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# taz.de -- Starker Staat?: Vorsorge ist der Fortschritt
> Die Details ihres Klimaschutzprogramms will die Bundesregierung heute auf
> ihrer Klausur in Meseberg beschließen. Höchste Zeit!
Bild: Trotz schlechten Wetters in Meseberg: Bald ein besseres Klima?
Sicherlich: Auf ihrer Klausur in Meseberg wird sich die Bundesregierung
heute auch mit Mindestlöhnen, Fachkräftemangel oder den Tornados in
Afghanistan befassen. Zentrales Thema wird aber das Klimaschutzprogramm
sein. Und das ist gut so.
Denn das Wesen der deutschen Klimaschutzpolitik besteht seit 15 Jahren aus
dem Formulieren von Reduktionszielen. Instrumente, diese dann auch zu
erreichen, wurden selten gesucht und fast nie gefunden. So beschloss der
Bundestag etwa im September 1991 einstimmig, dass die alten Bundesländer
ihren CO2-Ausstoß bis 2005 um 25 Prozent senken werden. Tatsächlich aber
schaffte Deutschland West bis 2005 kaum drei Prozent.
Das war bislang das Wesen der deutschen Klimaschutzpolitik:
Weltmeisterlichen Ankündigungen folgten Taten auf Kreisliganiveau. Aber das
soll sich ja nun in Meseberg ändern: Um 40 Prozent will die Bundesregierung
den Ausstoß Deutschlands in den nächsten zwölf Jahren senken. Instrumente
dafür zu finden, dafür trifft man sich. Dabei geht es um mehr als
Klimapolitik - es geht um einen neuen politischen Ansatz.
"Früher glaubte man, Unsicherheiten des Fortschritts durch neuen
Fortschritt auffangen zu können", sagt der Münchner Soziologe Ulrich Beck.
Dieses Selbstbewusstsein sei durch die Umweltkrise erschüttert. Längst
nämlich hat die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen einen Umfang
erreicht, der selbst eine Bedrohung weiteren Fortschritts ist. Mit dieser
Einsicht müssten sich zwangsläufig auch die Instrumente der aktuellen
Politik ändern. Denn derzeit regiert statt des notwendigen Vorsorgeprinzips
immer noch das alte Laisser-faire: Die Wirtschaft/der Markt/der Fortschritt
wirds schon richten. Für dieses Laisser-faire steht etwa der
Wirtschaftsminister. Michael Glos (CSU), Geburtsjahr 1944, gehört zu jener
Generation, die das westdeutsche Wirtschaftswunder in vollen Zügen erlebte.
Glos hat jene politische Schule durchlaufen, die in Wachstum und
technologischem Fortschritt das Seelenheil der Menschheit sieht. Sein
politischer Erfahrungshorizont stammt aus einer Zeit, in der man glaubte,
jedes Problem und jede Unsicherheit der Fortschrittsidee durch immer neue
Innovationen und bessere Technologien auffangen zu können.
"In unserem Verhältnis zur Wissenschaft ist eine Grundüberzeugung abhanden
gekommen", urteilt Michael F. Jischa, die Selbstverständlichkeit nämlich,
"dass wissenschaftlicher und technischer Fortschritt zugleich humanen und
sozialen Fortschritt bedeuten" müssen. Auch der emeritierte Professor,
sieben Jahre älter als Michael Glos, ist Kind der Fortschrittsidee. Aber er
sagt: "Die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften bewirken neben dem
angestrebten Nutzen immer auch Schäden, die als Folge und Nebenwirkung die
ursprünglichen Absichten konterkarieren."
Das ist die Gegenposition zum Fortschrittsglauben: Kann man eine Gefahr in
der Zukunft nicht ausschließen, muss man Vorsicht walten lassen - also
möglichst schnell Maßnahmen gegen diese Gefahr ergreifen. Die Schwierigkeit
für die Politik besteht darin, Maßnahmen zur Vorbeugung zu finden - und
diese gegenüber dem Wahlvolk zu begründen. Das ist unbequem und schwer:
Solange die Sonne schien, wurde Archebauer Noah auch nur verspottet - und
der musste sich nicht zur Wiederwahl stellen. Sicherlich, Umweltminister
Sigmar Gabriel (SPD) ist vom Vorsorgeprinzip inspiriert - was man an seiner
ursprünglichen Vorlage ablesen kann: Der Staat wird wieder mehr Staat,
indem er formulierte Ziele über ein starkes Ordnungsrecht umzusetzen
gedenkt - über Verordnungen, Energiestandards oder ein
"Klimaschutzbeschleunigungsgesetz". Aber auch Gabriel setzt immer noch zu
stark auf "technische Revolution" und "industriellen Fortschritt". Dabei
sind die Deutschen laut Umfragen bereiter denn je, Opfer für mehr
Klimaschutz zu bringen.
Nach seriösen Berechnungen reichen die in Meseberg diskutierten Instrumente
bei weitem nicht aus, um das selbst gesteckte Ziel zu erreichen. Das
verwundert nicht: Fragen der Energieversorgung und des Klimaschutzes sind
Machtfragen. Verkehrspolitik bestimmt, wer das Schienennetz besitzt -
hochaktuell angesichts der Debatte um die Privatisierung der Bahn.
Strompreispolitik bestimmt, wem das Stromnetz gehört. Rohstoffausbeuter
bestimmen Kraftwerksinvestitionen. Den CO2-Ausstoß von Autos bestimmen die
Motorenkonstrukteure - falls sie nicht durch Normen zum Handeln gezwungen
werden. Insofern kann Meseberg ein guter Anfang werden: wenn der Staat
wieder den Staat als starken Staat entdeckt.
23 Aug 2007
## AUTOREN
Nick Reimer
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