französischen Schriftstellerin Anna Gavalda. Es geht amüsant ums | |
Erwachsenwerden, ums wahre Leben im falschen, das heißt die | |
Wiederentdeckung von Tendresse, einer Verhaltenskunst, die in den Schatten | |
geraten ist. Claude Berri, ein ehemaliger Nouvelle-Vague-Produzent, | |
Schauspieler und Regisseur, hat das Buch als dichtes Boulevardstück und | |
opulente Zeitgeistkomödie verfilmt. | |
Der rote Faden ist eine sanfte Utopie, nach der man die eigene | |
dysfunktionale Familie hinter sich zu lassen vermag, wenn man aus einer | |
zusammengewürfelten Mini-WG, einer Notgemeinschaft mit kantigen Typen, am | |
Ende Freundschaft, Zuneigung und Anteilnahme entwickelt und - was sonst? - | |
dabei die große Liebe findet. Lauter Verlierer treffen in einer nur | |
provisorisch bewohnbaren, im alten Rohzustand dämmernden Pariser | |
Großbourgeoisie-Wohnung zusammen und stoßen sich als verletzliche | |
Trotzköpfe die Hörner ab, einen Winter lang, bis im Frühling und Sommer die | |
vereisten Gefühle aufgetaut sind. | |
Im Mittelpunkt Audrey Tautou als zerbrechlicher Anti-Star, noch ein wenig | |
kränkelnder exzentrisch als in "Die fabelhafte Welt der Amélie". Sie ist | |
Camille, eine Büroputze im Multikultimilieu, aber eigentlich eine begnadete | |
Zeichnerin. Überhaupt wird auf die sublime Kraft der schönen | |
(Lebens-)Künste viel Wert gelegt. Filmneuling Guillaume Canet, der wie ein | |
jüngerer kraftprotziger Bruder von Christoph Schlingensief aussieht, spielt | |
den überarbeiteten einsamen Wolf Franck, einen rockigen Kochgesellen, der | |
seine sterbende Oma liebt und keine Chance sieht, sein Talent als möglicher | |
Chef eines kleinen feinen Restaurants auszuprobieren. Das macht ihn zu | |
einem zeitweise unerträglichen Kotzbrocken, dessen guten Kern es zu | |
entdecken gilt. | |
Schließlich rundet Laurent Stocker, ein unscheinbarer Blonder und Jungstar | |
der Comédie Française, das Trio ab. Er verkörpert hysterisch gutherzig die | |
perfekten Manieren der untergegangenen Marcel-Proust-Welt. Als Philibert | |
gibt er den blaublütigen Stotterer, der sein Geld in einem Museumsshop | |
verdient, aber Historikerkenntnisse von Rang besitzt, im Grunde jedoch den | |
Traum hat, Schauspieler zu werden. | |
Camille, die in einem Dienstmädchen-Loch unter dem Dach haust, lädt ihren | |
Nachbarn Philibert aus dem Vorderhaus, dem sie eines Tages mit den | |
Code-Ziffern zur Haustürentriegelung helfen konnte, zum Essen ein. Sie | |
findet die Anonymität in den großen Mietshäusern unmenschlich. Als sie | |
krank wird, holt Philibert sie in die Wohnung, die er mit seinem ungleichen | |
Kumpel Franck bewohnt, solange seine Verwandten das Etablissement nicht | |
verkauft haben. Was folgt, ist die augenzwinkernde Ausbreitung von | |
Streitereien, die alle zu kennen glauben, die schon mal was von | |
WG-Situationen gehört haben. Alle drei Protagonisten sind ungeliebte Kinder | |
ihrer Eltern, im Fall von Camille bekommt man unmittelbar vor Augen | |
geführt, wie sie im gequälten Gespräch mit ihrer frustriert dominanten | |
Mutter Fieber bekommt. Kein Wunder, dass das Mädchen magersüchtig ist und | |
Franck, der Koch, zum verführerischen Küchendienst angespornt wird. | |
Die Vierte im Bunde, Paulette (Françoise Bertin) bringt das | |
stadtneurotische Pärchen einander schließlich näher. Francks geliebte Oma, | |
die den französischen Topos einer Vermittlerin zwischen Paris und Provinz | |
verkörpert, ist unglücklich in einem Pflegeheim gelandet. Camille holt die | |
alte Dame in die WG und übernimmt vorübergehend die Pflege, so dass | |
Paulette beim allgemeinen Happyending in ihrem Häuschen sterben kann. (Der | |
angenehm ausdifferenzierte Soundtrack des Films charakterisiert Paulette | |
übrigens durch eine kleine Hommage mit dem wunderbaren Chanson "La | |
Bicyclette" von Yves Montand.) | |
Bestimmte Seiten des Romans verblassen im Schnelldurchlauf: So schaut der | |
verklemmte Philibert bloß einmal einer Postkartenkäuferin tief in die | |
Augen, wird von seiner neuen Flamme irgendwann zur Schauspielschule | |
mitgenommen, überwindet seinen Sprachfehler in ein paar witzigen Szenen mit | |
einem Logopäden, brilliert dann mit einer eigenen Comédie über seine | |
verquere Adelsfamilie und heiratet am Ende, ohne dass seine stumme | |
Theaterprinzessin eigene Kontur gewinnt. Paris als unzerstörbarer Mythos | |
und traumhafter Schmelztiegel zeigt sich mitten im Winter von seiner | |
Sonnenseite. | |
18 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
## TAGS | |
Chanson | |
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